Gescheiterte Wiedervereinigung
Henrike Naumann im IKOB in Eupen

24. Februar 2023 • Text von

Was verbirgt sich hinter den zahlreichen Vorhängen im IKOB – Museum für Zeitgenössische Kunst im Belgischen Eupen? In Henrike Naumanns Kulisse aus Möbelstücken lässt sich in titelgebender “Westalgie” und Ostalgie schwelgen, in die bunt glasierte Welt zur Zeit der Wiedervereinigung eintauchen. Doch immer wieder blitzen dunkle Gestalten, Parolen, Erinnerungen hintergründig auf, klopft es von unten an die Oberfläche.

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Ausstellungsansicht, Henrike Naumann, IKOB Museum für zeitgenössische Kunst, Foto: Lola Pertsowsky.

Der Blick streift überheblich Möbelstücke aus der Vergangenheit, die heute seltsam anmuten in Muster und Form. Pfeilförmige Schränke, ein Taschentuchhalter in Gestalt eines Sofas, ein Vorhang mit Mieder, die sich heute – wenn überhaupt – nur ironisch im Wohnzimmer platzieren ließen, früher hingegen mit Stolz besessen wurden. Darüber an den Wänden des IKOB – Museum für Zeitgenössische Kunst im belgischen Eupen hängen zahlreiche Uhren. Sie ticken anders, laufen vorwärts, rückwärts, bleiben stehen, fließen in surrealistischer Manier aus ihrer regulären Form.

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Ausstellungsansicht, Henrike Naumann, IKOB Museum für zeitgenössische Kunst, Foto: Lola Pertsowsky.

Fast unwillkürlich lässt sich zum Beispiel das ins Bett eingebaute Radiogerät belächeln, das damals State of the Art war, in James-Bond-Optik als golden überzogenes Luxusgut aus Plastik den technischen Fortschritt symbolisiert hat. In bunte Batik-Laken gehüllt finden Bewohnende zwischen zwei Röhrenfernsehern darauf Schlaf – oder auch nicht, wenn aus den Geräten beiderseitig die Ekstase schwappt. Gewaltexzesse von Neonazis stehen ausschweifendem Hedonismus in Partyatmosphäre gegenüber. Zwei scheinbar gegeneinander strebende Pole, zwischen denen sich die Künstlerin Zeit ihrer Jugend mit Heimat in Ostdeutschland gefangen fühlte.

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Ausstellungsansicht, Henrike Naumann, IKOB Museum für zeitgenössische Kunst, Foto: Lola Pertsowsky.

Als gelernte Set-Designerin lässt Henrike Naumann die Besuchenden zu Akteur*innen auf der Bühne werden, sie Kulissen und Requisiten zwischen titelgebender Westalgie” und Ostalgie nostalgisch durchstreifen. Immer wieder begegnen sich die Besuchenden dabei selbst, als Abbild in Spiegeln oder auf einer Tasse, die in Versalien das Wort “Ich” ziert. Absurd wird es, wenn auf einem winzigen Tisch eine Teekanne mit zwei Hälsen auf ihren Einsatz wartet, flankiert von zwei Bechern mit besitzanzeigenden Aufschriften. Ein klar voneinander getrenntes “Mein” und “Dein” ist Ausdruck von Kapitalismus innewohnender Egomanie sowie Größenwahn, der insbesondere auf dem stillgelegtem Tresen in einem Musterbuch erfahrbar wird.

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Ausstellungsansicht, Henrike Naumann, IKOB Museum für zeitgenössische Kunst, Foto: Lola Pertsowsky.

Unzählige Varianten von Tapeten in allen denkbaren Ausführungen lassen sich hier durchblättern, mit den Fingern über die schimmernden Erhebungen fahren. All das ist Ausdruck eines Versprechens, das dem Osten bei der Wiedervereinigung gemacht wurde. Ein Versprechen der unendlichen Möglichkeiten – falls man es sich leisten kann. Versprechen, die anfangs süß zu schmecken schienen, entpuppten sich jedoch bald als Lippenbekenntnisse aus Plastik und Pressspan, konnten sich zuweilen wie eine Bürde anfühlen. Der Ausdruck “Anschluss ’90”, wie es in Leuchtbuchstaben an der Wand geschrieben steht, spannt den Bogen zum Anschluss Österreichs im Jahr 1938, als die Nazis fahnenschwenkend begrüßt wurden. Es öffnet den Vorstellungsraum für ein Gedankenspiel: Was, wenn Österreich 1990 Teil der BRD geworden wäre?

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Ausstellungsansicht, Henrike Naumann, IKOB Museum für zeitgenössische Kunst, Foto: Lola Pertsowsky.

Leere Versprechen, die bis heute lasten, wenn aus der Kulisse vergangener Tage einer der Röhrenfernseher Einblick ins Heute gewährt und als flimmernde Gestalten Reichsbürger*innen, Verschwörungsmythiker*innen und Maskenverweigernde lautstark ihre Parolen kundtun. Gegengeschnitten wird das Ganze mit Szenen der Wiedervereinigung sowie dem Eingeständnis von Fehlern. Am Ende ertönt Xavier Naidoos “Dieser Weg” aus den Lautsprechern, wird hinterlegt von den geschriebenen Worten der alten Nationalhymne. Allzu nah fühlen sich die Diskussionen in den deutschen Wohnzimmern an, bei Familienfeiern mit Verwandten, die während der Pandemie scheinbar ganz plötzlich zweifelhafte Ansichten entwickelten. Solche, mit denen sie sich vielleicht auch vorher schon trugen, aber erst jetzt laut aussprachen.

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Ausstellungsansicht, Merle Vorwald, IKOB Museum für zeitgenössische Kunst, Foto: Lola Pertsowsky.

Nichts Neues in einem Land, das nach dem Krieg in alle Strukturen hinein von Nazis durchdrungen war. Ein Beispiel ist Merle Vorwalds Großvater, der auch in der BRD noch an rechtsradikaler Ideologie festhielt und die Künstlerin in ihrer Jugend mit einem jungen Neonazi verkuppeln wollte. Von Naumann eingeladen präsentiert Vorwald im IKOB nun ein Drehbuch, das die eigene Familiengeschichte aufarbeitet. Zugleich lässt sie mittels Wandfarbe Nagellack von oben in die Szene tropfen, mit welchem sie sich nach dem gescheiterten Verkupplungsversuch im Bad zurückzog, das Lackieren der Nägel zu einer Art Bewältigungsstrategie wurde. Wie von Gloss überzogen schwelten nicht nur die Kindheitserinnerungen der Künstlerin unter der versiegelten Oberfläche, sondern auch all die Untiefen der Nachkriegsgesellschaft. Abgründe, die noch immer von unten gegen den glänzenden Firnis klopfen.

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Ausstellungsansicht, Tom Bogaert, IKOB Museum für zeitgenössische Kunst, Foto: Lola Pertsowsky.

All das scheint ein deutsches Problem zu sein, doch auch am Standort des Museums in Belgien gibt es Geschichten von seltsam verklärtem Nationalismus. Vor silbern schimmernder Wand steht ein Mannequin, dessen einer Arm mit einem Mechanismus zum Schwenken einer Fahne getauscht wurde. In ein billiges Karnevalskostüm gehüllt sieht die Figur verkleidet aus, hält eine rote Fahne, ein Halt zeigendes Signal. Der Weg von Fahnen mit festgeschriebenen Bedeutungen hin zu Flaggen ist nicht allzu weit. Das sieht der zweite von Naumann eingeladene Künstler, Tom Bogaert, ähnlich. Er war in seiner Jugend als Fahnenschwenker aktiv, eine damals folkloristisch anmutende Freizeitaktivität im Kontext der “Flämischen Bewegung”, mit der er durch ganz Europa getourt ist. Mittlerweile ist der Blick auf das Fahnenschwingen in Belgien klar nationalistisch geprägt und mit flämischem Autonomiestreben untrennbar verknüpft.

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Ausstellungsansicht, Henrike Naumann, IKOB Museum für zeitgenössische Kunst, Foto: Lola Pertsowsky.

Es wirkt, als ob Künstlerin Henrike Naumann mit ihren Möbeln ein Loft bezogen hätte. Ihre sonst passgenau ineinandergreifenden Raumkompositionen haben im IKOB ungewöhnlich viel Luft zum Atmen, lassen Platz für imaginäre Verbindungslinien. Alles scheint in Bewegung, wenn Möbelstücke ein geschwungenes Äußeres tragen, Glas sich in Wellen legt und Bücherregale in Form von metallischen Blitzen ins Wohnzimmer einschlagen. Das unbelebte Interieur hält dem Versuch der Belebung allerdings stand und erscheint weiterhin unbelebt. Hier kommt das Kernversprechen des Kapitalismus, des Westens, zum Tragen, das wie so viele uneingelöst blieb: Die ultimative Beseelung der Dinge. Zwischen Jörg Haiders “Friede durch Sicherheit” und Peter Glotz‘ “Der Irrweg des Nationalstaates” lässt Naumann den Blick hinter Vorhänge zu, wo die Zuversicht den Ausweg sieht, doch hinter denen nichts ist als die weiße Wand.

WANN: Die Ausstellung läuft bis Sonntag, den 16. April.
WO: IKOB – Museum für Zeitgenössische Kunst, Rotenberg 12b, 4700 Eupen, Belgien.