Entblöß' dich!
"Private Exposure" im me Collectors Room

20. Juni 2016 • Text von

Nackt sitzt sie im Raum, die Frau. Und damit haben wir den Salat. Wie nah darf man ihr kommen? Anfassen geht wohl nicht. Aber vielleicht ein schneller Gucker zwischen die Beine? Die Ausstellung „Private Exposure“ im me Collectors Room spielt mit der Macht des Blickes.

"Private Exposure" Installationsansicht, 2016 © me Collectors Room Berlin, Foto: BerndBorchardt.

“Private Exposure” Installationsansicht, 2016 © me Collectors Room Berlin, Foto: BerndBorchardt.

Die Kunst schaut zurück – gleich beim Betreten des me Collectors Rooms eröffnen verschiedene Positionen einsehbar aus Café und Shop den Dialog mit dem Besucher. Da ist noch nicht einmal die Eintrittskarte bezahlt, so ist es zumindest gedacht. Wenn die Sonne nicht gerade ungünstig in den Fensterscheiben des Hauses reflektiert, lässt sich bereits von der gegenüberliegenden Straßenseite aus im ersten Stock John Andreas Skulptur, die nackte „Sitting Woman“, entdecken. Die lebensgroße Figur sieht so echt aus, da will man später genauer hinsehen.

Zum fünften Mal durften junge Kuratoren mit Stücken der Sammlung Olbricht eine Ausstellung realisieren. „Private Exposure“ ist das Ergebnis intensiver Arbeit von Fabiola Flamini, Eilidh McCormick und Alice Montanini – und insgesamt ziemlich gelungen.

Evan Penny: No one - in particular # 15, Series 1, 2005. © Evan Penny, Courtesy Sperone Westwater, New York.

Evan Penny: No one – in particular # 15, Series 1, 2005. © Evan Penny, Courtesy Sperone Westwater, New York.

Wir wollen ehrlich sein. Das Thema scheint zunächst einmal ziemlich konstruiert. Man will Ausstellungsraum und Straße verbinden, mit der Architektur der Räumlichkeiten spielen – alles schon mal gehört. Doch dann schlägt sie zu, die angepriesene Macht des Blickes: Während der Besucher die Augen frei im Raum herumwandern lässt, wird er anvisiert von einer der Arbeiten.

„No one – in particular“ etwa schaut mit leerem Blick und rotem Strubbelkopf gleichermaßen nichtssagend und doch unbedingt ansprechend von der Wand in den Raum. Es ist weniger der Ausdruck im Gesicht der Büste von Evan Penny, vielleicht sind es allein die realistischen Gesichtszüge, die einen sofort eine Geschichte für das fremde Ding gegenüber spinnen lassen. Und schon sind ein paar Minuten vorbei und wie lange steht man mal mehr als wenige Sekunden vor einer Arbeit?

Jian Zhang: Square No.3, 2005, Courtesy: Galerie Frank Schlag & Cie., Essen.

Jian Zhang: Square No.3, 2005, Courtesy: Galerie Frank Schlag & Cie., Essen

Jian Zhangs Gemälde „Square Nr. 1“ zieht den Betrachter dank geschickter Hängung auf Augenhöhe direkt in eine Menschenmasse, Leigh Ledares Fotografie „Mom Spread with Red Heels“ lenkt den Blick direkt auf die Genitalien seiner eigenen Mutter. Mögen einem solche Aufnahmen von pornografischem Material bekannt sein, manifestiert sich in dem Motiv in diesem Fall jedoch nicht der „Male Gaze“ – im Gegenteil: So viel Selbstbewusstsein im Ausdruck der Frau wandelt gewohnte Anstößigkeit zu einem kraftvollen Instrument, dass den Besucher beschämt den Blick zu Boden richten lässt.

Wer „Private Exposure“ besucht, bleibt nicht nur Betrachter. Er wird Voyeur, wenn ihn etwa bei Johannes Kahrs Ölgemälde „Untitled (shower LA“) eine Nackte durch die beschlagene Duschscheibe entdeckt. Er wird Objekt, wenn ihn Tony Ourslers Video-Augapfel „Trance“ vom Boden her beschielt. Und er wird Teil der Kunst, wenn er sich initiiert von Pipilotti Rist auf der Frauentoilette der besonderen Art, „Closet Circuit“, beim Pinkeln filmen lässt.

Johannes Kahrs. Untitled, 2005 © VG Bildkunst Bonn 2016.

Johannes Kahrs. Untitled, 2005 © VG Bildkunst Bonn 2016.

„Private Exposure“ schafft intime Momente, in einem Raum, der alles andere als privat ist. Dem Kuratoren-Team ist es tatsächlich, gelungen, gängige Besucherroutine stellenweise aufzubrechen. Für einen Augenblick kann ihre Ausstellung die Gäste nackt machen vor der Kunst, nackt vor fremden Menschen und vor allem nackt vor sich selbst.

WANN: Die Ausstellung „Private Exposure“ läuft noch bis Mittwoch, den 22. Juni.
WO: me Collectors Room, Auguststraße 68, 10117 Berlin

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