Das bewegte Bild

18. Dezember 2015 • Text von

Berlin ist die Stadt für zeitgenössische Kunst in Deutschland, vielleicht in Europa. Was das eigentlich ist, was wir als Moderne bezeichnen, kann man zuweilen zwischen Vernissagen und Finissagen vergessen. Die Deutsche Bank Kunsthalle realisiert mit “Jackson Pollock’s Mural – Energy made visible” eine Ausstellung, in der nicht nur ein Gemälde gezeigt wird, dessen Versprechen größer ist als die sechs Meter lange Leinwand, sondern auch viele Aspekte der Moderne in sich vereint.

Während in der Zeitung in regelmäßigen Abständen neue Enthüllungen über das größte deutsche Kreditinstitut ans Licht kommen, während Unter den Linden eine fortwährende Baustelle ist – gesäumt von Kommerz in prunkvollen Bauten, ist die Deutsche Bank Kunsthalle in diesem Winter eine Rückzugsort. Auf begrenztem Raum wird die Geschichte einer Utopie erzählt, ein Märchen einer kraftvollen Geste inmitten den 2. Weltkriegs.

Im Zentrum der Ausstellung und deren Titel steht eines der berühmtesten Gemälde des amerikanischen Malers Jackson Pollock, entstanden im Sommer 1943 im Auftrag von Peggy Guggenheim für die Eingangshalle ihrer Residenz in der East 61st Street in New York. Doch bevor wir die Ehre haben den Tableau gegenüberzustehen, versucht der Kurator Dr. David Anfam mithilfe einer Auswahl von Bildern dessen Genese zu illustrieren. Es sind keine Aufnahmen von Pollock in seinem Atelier – verschwitzt an einem heißen New Yorker Sommertag ein Bild unter körperlicher Anstrengung fertigzustellen. All das kam später. In den 1940er Jahren war der dreißigjährige Maler noch auf der Suche nach seinem eigenen Stil. Die Gemälde aus jener Zeit, welche in der Ausstellung zu sehen sind, wie zum Beispiel Bird Effort, zeigen anthropomorphe Formen in gemäßigten Farben, von starken Konturen begrenzt. Der Einfluss von Pollocks Lehrer, dem Landschaftsmaler Thomas Hart Benton, ist nur noch in dem Wechselspiel aus horizontalen, konkaven und konvexen Linien zu erahnen. Stattdessen muss man sofort an Willem de Kooning, Pablo Picasso und vielleicht auch an Wassily Kandinsky oder Ernst Ludwig Kirchner denken. Dies ist die eine Inspiration, die die Ausstellung in dem ersten Raum präsentiert: Der Einfluss der europäischen Avantgarde auf die Anfänge des Abstrakten Expressionismus in Amerika. Emigrierte Surrealisten demonstrierten ihre Bildschöpfungen des Unbewussten und ebneten so den Weg für die fortschreitende Abstraktion.

Die gegenüberliegende Wand ist von schwarz-weiß Fotographien bedeckt. In verschiedenen Größen sind sie versetzt übereinander gehängt, sodass ein Flickenteppich des zweiten wichtigen Einflusses für Jackson Pollocks Mural entsteht. Die von Eadweard Muybridge festgehaltenen Bewegungsabläufe von Menschen und Tieren erscheinen vor unserem inneren Auge, wenn wir an die Anfangszeit der Fotographie als Kunstform denken. Bei dem Großteil der Fotografien handelt es sich jedoch um Lichtmalerei, nämlich wenn mit Licht in der Dunkelheit gemalt und dessen Bewegung bei einer langen Belichtungszeit als Einziges auf der Fotografie festgehalten wird. Verwandelt man diese weißen Serpentinen, Kreise und Ovale in schwarze Konturen, füllt man sie mit Farbe und multipliziert man sie um eine sechs Meter lange Leinwand zu bedecken, ist dies eine ziemlich gute Annäherung an Mural.

Der Titel des Bildes ist neben den erklärenden Texten der einzige Verweis auf den dritten Einfluss, dem Pollock ausgesetzt war: Die Wandmalereien des mexikanischen Muralismo, dessen Hauptvertreter José Clemente Orozco, David Alfaro Siqueiros und Diega Rivera – der Mann von Firda Kahlo – hatten eine große Wirkung auf den Abstrakten Expressionismus, mitunter weil ihre Bilder eine klar politische Haltung vermittelten, welche von den links orientierten amerikanischen Künstlern geteilt wurde.
In dem Hauptausstellungsraum erzielt die immense Größe von Jackson Pollocks Mural leider durch hohe Wände und andere großformatige Malereien nicht dieselbe Wirkung wie vermutlich im Sommer ’43 in New York.  Zu sehen ist eine regelmäßige Wiederholung desselben Motivs, einer anthropomorphen Form – vielleicht einer tanzenden Frau mit akzentuierten Kurven. Diese Kurven bilden den Gegenpol zu der horizontalen Ausrichtung des Bildes, welches mehr einer Landschaft ähnelt als einer Figurendarstellung. Der Betrachter wird in die Bildfläche hineingezogen trotz der Vernachlässigung jeglichen Tiefenraumes. Das ganze Blickfeld wird von der Bewegung, von der Energie eingenommen, die Pollock in Mural darzustellen versuchte. Bei genauerem Hinsehen sind erste Tropfen zu sehen, aber die Kunstgeschichte will ja eigentlich nicht wissen, wer der Erste war.

In seinem weiteren Schaffen wird der Akt des Malens und dessen Zufälligkeit immer wichtiger für Pollock werden, er wird als der Vertreter des Action Paintings diesem treu bleiben und dementsprechend im Folgenden auf die Wiederholung eines anthropomorphen Motives wie in Mural verzichten. Pollocks Hauptwerk enthält jedoch keinen Einzug in die Ausstellung, stattdessen wird die amerikanische Rezeption von Mural dem Original gegenübergestellt. Zunächst durch ein abstraktes Gemälde seiner Frau Lee Krasner, welches weniger deren individuellen künstlerischen Stil veranschaulicht, als mehr den männlich-heroischen Einfluss Pollocks. Gleichzeitig konkurriert eine Leinwand von Pollocks Zeitgenossen Robert Motherwell mit Mural: Beide großformatigen Malereien haben eine ungeheure Präsenz, wenn man ihnen gegenüberstellt, wobei Motherwell grobschlächtige, tiefschwarze Formen verwendet, die als Zeichen auf weißem Grund Tiefenraum und Illusionismus in jedweder Form negieren. Auch die darauffolgende Künstlergeneration der USA ist mit Andy Warhol prominent vertreten: Größe und Komposition des Bildes Yarn Painting erlauben es, dieses in Beziehung zu Mural zu sehen, während die verwendete Technik einen Gegenpol zu Pollock bildet. Siebdruck auf Acryl. Dieses Verfahren steht dem Action Painting diametral gegenüber – gedachte statt gemachte Kunst. Die eingangs gestellte Frage danach, was Moderne eigentlich ist, wird von dem Jetzt nur kümmerlich beantwortet, von David Reeds Gemälde #600-3 vertreten.

Natürlich muss man über die historischen Umstände sprechen, die bedingt haben, dass während des 2. Weltkrieges die erste genuin amerikanische Kunstströmung entstand. Aber wer an kalten (oder warmen) Wintertagen in die Deutsche Bank Kunsthalle geht, Pollock, Motherwell und ihren Zeitgenossen gegenübersteht, kann auch einfach nur die intensive Kompromisslosigkeit ihres künstlerischen Schaffens bewundern und über die Geradlinigkeit und Bedingungslosigkeit dieser Revolution der Malerei staunen. Danach Abwarten und Tee trinken in der Hoffnung, dass Ähnliches bald wieder passiert.

WANN: 25. November 2015 – 10. April 2016, 10-20 Uhr 
WO: 
Deutsche Bank KunstHalle, Unter den Linden 13/15, 10117 Berlin
!: Montags Eintritt frei

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