Blue Screen, Blue Love
Alexander Scharf im Rosa Stern Space

7. April 2021 • Text von

Alexander Scharfs Ausstellung “JASON” im Rosa Stern Space zeigt die Social Media Geschichte von Jason und seiner schönen Nachbarin Galateia. Eine voyeuristische, geheime Liebe, die gedanklich immer mehr ins gewaltvolle Extrem, in den Horror abdriftet. Unsere Gastautorin Felicia F. Leu hat mit Alexander darüber gesprochen.

Alexander Scharf, Jason, 2021, Standbild aus der Zweikanal-Videoinstallation „Be My Baby“.
Alexander Scharf, Jason, 2021, Standbild aus der Zweikanal-Videoinstallation „Be My Baby“. Courtesy the artist.

Alexander Scharf, Meisterschüler von Alexandra Bircken an der Akademie der Bildenden Künste München, entwirft in seiner Installation “JASON” ein emotional-beklemmendes Horror-Szenario einer vermeintlich alltäglichen Obsession. Während die Besucher*innen auf einer Tribüne Platz nehmen, läuft gegenüber eine Zweikanal-Videoinstallation, die durch digital animierte Charaktere, visuelle Effekte und Soundteppiche eine bedrohliche Spannung heraufbeschwört.

gallerytalk.net: Hast Du eine Faszination für Horrorfilme?
Alexander Scharf: Früher habe ich viel Stephen King gelesen und vor einem Jahr habe ich dann meine Faszination für Horror und das Prinzip der Angst wieder gefunden. 

Installationsansicht Alexander Scharf Jason im Rosa Stern Space
Alexander Scharf, Jason, 2021, Rosa Stern Space München. Foto: Mathias Zausinger.

Und wovor hast Du Angst?
Schwierige Frage. Ich habe die Ausstellung auch gemacht, weil ich von der Vorstellung der wahren Liebe abgekommen bin, dass man sich total darin verlieren kann und dass es sich immer richtig anfühlt. “JASON” ist eine Auseinandersetzung mit Liebe, nicht, weil es jeden betrifft, sondern weil es mich gerade betroffen hat. Aber diese große Angst allein zu sein, kann jeder haben. Bezüglich des Jason-Charakters, der ja auch nur alleine funktioniert, verdichten sich diese Gedanken in der Arbeit.

Wie bist Du an die Konstruktion dieser tragischen, einseitigen Liebesgeschichte von Jason und Galateia herangegangen?
Generell verorte ich in meiner Kunst popkulturelle Standards: Jason ist ein beliebtes Halloween-Kostüm, aber die Wenigsten wissen etwas über ihn, außer dass er ein Serienmörder ist. Zum Beispiel, warum er diese tragische Person darstellt: Nach dem Verlust der engen Beziehung zu seiner Mutter – er hat gesehen, wie sie enthauptet wurde – ist er nicht mehr in der Lage eine normale Beziehung aufzubauen und übt sich nur noch in Rache. Das ist die Geschichte des Franchise der „Freitag, der 13.“-Horrorfilme. Die Filmreihe hat so viele Logikfehler, dass sich das Kreieren eines additiven Narrativs für mich als Konsument der Figur „Jason“ ganz natürlich angefühlt hat. Ich verorte Jason nicht als Mörder, sondern in einer Zeit davor. Ich will dem Teenager noch einmal eine Chance geben, sich wirklich verliebt zu haben, aber leider ist es nur eine geheime Liebe

Videoinstallation Be my Baby von Alexander Scharf
Alexander Scharf, Jason, 2021, Zweikanal-Videoinstallation „Be My Baby“, Foto: Alexander Scharf.

Inwiefern ist diese Liebe nur geheim?
Ich positioniere Jason in unserer Neuzeit, in der wir unsere Geliebten nicht nur im Geheimen durch ein Fenster, sondern auch ganz entspannt über diverse Displays digital bewundern können. So findet auch Jason’s Liebe statt, weil er sich gar nicht trauen würde, real auf Galateia zuzugehen. Das kommt im Teenageralter oft vor, dass sie etwas anhimmeln, das unerreichbar scheint und sich dann ausgegrenzt fühlen, weil der konsumierte Glanz für sie selbst nicht reproduzierbar ist. Das habe ich versucht zu konstruieren. 

Wie nutzt Du also Screens und Social Media in “JASON”?
In der Ausstellung nutze ich das Interface der Instagram-Story: Wenn die Musik anfängt, ist das der Aufmerksamkeitsmoment. Diese Art der Darstellung habe ich in die Länge gezogen, um die Charaktere der Beiden zu zeigen. Aber es bleibt komplett in dieser digitalen Welt, in der Gedankenwolke und Vorstellungskraft von Jason. Ich finde er hat einen sehr poetischen Ansatz, wie er hasst und theoretisch Gewalt üben kann: “blue screen, blue love, love is supposed to be red…blood is red.”

Alexander Scharf, Jason, 2021, Standbild aus der Zweikanal-Videoinstallation „Be My Baby“.
Alexander Scharf, Jason, 2021, Standbild aus der Zweikanal-Videoinstallation „Be My Baby“. Courtesy the artist.

Wie hast Du Jasons und Galateias digitalen Auftritt genau kreiert?
Ich arbeite mit der Idle Animation aus dem Bereich des Gamings, dieser Funktion eines Algorithmus‘, der darauf wartet, aktiviert zu werden: Die Figur steht, hat aber trotzdem ein Eigenleben. Diese Art von wenig Movement und Reaktion finde ich beschreibend für das, was auf TikTok passiert. Ich sehe die Person zwar in Aktion, aber sie könnte auch nichts machen, wenn sie eben gerade kein TikTok Video macht. Hinter der Kulisse eines Bildschirms ist immer diese Idle Animation da. Ich wollte, dass es auf jeden Fall in dieser Künstlichkeit bleibt, an der Oberfläche der Gaming Charaktere, diese gewisse Distanz vorgebend, dieses Uncanny Valley Syndrom, zwischen einer wahren Erzählung, und dem was man zu Gesicht bekommt.

Du hast ihnen ihre Mimik über Motion Tracking verliehen, also Deine Gesichtsausdrücke aufgenommen und sie virtuell für Jason und Galateia eingespielt. Welchen Charakter hast Du ihnen gegeben?
Für Galateia habe ich “Flirty”, “Souverän”, “Erschrecken”, “Gähnen”, “Normal” und “Skeptisch” eingespielt. Jason hat Mimik, man sieht sie nur nicht so wegen der Maske: Da gibt es Kopfschütteln und stark den Versuch möglichst crazy zu wirken. Man kann in der Bearbeitung dann noch eine emotionale Leiter heruntergehen und justieren. Ich habe die Emotionen heruntergedreht.  

Tribüne mit baby Sinclaire und Popcorn in Alexander Scharfs Ausstellung Jason
Alexander Scharf, Jason, 2021, Rose Stern Space München. Foto: Mathias Zausinger.

Ich finde dieser Ansatz ist gegensätzlich zu dem, was Leute eigentlich auf Social Media machen, sie “overperformen” eher in ihren Stories und vor den Screens gehen die Emotionen hoch, nicht runter. Zeigst Du die Realität hinter dieser digitalen Welt, aber gleichzeitig auch in ihr?
So ist das letztendlich gemeint. Ich wollte die Charaktere abbilden, in der Welt, in der sie sich befinden, aber mit einem Screen, mit einer Distanz davor. Das geht sehr gut durch eine vertikale Drehung der Bildschirme, durch die Festsetzung von dem Bild und dem Hervorheben der Musik als Rückzug aus der Realität. 

Sind die sozialen Medien für Dich also ein zwischenmenschliches Horrorszenario?
Das kommt glaube ich auf das Gefühl an, in dem ich mich gerade befinde und wie ich Social Media  benutze. Ich bin ein normaler User und hinsichtlich meiner Kunstpraxis  lässt sich das, auch unserer Zeit geschuldet, nicht mehr so stark trennen. Aber ich bewundere immer noch, dass Leute denken, es wäre möglich Aufmerksamkeit zu bekommen, ohne ein soziales System außerhalb der Social Media zu benutzen. Das ist stark damit verknüpft, dass die Welt des Internets eine “second library” für uns ist, in der wir eine Person formen. Ich stehe dem nicht direkt kritisch gegenüber, aber man muss aufpassen, dass man immer noch bei sich im realen Leben bleiben kann, wenn man sich einen zweiten Charakter kreiert. 

Alexander Scharf, Gen Pool Baby Extrem, 2019, Akademie Galerie München. Foto: Alexander Scharf.

Wie hier mit dem Phänomen der sozialen Medien, setzt Du Dich immer wieder mit unserer Gesellschaft und ihren Extremen auseinander. Eine andere Arbeit von Dir, GENPOOL BABY EXTREM“, beschäftigt sich mit Gesellschaftsoptimierung. Wie findest Du Deine Themen und was beeinflusst Dich in Deinem Arbeitsprozess?
Ich wähle Themen, die mich persönlich und dringlich beschäftigen: Science Fiction, Optimierung von Leben, Popkultur, Popsongs, Film. Der Kosmos, in dem ich mich befinde, hat viel damit zu tun, wie ich Themen aufarbeite. Ich bin Fan von Sachen und habe in meiner Kindheit Dinge visuell aufgesaugt. Ich würde mich als Fernsehkind bezeichnen und bin einfach der bunten grellen Popwelt ausgeliefert, weil die flimmernden Bilder für mich am interessantesten sind.

Wenn wir jetzt also aus dem Video als fiktivem Raum in dieses reale Leben gehen, nehmen die Besucher*innen in Deiner Installation auf einer Tribüne Platz und tauchen in die unheimliche Welt von “JASON” ein, werden mit ihm zum Voyeur der Galateia. Welche Rolle haben die Betrachter*innen in Deinem Szenario?
Ich versuche einen Mikrokosmos zu schaffen, in dem sich Personen integrieren, in dem Betrachter*innen keine Wahl haben, als das zu sein, was ich ihnen auferlege: das Klischee der Kleinstadt, das “sich-mit-anderen-Menschen-über-andere-Menschen-unterhalten”. Die Betrachter*innen werden durch die raumeinnehmende Tribüne sitzend aktiviert, werden so zu diesem Highschool-Klischee der Gossip Girl Clubs, die sich in dem Sportfeld-Szenario bewegen, und kommentieren, aber sich mit den eigenen Problemen am Wenigsten auseinandersetzen. Und obwohl das im dreidimensionalen Raum stattfindet, ist es für mich von der Emotion her oberflächlicher als das Video, sich als Nutznießer einer tragischen Liebe und von bösen Gedanken zu nähren.

Alexander Scharf in seiner Ausstellung Jason mit baby Sinclaire
Alexander Scharf, Jason, 2021, Rosa Stern Space München. Foto: Mathias Zausinger.

Und was hat es mit dem Dino auf sich?
Das war ein Must-Have für mich zu Anfang der Corona Zeit. Ich wohne allein und “Die Dinos” war die Lieblingsserie von meiner Schwester und mir, die mir auch als kleines Kind eine krasse Angst eingejagt hat. Der Dino ist ein Trick, um Leute zu aktivieren auf die Tribüne zu gehen. Ich nennen ihn den Spielemacher oder den Strippenzieher. Er ist Ich übersetzt in Jetzt, in ein Nicht-Allein sein.

Momentan befinden wir uns alle in einer extremen Ausnahmesituation, sind einer virtuellen, zwischenmenschlichen Scheinwelt ausgeliefert. Hast Du abschließend einen Tipp, wie man aktuell aus der digitalen Isolation herauskommen könnte? 
Kunst konsumieren und sie auch selber machen. Davon bin ich ein großer Verfechter: Zeichnen, immer zeichnen, das ist die persönlichste Sache. Bevor Du jetzt eine TikTok Choreographie einstudierst, würde ich Dir sagen: Mach ein Skizzenbuch voll. Ich glaube da lernst Du mehr über Dich.

Mehr Informationen zu einer die Ausstellung begleitenden Edition gibt es bald auf der Website des Rosa Stern Space, ihrem Instagram-Account  oder auf dem Instagram-Account des Künstlers.

WANN: Die Ausstellung läuft bis zum Samstag, den 24. April 2021. Aktuelle Infos zu Besichtigungen, falls unter den vorgegebenen Richtlinien möglich, gibt es unter info@rosastern.space.
WO: Rosa Stern Space, Belgradstr. 76, 80804 München.

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