Albino-Schlange auf LED-Screen Susi Gelb über "No such things grow here"
21. Juli 2017 • Text von Benita Mutschler
Die Münchner Innenstadt verwandelt sich diesen Sommer in eine symbiotische Landschaft aus organischen pflanzlichen Elementen und technischem Fortschritt. Susi Gelb visualisiert in ihren entrückten Environments ihr ganz eigenes künstlerisches Denken.
Auf dem Odeonsplatz hat sie Pflastersteine ausgehoben und an deren Stelle eine echte Palme in den Boden eingepflanzt. Auf dem Opernvorplatz zeigt sie auf einem riesigen LED-Screen ein Video, das im Dschungel von Sri Lanka gedreht wurde. Umgeben von Pflanzen laden Liegen aus temperaturempfindlichem Material zum Verweilen ein. Am Lenbachlatz bespielt Susi Gelb die Plakatwand aus der Ausstellung „A space called public“. Soweit eine Kurzzusammenfassung des Projekts „No such things grow here“, mit dem die Münchner Künstlerin gleich drei wichtige Plätze der Innenstadt bespielt und uns in ihr eigenes Universum eintauchen lässt.
Für wen kreierst du deine Environments?
Meine künstlerische Welt ist ein innerer Gesamtkosmos, der arbeitet und lebt. Wie ein Wurzelwerk oder Dickicht. Er stellt mein eigenes Archivierungs- und Klassifizierungssystem dar. Ein ästhetisches, inhaltliches sowie konzeptuelles Geflecht.
Also deine Art künstlerisch zu denken?
Genau. Mich reizt die Tatsache, dass in diesem inneren System zwar verschiedene Ebenen vorhanden sind. Diese bilden aber keine Hierarchien ab. Schon in der Schule bin ich mit linearem Lernen nicht zurechtgekommen. In meiner Herangehensweise sind die Dinge nicht kausal oder narrativ miteinander verknüpft.
In deinem Gedankengeflecht sind alle Komponenten gleichberechtigt?
Ich habe irgendwann ein Buch gefunden, dass diese Art des Denkens kunsttheoretisch als Rhizom benennt. Das war für mich ein künstlerischer Schlüsselmoment und folgte für mich einer viel natürlicheren Logik. Kein Hauptstamm, von dem Äste abgehen. Vielmehr ein Netzwerk, in dem die einzelnen Stränge miteinander gleichberechtigt kommunizieren.
Greifst du zur Realisierung deiner Projekte auf Teile dieses Rhizoms zu?
Kunst ist für mich ein Suchhorizont. Meine Arbeiten beruhen darauf, Teile dieses Dickichts nach Außen zu tragen und zu visualisieren. Stellenweise ist es unüberschaubar und ich laufe Gefahr mich darin zu verlieren. Die Umsetzung trägt somit auch zu einer Ordnung der Gedanken und zum eigenen Verständnis bei.
Wenn du von Suchhorizont sprichst, steht dann hinter deiner Kunst auch ein Forschungsansatz?
Der logische Schritt meiner Herangehensweise ist die Forschung. Dabei konzentriert sich mein Ansatz auf die beiden Themen des Wachsens und der Transformation.
Auf welche Bereiche erstrecken sich diese beiden Inhalte?
Ich beschäftige mich schon seit Jahren mit alchimistischer Kunst, mit Chemie, Biologie und Kristallografie. Dabei setze ich mich mit Dingen auseinander, die ein Eigenleben führen. Ich verwende gerne Materialien, die ich nicht beherrschen kann und die mir als eigenständiges Individuum gegenüberstehen.
In deinen Installationen verwendest du aber nicht nur Pflanzen und Tiere sondern verarbeitest auch viel technisches Know-How.
Im technischen Bereich interessieren mich vor allem intelligente Materialien, die ohne Strom funktionieren und sich an ihre Umgebung anpassen. Am Opernvorplatz verwende ich zum Beispiel thermochromatische Fließen, die auf Temperaturschwankungen reagieren. An den Palmen hängt Formgedächtnisdraht, der an Bromelien erinnert. Das sind Gewächse im Dschungel, die eigenständig und ohne Kontakt zum Boden auf Bäumen wachsen.
Wie wichtig ist es dir dabei, dass der Adressatenkreis mit deiner Kunst interagiert?
Bei meiner Kunst dreht es sich um die Vernetzung von Lebewesen und die Belebung durch verschiedene Energieströme. Die Kunst entwickelt sich durch die Anwesenheit einzelner Individuen fort. Das könnte in einem Regenwald aber genauso stattfinden, wie in einer Fußgängerzone. Hier würde die Intervention dann einfach über Tiere stattfinden.
In einem Monat wird „No such things grow here“ bereits wieder abgebaut. Wie empfindest du diese Vergänglichkeit?
Allein dadurch, dass ich mit biologischen Elementen arbeite, ist die Vergänglichkeit Teil meiner Arbeit. Die Überzeugung, dass alles über Jahrhunderte unverändert bleibt oder bleiben soll, entspricht meiner Meinung nach nicht der Realität. Mit Blick auf die Zellteilung als Grundprinzip des Lebens wäre das auch ganz unnatürlich. Pantha rei: Alles ist stets in Bewegung und im Wandel.
WANN: Die offzielle Eröffnung von “No such things grow here” findet am 21. Juli um 19 Uhr am Max-Joseph-Platz. Das Projekt für Kunst im öffentlichen Raum wird bis zum 21. August zu sehen sein. Das Begleitprogramm findet ihr hier.
WO: Verteilt auf drei Plätzen in der Münchner Innenstadt: auf dem Max-Joseph-Platz, dem Odeonsplatz und dem Lenbachplatz.