Das Kapital ist nicht egal Prekärotopia von Beate Engl, Leonie Felle und Franka Kaßner
30. März 2019 • Text von Quirin Brunnmeier
Das Projekt „Prekärotopia“ ist ein Hybrid aus Singspiel, Skulptur, Film und Performance. Ab dem 30. März präsentieren die Künstlerinnen Beate Engl, Leonie Felle und Franka Kaßner ihr kooperativ konzipiertes Gesamtkunstwerk im Kunstbau des Lenbachhauses.
Wie auf einem Jahrmarkt wird man durch eine schwebende Leuchtschrift empfangen, die über dem Steg montiert ist, der in den Kunstbau des Lenbachhauses hinab führt. In gelben Lettern definiert der Schriftzug „Prekärotopia“ die darauffolgenden Räume als eine hybride Mischung aus Ausstellungsraum, Bühnenbild und Set für das zeitgenössische Singspiel der drei Künstlerinnen Beate Engl, Leonie Felle und Franka Kaßner. „Prekärotopia“ soll ein utopischer Versuch sein, gemeinsam etwas zu verändern. Der Titel setzt sich dabei stimmig aus den Vokabeln „Prekariat“ und „Utopie“ zusammen und deutet so schon die inhaltliche Richtung an.
„Prekärotopia“ will als eine unorthodoxe, zeitgenössische Interpretation des traditionellen Singspiels verstanden werden. Ein klassisches Singspiel ist ein meist heiteres Schauspiel mit musikalischen Einlagen, im 18. Jahrhunderts entwickelte es sich zum bürgerlichen Gegenstück zur opulenten höfischen Oper. Auch Bertolt Brecht nutzte die künstlerische Form des Singspiels und füllte sie mit politischen Inhalten. In Anlehnung an Brecht will auch „Prekärotopia“ ein Mittel der gemeinschaftlichen Kommunikation sein. Beate Engl, Leonie Felle und Franka Kaßner wollen gesellschaftliche Strukturen aufzeigen und Möglichkeiten der Veränderung und Evolution ausloten.
Die drei Künstlerinnen verkörpern die Rollen des Speaker, Poupée und Trickster, die sich zwischen prekären Verhältnissen und utopischen Ideen bewegen. Die Charaktere sind dabei weder statisch noch stereotyp, sondern entwickeln sich im Laufe des Stücks. Das Singspiel selbst besteht aus zwölf Liedern, deren stilistische Bandbreite vom Chanson über agitierende Appelle bis zum Punk reicht. Die Einflüsse dafür stammen aus dem sowjetischen Künstlertheater, linksrevolutionären Arbeiterliedern der 1920er Jahre, dem amerikanischen Musicals, Musikvideos der Neuen Deutschen Welle und dem deutschen Revuefilm. Ein zentrales Objekt der Inszenierung ist eine raumhohe Holzkonstruktion, halb überdimensioniertes Xylophon, halb Show-Treppe, die, passend, den Titel „Hierarchie“ trägt.
Nicht hierarchisch gehen die drei Künstlerinnen mit den gewählten Ausdrucksformen um. Gleichwertig stehen Musik, Performance, Skulptur und Video nebeneinander, ergänzen und bedingen sich. Das Projekt „Prekärotopia“ belebt und erweitert ein klassisches musikalisches Format und füllt es mit aktuellen Themen. In Zeiten neoliberaler gesellschaftlicher Auswüchse sind Begriffe wie Solidarität, Kooperation und Kritik am bestehenden System des Kapitalismus hochaktuell. „Power, power lifts us high, structure, order, rules, fools we are – system tools!”
Die Uraufführung des Stücks findet am 30. März um 20 Uhr statt, zwei weitere Vorführungen finden werden am 5. und 11. April um jeweils 20 Uhr gezeigt. Die Installation aus Skulpturen, Instrumenten, Kostümen, Liedern und Videos kann über die gesamte Laufzeit im Kunstbau besichtigt werden. Die Lieder werden zudem in limitierter Auflage auf Vinyl beim Münchner Label Gutfeeling erscheinen.
WANN: Die Eröffnung und Uhraufführung ist am 30. März ab 19 Uhr, zu sehen bis 22. April
WO: Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau, Luisenstraße 33, 80333 München.
Dieser Text ist in Kooperation mit dem Lenbachhaus entstanden.