Das Mauer-Paradox
Wie politisch sind Klänge?

15. Oktober 2018 • Text von

Für den Künstler und Klangforscher Lawrence Abu Hamdan sind Klänge politisch, ihre Bedeutung von nicht geringerer als Wörter oder visuelle Wahrnehmung. In seiner Videoinstallation „Walled Unwalled“ können wir seiner Beweisführung nun zuhören.

Lawrence Abu Hamdan, Walled Unwalled, 2018, videostill, courtesy the artist.

Anfang 2017 veröffentlichte Amnesty International einen Bericht über das syrische Militärgefängnis Saidnaya, in dem seit Beginn der Aufstände 2011 Insassen gefoltert und ermordet werden. Da weder Bilder noch sonstiges Material über das Gefängnis existierten, waren Gespräche mit ehemaligen Insassen, Wächtern, Richtern und Anwälten die einzige Quelle jeglicher Rekonstruktion der Ereignisse. In Zusammenarbeit mit dem am Londoner Goldsmiths College sitzenden Institut Forensic Architecture wurden anhand von Erinnerungen die Architektur des Gefängnisses sowie die Lebensbedingungen der dort inhaftierten Menschen wiederhergestellt. Die Insassen kannten nur das Innere ihrer eigenen Zellen. Orientieren konnten sie sich lediglich mittels der durch die Wände vernommenen Geräusche. Lawrence Abu Hamdan war Teil dieser akustischen Untersuchung, er führte Interviews und war für die Tongestaltung verantwortlich. Die individuelle Beschreibung der in den Zellen herrschenden Geräuschkulisse führte ihn letztendlich zu einem in der DDR erfundenen Gefängnistypus, dessen spezielle Bauart die Abhörtechnik im Inneren des Gefängnisses auf perverse Art und Weise perfektionierte.

Lawrence Abu Hamdan, Walled Unwalled, 2018, videostill, courtesy the artist.

Saidnaya ist nur einer der konkreten Orte und juristischen Fälle, über die der in Jordanien geborene und in Beirut lebende Lawrence Abu Hamdan in „Walled Unwalled“ spricht. Die Filminstallation und Lecture-Performance ist gerade in der Daadgalerie zu sehen. Über die meiste Zeit des 20-minütigen Films spricht Abu Hamdan selbst. Er berichtet über den Fall Danny Lee Kyllo gegen die Vereinigten Staaten, den Mordprozess gegen den südafrikanischen Sprinter Oscar Pistorius, und den US-Radiosender Radio Free Europe, der zu Zeiten des Kalten Krieges von München und Lissabon ausgestrahlt wurde. Dabei wechselt sein Ton zwischen nüchternem Rhythmus und verdichteter Intensität.

Lawrence Abu Hamdan, Walled Unwalled, 2018, videostill, courtesy the artist.

Diesen politischen Fallbeispielen sind zwei Dinge gemein. Erstens, Mauern oder Wände bzw. deren sich einerseits auflösende und andererseits, in jüngster Zeit erneut stark manifestierende Funktion und Existenz. Zweitens, Akustik und Klang, die ungehindert ihres Bestands durch Mauern und Wände dringen können. Eindrucksvoll schichtet Abu Hamdan akustische und visuelle Ebenen ineinander und verwebt Fakten mit persönlichen Erinnerungen und Geschichten. „Walled unwalled“ entstand während seines Daad-Stipendiums und wurde in den ehemaligen Tonstudios des DDR-Rundfunks im Funkhaus Berlin aufgenommen. Die Wände des Studios sind beweglich und so wird im Laufe von Abu Hamdans Monolog das Tonstudio kurzerhand zum Abhörraum.

Lawrence Abu Hamdan, Walled Unwalled, 2018, Installation shots/ Installationsansichten, daadgalerie, courtesy: Berliner Künstlerprogramm des DAAD and the artist, Foto: Jens Ziehe.

„Walled Unwalled“ ist voller Doppeldeutigkeiten und erfordert Konzentration. Der Betrachter kann an jedem Punkt einsteigen und doch folgt Abu Hamdans Argumentation einer Stringenz, die das ausliegende Transkript offenbar werden lässt. Diese Stringenz, ebenso wie die doppelte Funktion von Mauern, ihre Abschottung und Durchlässigkeit, findet sich ebenso in der Präsentation. Das Video wird auf und durch eine Glaswand projiziert, die Ausstellungs- und Lagerraum trennt. Die Wand ist Projektionsfläche und transparent zugleich.

WANN: Die Videoinstallation ist noch bis 18. November zu sehen. Öffnungszeiten sind von Dienstag bis Sonntag, jeweils von 12 bis 19 Uhr.
WO: daadgalerie, Oranienstraße 161, 10969 Berlin.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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