Zeitgenössische Meister Cédric Rivrain in der Fitzpatrick Gallery
6. Dezember 2021 • Text von Teresa Hantke
Sie fokussieren, erfassen, blicken durch einen hindurch, zeigen Interesse, sind gleichgültig oder voller Melancholie. Die Blicke der männlichen, weiblichen und genderqueeren Protagonisten auf Cédric Rivrains Gemälden sind mal anziehend, mal voller Provokation. Gekonnt lässt der französische Maler seine engen Vertrauten – Freunde, Künstlerinnen, Maler in altbekannten Posen der Kunstgeschichte in der Fitzpatrick Galerie im Pariser Marais auferstehen und gibt dabei einen intimen wie durchaus gefühlvollen Einblick in seine Gedankenwelt.
Entspannt liegt sie da. Komplett nackt, mit stolzer Pose, aufrechtem Oberkörper und übereinandergeschlagenen Beinen blickt sie aus einem in komplett Grün- und Minttönen gehaltenen Raum. Das großformatige Gemälde zeigt die Künstlerin und Freundin Cédric Rivrains Puppies Puppies (Jade Kuriki Olivo), Transfrau, die die Pose der in der Kunstgeschichte bekannten Haltung von Titians “Venus von Urbino” oder der “Olympia” von Manet aufnimmt. Anders als ihre Vorgängerinnen hält sich Puppies Puppies jedoch nicht die Hand vor die Scham. Sie versteckt weder ihre Brüste, noch ihr Glied.
Dabei gelingt es Rivrain gekonnt, das eigentliche Motiv, die nackte Frau als erotisches Objekt der Begierde weiterzudenken, dieses umzukehren, und mittels oder trotz der Pose eine selbstbewusste Transfrau darzustellen. Es ist diese Mischung aus dem Wiederaufgreifen des Motivs der liegenden unbekleideten Frau, das in der Kunstgeschichte eine lange Tradition aufweist, und dem Zufügen zeitgenössischer Sujets, mit der Rivrain eine durchaus faszinierende Bildsprache findet.
Die liegende Puppies Puppies bildet das Eingangsgemälde zum Hauptteil von Rivrains Ausstellung “Belle Main” im 1. Stock der Fitzpatrick Gallery im Pariser Marais. Die beiden Kuratoren Pierre-Alexandre Mateos und Charles Teyssou bezeichnen die Ausstellung als “imaginäres Museum” oder Rivrains persönlicher National Portrait Gallery im begleitenden Text, was auch zurecht daran erinnert. Denn geht man weiter durch die beeindruckenden hohen und mit dezentem Stuck versehenen Räume der Galerie, eröffnet sich einem ein museumartiges Ambiente. Nicht zuletzt suggeriert durch die weißen Bänke in der Mitte der Räume, ein Wunsch des Künstlers, die zum Verweilen vor seinen Gemälden, seinen “Alten Meistern” mit zeitgenössischem Inhalt, einladen.
Es ist eine Bandbreite an Themen, an Gedanken und Inspirationen, die dem französischen Künstler durch sein Umfeld, seinem Partner, seinen Vertrauten wie dem US-amerikanischen Installationskünstler Oscar Tuazon und befreundeten Künstlerinnen wie Lili Reynaud Dewar oder eben Puppies Puppies gegeben wird. Dabei behandelt Rivrain nicht nur eine Vielfalt an Sujets, die unser heutiges Weltbild bestimmen, wie die Auseinandersetzung mit Transgender, Queerness, BPoC, der Abhängigkeit von digitalen Medien, sondern rückt diese ins Zentrum seiner Malerei.
Er bringt sie in den Fokus, ersetzt Manets Frau aus dessen “Déjeuner sur l’herbe” durch den nackten allein mit Tattoos bekleideten Oscar Tuazon. Genauso erinnert die Pose der Performancekünstlerin und Mitbegründerin des New Yorker Nightlife-Projekts “Shock Value”, Juliana Huxtable an da Vincis “Dame mit dem Hermelin” oder an dessen “Belle Ferronière”. Die neue “Schöne” ist nicht mehr nur Mätresse des französischen Königs Franz I. wie die “Belle Ferronière”, sondern ist heute vielfältiger, sie kann alles sein und ist vor allen Dingen selbstbestimmt.
Und mitten drin ist er, Cédric Rivrain, ein kleines Selbstbildnis des Künstlers, der mit stahlblauen Augen auf das Geschehen um ihn blickt. Vor allem aber den sehnsüchtigen wie melancholischen Blick seines Partners Rodrigue Fondeviolle aufnimmt, dessen Porträt ihm im Raum direkt gegenüber hängt. Fondeviolle, wie eine zeitgenössische Mona Lisa vor einer weiten Meereslandschaft im Hintergrund hält eine Rose in der Hand, in der Kunstgeschichte schon seit der Antike Symbol für Liebe und Schönheit.
Die Weite des blauen Hintergrunds in Fondeviolles Porträt nimmt Rivrain fortkehrend verändert auf, immer wieder zeigt sich ein Fenster im Hintergrund der Gemälde, ein Laptopbildschirm oder aber eine Spiegelfläche. Dies sind Projektionsflächen, die sinnbildlich für eine thematische Öffnung, für ein sich Hinwegsetzen über gesellschaftlichen wie gedanklichen Grenzen und Normen stehen können. Anregend, berührend und voller Ästhetik lassen Rivrains Zeitgenössische Meister seine erste Solo-Show bei Fitzpatrick zu einer der besten “musealen” Ausstellungen zum Ende des Jahres in Paris werden.
WANN: Die Ausstellung “Belle Main” ist bis Samstag, den 22. Januar 2022, zu sehen.
WO: Fitzpatrick Gallery, 123 Rue de Turenne, 75003 Paris.