Auf den Fährten Weißer Mythologen
Matthew Barney bei Max Hetzler

29. September 2021 • Text von

Matthew Barneys erste Einzelausstellung bei Max Hetzler ist ein Gesamtkunstwerk. Mit dem dazugehörigen Film „Redoubt“ begibt er sich auf die Spuren rechtsextremer Separatisten in Idaho. Schlüsselarbeiten des Werkes sind aber eine Serie zarter und gleichzeitig martialischer Zeichnungen.

Installationsansicht, Matthew Barney, After Ruby Ridge, 2021, Galerie Max Hetzler, Berlin © Matthew Barney Foto: def image. Courtesy of the artist and Galerie Max Hetzler, Berlin | Paris | London

Aus der Vogelperspektive ist eine Frau mit lackschwarzen Haaren, die kaum stärker in Kontrast zu ihrem aufleuchtend weißen Kleid stehen könnten, erkennbar. Mit verschränkten Armen steht sie auf einem Sandfeld, umgeben von Gestrüpp, einer provisorisch aussehenden Hütte, die lediglich aus einem Dach und einer Rückwand besteht, und einem Stapel grob gehacktem Holz. Das Überwachungsfoto von 1992 ist die letzte Aufnahme von Vicky Weaver, damalige Frau des rechtsextremen Rassisten, Randy Weaver, bevor sie von einem FBI-Sniper erschossen wurde. Nach 14 Jahren zeigt Matthew Barney seine erste Einzelausstellung „After Ruby Ridge“ bei Max Hetzler, die nach der Belagerung von Ruby Ridge, bei der Vicky Weaver starb, benannt ist. 

Installationsansicht, Matthew Barney, After Ruby Ridge, 2021, Galerie Max Hetzler, Berlin © Matthew Barney Foto: def image. Courtesy of the artist and Galerie Max Hetzler, Berlin | Paris | London

Ruby Ridge ist der Name des Gebietes in Idaho, in dem die 11-tägige Belagerung von US-Marshalls und dem FBI stattfand. Der Grund dafür: Randy Weaver verhaften, der mehrere Treffen der terroristischen Organisation „Aryan Nations“ besuchte, die an die Superiorität von Weißen glaubt und einen neuen Staat, in dem die „white race“ herrscht, gründen will. Bis 2001 gehörte der separatistischen Gruppe ein von bewaffneten Mitgliedern geschütztes Gelände in Idaho – der Staat in dem auch Barneys Film „Redoubt“ spielt, der untrennbar in die Ausstellung bei Max Hetzler eingebettet ist. „Redoubt“ zeigt von Waffen, Martialität und dem American-Frontier Mythos geprägte Szenen, die für Randy Weavers Kreise entsetzende Realität sind. Der Film, den man sich im Rahmen der Ausstellung auch im Charlottenburger Kino Filmkunst 66 anschauen kann, spielt in den Sawtooth-Bergen in Idaho, ein Teil der Rocky Mountains. 

Installationsansicht, Matthew Barney, After Ruby Ridge, 2021, Galerie Max Hetzler, Berlin © Matthew Barney Foto: def image. Courtesy of the artist and Galerie Max Hetzler, Berlin | Paris | London

In „Redoubt“ streichen Wölfe durch verschneite, isolierte Bergregionen, Menschen tanzen – Tierbewegungen nachahmend – und befinden sich schwerbewaffnet und in Tarnkleidung zwischen einer Unzahl an Bäumen mit schwarzen Verästelungen auf Streife. Die bedrohlich mystische visuelle Sprache des 2018 erschienen Filmes setzt Barney in der Ausstellung fort – partiell erinnernd an Fantasy-Computerkriegsspiele.

Die Schlüsselwerke von „After Ruby Ridge“ sind aber nicht die zwei riesigen Skulpturen „Bore“ und „Bole“, die sich vertikal in die Galerieräume einstampfen, wobei eine der beiden, „Bole“, einen Originalstamm eines in Idaho gefällten Baumes enthält. Keimzellen, Katalysatoren und Konserven des Gesamtkunstwerkes – bestehend aus „Redoubt“, den Werken der Ausstellung, einer in der letzten Woche in Basel stattgefundenen Performance von Barney und Jonathan Epler sowie mehreren Diskursveranstaltungen – sind Barneys Zeichnungen. Mit ihnen begann er das mehrjährige Projekt und schloss es mit ihnen auch wieder ab. 

Matthew Barney, Lodgepole Stand, 2021, gouache on paper in polyethylene frame © Matthew Barney, Foto: def image. Courtesy of the artist and Galerie Max Hetzler, Berlin | Paris | London

Der erste Ausstellungsraum zeigt daher ausschließlich Zeichnungen, die die Motivik des Films nicht nur etablierten, sondern jetzt auch fortführen und einem anderen Setting aussetzen. Zu sehen sind weite, feinlinig gezeichnete Berglandschaften, schimmernde Totenschädelgestalten und ein Wolf, der von einer kosmologisch anmutenden Kreisspur umrahmt wird. Die aus Polyethylen bestehenden Rahmen sind in der exakt gleichen Farbe wie das jeweils pinke, violette oder gelbe Zeichenpapier. Hier wird deutlich, dass Barney jedes einzelne Element, dass auf welche, zunächst sekundäre, Art und Weise auch immer, zu seiner Arbeit gehört als inhärenten Teil des gesamten Werkes sieht und einen deutlich sichtbaren, kohärenten Zusammenhang herstellt. Erst im letzten Raum sind in den Arbeiten auch explizit sexuelle Szenen zu sehen. Von lachsfarbenen Rahmen mit maschinenartigen Einkerbungen umgebenen, zeigen sie unter anderem eine im Wald liegende, exponierte Vagina – der Rest des Körpers scheint nicht existent zu sein ­– zwei Wölfe, die sich fortpflanzen und einen anderen Wolf, der eine Frau mit seiner Zunge befriedigt. Die Zeichnungen am Anfang geben einen sanften, subtilen, fast schon technischen Einstieg – wenn man die zahlreichen Messlinien beachtet, die in die Motivik eingreifen –, der am Ende in (männlichen) sexuellen Fantasien seinen Höhepunkt findet.

„After Ruby Ridge“ ist nur ein Teil von Barneys Gesamtkunstwerk, das sich um die Themen und Visualität von „Redoubt“ spannt. Es ist die Darstellung bizarrer amerikanischer – häufig rechtsextremer ­­– Mythologien, die vor allem in isolierten Gegenden mit der dazu passend mystischen Landschaft florieren. Und somit auch die Darstellung der ambiguen und seltsamen Suche weißer, rassistischer Separatisten nach (kultureller) Identität, die sie in Gewalt und einem perversen Überlegenheits-Komplex finden. 

WANN: Die Ausstellung läuft noch bis Samstag, den 6. November.
WO: Galerie Max Hetzler, Bleibtreustraße 45, 10623 Berlin.

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