Laborratten
Adam Harvey ruft zu neuem Datenbewusstsein auf

5. September 2020 • Text von

Adam Harvey ruft zu neuem Datenbewusstsein auf

Hier ein süßes Selfie, da ein neues Profilbild – Adam Harvey zeigt, wie Wissenschaftlicher*innen weltweit den öffentlichen Raum zur wilden Forschungsfläche machen. Und das, ohne das Analyseobjekt No. 1 darüber zu informieren.

Spiegel und Bildschirm im Eigen Art LAb
Adam HarveyFace First: Researchers Gone WildAusstellungsansicht, 2020EIGEN + ART LabFoto: Eike Walkenhorstcourtesy der Künstler und EIGEN + ART Lab

gallerytalk.net: Worum geht es bei „Face First: ‚Researchers Gone Wild‘?
Adam Harvey: Die Ausstellung beschäftigt sich mit der Veränderung des sozialen Umgangs miteinander durch die Einführung von Computern und ihrem Einsatz zur Datenanalyse. Wir alle sind in gewisser Weise Teil von forensischer Analyse geworden. Wir sammeln Informationen auf unseren Computern und in jedem System, das wir benutzen, um dann immer wieder auf unsere Archive zurückzugreifen. Wir sind forensische Analytiker*innen, die Forschungsprojekte durchführen. Und manchmal vergessen wir, dass wir, wenn wir Daten sammeln, auch Menschen sammeln. Manche Menschen wollen aber nicht gesammelt werden und wollen nicht offenbaren, was die Daten zeigen.

Bildschirme mit Wärmekameras
Adam HarveyFace First: Researchers Gone WildAusstellungsansicht, 2020EIGEN + ART LabFoto: Eike Walkenhorstcourtesy der Künstler und EIGEN + ART Lab

Wie zeigt sich diese Analyse?
Beispielsweise in der Art und Weise, wie man für ein Selfie posiert, das man posten möchte. Man bekommt zu einem bestimmten Gesichtsausdruck immer eine bestimmte Reaktion. Und man hat durch Alpha-Beta-Tests gelernt, was die Leute tun werden, wenn sie diese Art von Foto sehen. Als Programm hierfür hat man die Daten von Menschen genutzt. Man programmiert somit quasi andere Menschen und andere Menschen programmieren einen selber ebenso.

Hat man sich aber nicht auch in gewisser Weise schon vor dieser Datensammelära gegenseitig programmiert?
Ja, aber wir haben jetzt andere Möglichkeiten. Man kann plötzlich für wenig Geld mächtige Geräte besitzen. ‚Researchers Gone Wild‘ – der Titel der Ausstellung, ist ein Wortspiel. Forschende in den USA und Europa sind berüchtigt für ihre wilden Datensammlungen und es ist der Ausdruck für Forschende in der Wildnis. Das Problem, über das ich in der Ausstellung spreche ist, dass es ethische Regeln gibt, wenn man wissenschaftliche Experimente in einem Labor durchführt. Man braucht die Zustimmung der Personen, kann nicht einfach machen, was man will und die reale Welt zum Labor machen, ohne die Öffentlichkeit darüber zu informieren. Zum Beispiel an der Duke University in North Carolina wurde ein Multitracking-Multikamera-Datensatz erstellt und die Forschenden richteten acht Kameras ein und sammelten Videos von teilnehmenden Personen für die Forschung. Wahrscheinlich dachten die Teilnehmenden, dass sie ihre Daten der akademischen Forschung zur Verfügung stellen. Aber meine Analyse ergab, dass der Datensatz in mehreren Forschungsprojekten in Zusammenhang mit ausländischen Militärs auftauchte. Das war ein klarer Verstoß gegen die Ethik, aber niemand wusste, dass die Daten auf diese Weise verwendet wurden.

Bildschirme mit Text
Adam HarveyFace First: Researchers Gone WildAusstellungsansicht, 2020EIGEN + ART LabFoto: Eike Walkenhorstcourtesy der Künstler und EIGEN + ART Lab

Du kritisierst also, dass für politische Zwecke geforscht wird, ohne, dass die Teilnehmenden über die Ziele der Analyse informiert werden?
Ich möchte dies in den öffentlichen Diskurs einbringen. Ich denke, dass die Menschen darüber informiert werden sollten, was mit ihren Daten passiert und darüber, dass sie zum Forschungsobjekt werden, wenn sie ihre Wohnung verlassen. Durch die permanente Überwachung im öffentlichen Raum landet man schnell im Labor und darüber sollte man sich eigentlich keine Sorgen machen müssen. Ich habe Datensätze gefunden, die in Berlin, London, San Francisco, New York City, Zürich und mehreren anderen Großstädten erstellt wurden, die davon ausgehen, dass Ihr Bild für Forschungsstudien frei verfügbar ist, weil Sie in der Öffentlichkeit sind. Solange keine besseren Gesetze erlassen werden, wird sich der öffentliche Raum, insbesondere in Großstädten, weiterhin in ein Labor für maschinelles Lernen verwandeln. Das heißt man wird gefilmt und landet in einem Datensatz. Was passiert dann mit diesen Daten?

Werden die Daten von staatlicher Seite gesammelt oder von Forschungsinstituten?
Typischerweise finanzieren Regierungen akademische Forschung und geben so finanzielle Anreize für bestimmte Projekte. Es wäre nicht legal, wenn Staaten die Daten direkt für eigene Zwecke sammeln würden.

Was können wir tun, um nicht Teil dieser Analysen zu werden?
Wir werden uns diese Frage mindestens die nächsten 10, vielleicht 20 Jahre oder länger stellen. Was können wir dagegen tun? Die Überwachung stoppen! Aber die bessere Frage ist eigentlich: Was können wir tun, um den Schaden zu minimieren? Es stört einen zum Beispiel, dass Gesichtserkennungsdaten gesammelt werden – dann sollte man kein Bild von sich selbst auf Facebook oder Instagram posten. Man kann mit kleinen Schritten anfangen. Man posted zum Beispiel nicht sein ganzes Gesicht oder man achtet einfach stärker darauf, was im Hintergrund zu sehen ist.

Was sollte getan werden, um unsere Daten zu schützen?
Es würde genügen, genug Menschen davon zu überzeugen, die Datenerhebung einzuschränken, denn dann würde es dazu Gesetze geben und man müsste sich selbst nicht mehr darum kümmern. Regulierung kann Innovation unterstützen. Die Verteidigungsstrategie besteht also darin, Bewusstsein zu schärfen und eine Verbindung zwischen den Menschen herzustellen, die in diesem Bereich arbeiten.

Spiegel mit Propaganda Text
Adam HarveyFace First: Researchers Gone WildAusstellungsansicht, 2020EIGEN + ART LabFoto: Eike Walkenhorstcourtesy der Künstler und EIGEN + ART Lab

Meinst du nicht, dass es vielen Menschen schwer fällt, sich nicht im Internet zu zeigen, weil sie sich dadurch von einem sozialen Raum ausgegrenzt fühlen?
Ich glaube nicht, dass es dazu gerade eine für alle geltende Lösung gibt. Es war schwierig, ein Konzept für eine Ausstellung zu dem Thema zu erarbeiten, das nicht komplett dem Untergang geweiht ist. Denn sonst geht man nach Hause und denkt „Oh, es ist schrecklich, man kommt nicht voran“. Es ist also auch wichtig, etwas Spaß zu haben. Deshalb habe ich einen großen Spiegel gebaut, mit dem man das tun kann, was man gerne tut – ein Selfie machen. Und dies kann man dann im Internet posten und auf diesem Wege dann eine wichtige Info verbreiten.

WANN: Die Ausstellung kann noch bis Samstag, den 19. September besichtigt werden.
WO: EIGEN+ART Lab, Torstraße 220, 10115 Berlin.

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