Formelle Loslösung
Über den Prozess der Abstraktion in Murat Önens Malerei

29. April 2022 • Text von

Abstrahierte Körper, subkulturelle Codes, Maskulinität und viele nackte Männer. Murat Önen verhandelt in seinen vielschichtigen Bildern unterschiedliche Themenkomplexe, private wie gesellschaftliche. Im Gespräch gibt uns der Künstler einen Einblick in seine malerische Entwicklung und seine aktuelle Bildserie „Haystacks“. Eine Ausstellung bei DUVE in Berlin ist gerade vorbei, aber es gibt die Gelegenheit seine Bilder bei Ballon Rouge in Brüssel, im Marburger Kunstverein und bei Max Mayer in Düsseldorf zu sehen.

Installation View: Murat Önen “Haystacks” photo by Nick Ash, DUVE Berlin.

In deinen Bildern in der Ausstellung “Haystacks” bei DUVE hast du gemalte Männerkörper gezeigt, die Du zu Haufen stapelst. Was interessiert dich an diesem Motiv, das sich durch die gesamte Ausstellung zieht?
Murat Önen: Ganz intuitiv hat mich daran irgendetwas bewegt. In der Vergangenheit habe ich mich mit Subkultur beschäftigt – mit der Clubszene und mit den starken Emotionen in diesem Umfeld. Meine Bilder hatten damals viel mehr Narration und erkennbare Codes. Vor etwa eineinhalb Jahren habe ich dann aufgehört, meine Arbeiten vorher zu planen. Ich habe angefangen, die Bilder in mehreren Schichten zu überarbeiten, Motive zu ändern. Zum ersten Mal habe ich es mir erlaubt, zu scheitern. Dabei sind spontan die ersten Haufen-Motive entstanden. Ich hatte das Gefühl, dass es da in mehreren Ebenen viel zu forschen gibt. Die Malerei bietet mir Möglichkeiten, Form und Inhalt etwas mehr ineinander zu verschmelzen.

Wie meinst du das?
Die Haufen-Motive sind vielschichtig. Sie bringen zum Beispiel Begriffe wie Erotik, Gewalt oder Humor zusammen, was nicht immer einfach ist. Der männliche Körper als Motiv hat meine Arbeiten schon immer dominiert und mit „Haystacks“ habe ich einen Weg gefunden, sie etwas komplexer darzustellen. Die Arbeiten sind die exakte Verkörperung dessen, was sie repräsentieren – die Unordnung der Männlichkeit, den Kampf der Queerness. Außerdem spielen sie natürlich mit der traditionellen europäischen Malerei und öffnen mir gleichzeitig die Tür, abstrakter und malerischer zu werden.

Installation View: Murat Önen “Haystacks” photo by Nick Ash, DUVE Berlin.

Haben diese Motive neben den persönlichen Aspekten auch eine politische Ebene?
Ich trenne die persönlichen und politischen Aspekte gar nicht zu sehr.  Mir war relativ früh bewusst, dass ich anders war. Die Umgebung, in der ich aufgewachsen bin, hat mich leider nicht viel inspiriert. Da war es schon klar, dass ich wegmusste, um mich zu finden. Ein wichtiger früher Einfluss auf meine Kunst waren Künstler wie David Hockney oder Francis Bacon, wo man auch als Jugendlicher die Homosexualität spüren kann. Da habe ich etwas erkannt. Ich wusste zwar nicht ganz genau was das ist, aber es gab eine Verbindung. Natürlich auch zu den Fotografien von Wolfgang Tillmans. Das waren frühe Einflüsse.

Und später?
Ich bin als nicht geouteter Teenager nach Deutschland gekommen und habe allmählich angefangen, meine eigenen Arbeiten zu machen. Am Anfang wusste ich nicht, was ich meiner Mutter zeigen soll, als sie gefragt hat, was ich so male. Das sind die Momente gewesen, die mich zum Nachdenken darüber gebracht haben, wie ich mein Leben weiterführen möchte. Ich finde, da stecken die politischen Aspekte schon drin. Ich mache die Arbeiten nicht mit der aktivistischen Absicht, Homosexualität zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen. Im besten Fall haben sie dennoch diese Wirkung und es passiert wie von selbst.

Li.: Murat Önen: Heap in the Dark, 2022; re.: Murat Önen: Moving Pile Under the Blue Sky, 2022, Ballon Rouge, Fotos: GRAYSC.

Deine Bilder sind abstrakt und dennoch figürlich. Wie kommt es zu dieser Mischung?
Ich komme aus Istanbul und bin früh, mit 19, nach Deutschland gezogen, zunächst mit Erasmus von der dortigen Kunstakademie aus. Ich war in der Türkei schon auf einem Kunstgymnasium und wir haben ganz klassisch gelernt, zu zeichnen: Wir haben alte Meister abgezeichnet. Aber ich hatte wenig Erfahrung mit Konzeptkunst oder Abstraktion. An der HfBK Dresden habe ich gesehen, was meine Kommilitonen machen, ich habe viel gelesen und Ausstellungen besucht. Zwei Jahre habe ich selbst fast keine Kunst gemacht, weil ich wissen wollte, was ich denn mache, wenn hier kein Modell sitzt und man keine Stillleben malt. Seitdem habe ich viel ausprobiert, meine Malerei erweitert. Aber ich merke schon, dass ich noch immer gefangen bin. Jeder formelle Schritt weg von der konkreten Malerei, ist fast wie ein Kampf, ein Prozess der Loslösung.

Wie würdest du diesen Prozess beschreiben?
Die Bilder müssen erstens für sich stehen. Ich bin ein Maler, ich kann das und will das auch zeigen. Wenn ich mich von der realistischen Malerei loslöse, müssen die Bilder trotzdem andere Qualitäten haben. Daran arbeite ich gerade, ich entwickele meinen eigenen Zugang. Aber ich will kein Bad Painting machen. Ich arbeite im Moment an Bildserien und bekomme mit der Zeit ein besseres Gefühl dafür, welche Entscheidungen gut sind. Ich muss dafür mit vielen Leuten reden, mir viele Sachen angucken und auch die Geschichte verstehen, um mich dran orientieren zu können. Es ist ein sehr langer Weg.

Installation View: Murat Önen “Haystacks” photo by Nick Ash, DUVE Berlin.

Scheinen sich daher die gezeigten Körper förmlich aufzulösen?
Es geht mir um die Frage, wie ich diese Körper male. Wie detailliert arbeite ich diese Körper aus? Ich experimentiere mit Abstraktion, um dem Inhalt gerecht zu werden. Soll ich die Körper weich malen, als würden sie schmelzen? Ich spiele auch mit der Farbgebung, mache eine Stelle komplett in Pink. Bei früheren Arbeiten habe ich solche Entscheidungen nicht getroffen, da war ich eher auf das Narrativ fokussiert und habe mir auch immer neue Motive gesucht. Im Moment wiederhole ich eigentlich immer ein Motiv, die gestapelten Körper, und entwickele das weiter. Durch die Reduktion auf das eine Motiv kann ich die formellen Parameter ausweiten.

Diese gestapelten Körper zeigst du unter dem Titel „Haystacks“. Ist das eine Referenz zu Claude Monet, der eine Serie von Bildern unter diesem Titel gemalt hat?
Die Serie „Haystacks“ zeigt Haufen und Stapel von Männern. Es ist repetitiv, genau wie Monets „Haystacks“. Der Zweck dieser Wiederholung ist, ähnlich wie bei Monet, das Suchen. Dem Impressionisten ging es um die Suche nach der Veränderung des Lichts je nach Tages- oder Jahreszeit – es ging um den Eindruck, dass sich das Gleiche je nach dem „Wann“ verändert. Mir geht es beim Suchen darum, mit der akademischen Formalität in der Malerei, mit meinem eigenen Oeuvre, mit meiner eigenen Identität und mit den Tropen der Männlichkeit selbst zu brechen. Es geht um malerische Intuition, um den Kampf, mit der Identität – sei es Queerness oder Männlichkeit – selbst zu brechen.

Installation View: Murat Önen “Haystacks” photo by GRAYSC, Ballon Rouge.

Würdest du dich als intuitiven Maler bezeichnen?
Vor etwa eineinhalb habe ich aufgehört, Skizzen zu machen. Ich habe einfach mit dem Malen angefangen. Loslegen und sehen, was kommt. Die ersten Bilder der „Haystacks“-Serie habe ich auch so gemacht. Aber je mehr dieser Bilder ich male, desto weniger intuitiv bin ich. Ich weiß ja, ich male jetzt ein weiteres „Haystack“-Bild und da muss ich bestimmte Aspekte kombinieren. Ich lasse den Prozess offen, aber irgendwie muss ich mich festlegen. Sonst verliere ich mich. Ich muss meine Arbeit in einen gewissen Rahmen bringen. Aber ich weiß am Anfang nicht, wie ein Bild später aussehen wird.

WANN: Die Ausstellung “Haystacks” ist noch bis 4. Juni zu sehen.
WO: Ballon Rouge, Place du Jardin aux Fleurs, 2 Brussels 1000 Belgium

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