Sehnsucht nach dem Aufgang
"Sunset" in der Kunsthalle Bremen

22. März 2023 • Text von

Die Kunsthalle Bremen versucht sich mit der Ausstellung „Sunset. Ein Hoch auf die sinkende Sonne“ an einer Neuauflage des Sonnenuntergangs. Mit rund 120 Arbeiten aus Malerei, Installation und Videokunst unternimmt sie einen Rettungsversuch des abendlichen Phänomens aus der Kitschecke. (Text: Ayse Tekin, Hannah Creutzburg)

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Installationsansicht „Sunset. Ein Hoch auf die sinkende Sonne“, Kunsthalle Bremen 2022, Foto: Marcus Meyer Photography.

Romantisch, melancholisch, rot und allgegenwärtig. Sonnenuntergänge gehören zu den meist fotografierten und gemalten Motiven. Die Kunsthalle Bremen schreibt sich auf die Fahnen, die erste Ausstellung dieses beliebten Themas zu zeigen. Die millionenfachen kitschigen Bilder im Internet lassen aber die Frage aufkommen, was das Motiv zu einem würdigen Ausstellungsthema macht. Dies beantwortet eine zur Ausstellung erschienene Zeitung mit der Behauptung, dass sich an einem „Rettungsmanöver“ des Sonnenuntergangs versucht werde.

Die Ausstellung ist in zehn thematische, knallbunte Räume unterteilt. Die Wandfarben dieser Räume sind inspiriert durch die Collage „#sunset“ von Victoria Binschtok (2019), die mit Farbkarten aus dem Baumarkt einen abstrakten Sonnenuntergang nachstellt.

Bereits vor Eintritt in die Kunsthalle begrüßt die bunte Lichtinstallation von Dieter Hausig (2022) an der Fassade die Besucher*innen. Das aus Lichtröhren bestehende Werk setzt mit dem Bremer Sonnenuntergang ein und zeigt Zeitraffervideos sowie Abstraktionen und Simulationen der Abendröte und ihrer Farbvielfalt. Die Kuratorin Annett Reckert spricht von einem „imaginären Lichtblick“ in schweren Zeiten von Klimakrise, Kriegen und Energieknappheit. Doch im Museum stellt direkt der erste Ausstellungsraum die hoffnungsvolle Zielsetzung Reckerts auf die Probe.

Die Videoarbeit „Sun (One Day Old)“ von Alex Cecchetti (2008) zeigt dort aneinander gereihte Aufnahmen von Sonnenuntergängen, die im Gegensatz zur bunt-positiven Interpretation Hausigs den Eindruck eines Atompilzes erwecken. Sie zeigt auf, dass Sonnenuntergänge nicht nur den Übergang von Tag zu Nacht markieren, sondern auch auf Motive wie Endlichkeit verweisen. Besucher*innen werden von einer Science-Fiction-Endzeitfantasie begrüßt, die mit der ersten Zielsetzung bricht.

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2022 Sunset Ein Hoch auf die sinkende Sonne. Installationsansicht

Passend zur Kitsch-Konnotation des Motivs Sonnenuntergang bestimmt den nächsten Raum eine wandfüllende Fototapete mit Sandstrand und Palmen aus den 70er Jahren. Hier ist auch ein Kalender mit 111 Fotos zu sehen, der aus Sonnenuntergangsfotografien zusammengestellt wurde, die Besucher*innen eingereicht haben. Der Kalender darf aber nicht umgeblättert werden. Man müsste jeden Tag wiederkommen, um die Chance zu erhalten, die eigene Aufnahme zu entdecken. Falls sie sich überhaupt unter den ausgewählten Werken befindet. Eine fragwürdige Entscheidung. Sollten nicht wenigstens die 111 ausgewählten Sonnenuntergänge nach Belieben bestaunt werden können?

Neben Kitsch und Weltuntergangsstimmung bietet das Motiv des Sonnenuntergangs noch weitere Interpretationsmöglichkeiten. Anna Ancher thematisiert mit ihrem Gemälde „Trauer” (1902), die Endlichkeit eines Tages im Zusammenhang mit der Endlichkeit eines Lebens. Durch die Aufnahme dieser Arbeit wird die Vielseitigkeit des Gegenstands betont: Vergänglichkeit des Lichts, des Lebens und der Welt.

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Anna Ancher, Trauer (Sorg), 1902. Öl auf Leinwand, 86,5 x 73,8 cm © Art Museums of Skagen. Foto: Kirsten Bojstrup.

Gleichzeitig zeigt die Kunsthalle, dass aus einem Ende auch immer ein neuer Anfang entstehen kann. Dies greift Thorsten Brinkmann in seiner Arbeit „Glooma” (2022) auf. Aus einem Keramikfundstück, einer Kette und C-Prints hat er eine Collage erstellt, die Nachhaltigkeit und Wiederverwendbarkeit betont. Ein gekonnter Hinweis auf die bestehende Klimakrise und ihre Konsequenzen hinsichtlich unseres Umgangs mit Ressourcen.

Dieser Umgang kann mit Blick auf Hausigs monumentale Lichtinstallation jedoch wieder hinterfragt werden. Auch wenn der Strom hierfür aus eigens montierten Solarplatten gewonnen wird: Sollte in einer Energiekrise eine derart große, strombetriebene Arbeit in den Fokus rücken?

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Claude Monet: Das Parlament, Sonnenuntergang. 1904. Öl auf Leinwand, 80 x 91 cm. Foto: Kunstmuseen Krefeld – Volker Döhe / ARTOTHEK.

Schon Claude Monet zeigte die Auswirkungen der Industrialisierung auf das Klima. In seinem Gemälde „Das Parlament” ist das vernebelte Gebäude im Licht der untergehenden Sonne zu sehen. Dieser Nebel kann aus heutiger Sicht als Anzeichen für die damals bestehende Luftverschmutzung interpretiert werden.

Wiederkehrend lassen sich in fast allen Räumen Bezüge zur Klimakrise herstellen, kontrastiert von romantischen Szenen in den unterschiedlichsten Rottönen. Es scheint, als widerspreche sich die Ausstellung in ihren Zielsetzungen. Die Zusammenführung eines „imaginären Lichtblicks”, des Kitsch-Rettungsmanövers, und Arbeiten zur Untergangsstimmung wirken konträr zueinander. Diverse strombetriebene Arbeiten während einer Energiekrise, erhöhter Lebenshaltungskosten und kaum einer Möglichkeit zur Pause widersprechen zusätzlich der Intention einer Szenerie zum Genießen und Entspannen. Wer es sich leisten kann, kann aber zumindest vor Ort einen echten Monet bestaunen und sich im Wirbel der vielfältigen Farben überwältigen lassen.

WANN: Die Ausstellung „Sunset. Ein Hoch auf die sinkende Sonne“ läuft noch bis Sonntag, den 2. April.
WO: Kunsthalle Bremen, Am Wall 207, 28195 Bremen.

Diese Ausstellungsbesprechung ist im Rahmen eines von Mira Anneli Naß und Radek Krolczyk im Wintersemester 2022/23 geleiteten Praxisseminars zu Kunstkritik im Master Kunstwissenschaft und Filmwissenschaft der Uni Bremen entstanden. 

„Salz, Widerstand, Fluidität“: Anna Blahaut über Lucila Pacheco Dehne in der Kestnergesellschaft Hannover.

„Schwarze Existenzen in der Polykrise“: Nils Gloistein über „An Overture of Grief and Joy“ im Kunstverein.

„Zwei Hü und ein Brr“: Moritz Juhnke über Matthias Dornfeld im Oldenburger Kunstverein.

„Das Sankt-Florian-Prinzip“: Lia Brinkmann über Andrzej Steinbach in der Kunsthalle Osnabrück.

„Es war einmal und ist noch immer“: Hannah Walter über Cemile Sahin in der Kunsthalle Osnabrück.

„Viel Männerfantasie, wenig Feminismus“: Lea Woltermann über „Femme Fatale“ in der Hamburger Kunsthalle.