Bilder und Sound einer Jugend
„Fade Away Medley“ von Jonas Höschl

5. Mai 2022 • Text von

Für sein erstes Kunstbuch hat Jonas Höschl sich mit dem Medium der Fotografie selbstkritisch befragt. Daraus ist mehr als ein einfaches Fotobuch entstanden – „Fade Away Medely“ ist eine spannende, multi-mediale Komposition des Sounds einer ganzen Generation. Ein Gespräch mit Jonas Höschl und Schriftsteller Joshua Groß über Adoleszenz und Provinz, über Realität und Realismus, über depressiven Hedonismus und einen möglichen Funken Hoffnung.

Jonas Höschl, “Fade Away Medley”, präsentiert vom Magazin DAS WETTER, 2022.

gallerytalk.net: Jonas, „Fade Away Medley“ ist eine Auseinandersetzung mit Themen wie Herkunft, Jugend, mit persönlicher Vergangenheit, aber auch mit dem Begriff der Heimat. Für mich lässt sich dieser, bei aller Liebe zur Sentimentalität, nicht von meinem Wissen über seine völkische Dimension trennen. Wie stehst du zu Heimat?
Jonas Höschl: Ich habe mit dem Begriff meine Schwierigkeiten. Obwohl dieser in den letzten Jahren auch unter Linken, die früher immer als ‚heimatlos‘ beschimpft wurden, eine Renaissance erfahren hat und die Linke sowie die SPD ‚Heimat‘ mittlerweile groß auf Wahlplakate schreibt, kann ich mit dem Begriff wenig anfangen. Für mich ist er vor allem mit der ‚Blut und Boden‘-Ideologie der Nazis verknüpft. Während Heimat für die Generation meiner Großeltern noch sehr stark an einen Ort geknüpft war, ist das für die Generation meiner Eltern gar nicht mehr so der Fall. Auch ich verknüpfe Heimat wenn, dann eher mit einer ästhetisch-künstlerischen oder politischen Nähe, z.B. zu meinem sozialen Umfeld– mehr als mit einem Ort.

Joshua, in deinem Text „Von Vorn“, der eine literarische Auseinandersetzung mit den Themen des Buches und den Fotografien Jonas Höschls ist, schreibst du über den Ort Pottenstein bei Nürnberg, es sei dort „gleichzeitig idyllisch und verseucht“. Ist es das, wie du Heimat wahrnimmst?
Joshua Groß: Ich beschreibe in dieser Szene einen Ausflug in eine Höhle. Und der Parkplatz vor dieser Höhle ist von KZ-Insassen gebaut worden. Ich glaube, dass dieser Schrecken eigentlich den meisten Orten in irgendeiner Weise innewohnt, in der Gegend in und um Nürnberg speziell. Mir geht es da ähnlich wie Jonas. Auch mir liegt die Begrifflichkeit ‚Heimat‘ fern. Würde man mich fragen, wo meine Heimat ist, könnte ich darauf nicht antworten. Diesen einen Ort, einen Sehnsuchtsort vielleicht, den ich als meine Heimat beschreiben würde, habe ich noch nicht gefunden und ich weiß auch gar nicht, ob es überhaupt realistisch ist, ihn zu finden. ‚Idyllisch oder verseucht‘ – das macht so eine Ambivalenz auf. Bei mir ist das Gefühl der Abwesenheit von Heimat viel stärker, als dass der Begriff eine Gleichzeitigkeit von widersprüchlichen Gefühlen auslösen würde.
Jonas Höschl: Ganz am Ende von der Soundarbeit wird ja auch das Buch ‚Linke Heimatliebe: eine Entwurzelung‘ von Thomas Ebermann gesampelt. Das war ein Buch, das für meine Arbeit an dem Fotobuch auf jeden Fall relevant war. Darin beschreibt Ebermann, dass Heimatliebe meist rückblickend funktioniert und auch eher wie eine rosarote Brille, die Erinnerungen verklärt, aber auch weglässt. So sind es eben eher die Ausflüge an den Dorfsee als die Prügelstrafe in der Schule in den 70er Jahren, die laut Ebermann in rückblickenden Erzählungen Platz finden.

Jonas Höschl, “Fade Away Medley”, präsentiert vom Magazin DAS WETTER, 2022.

Eure Herkunft, die bayerische Provinz, die sowohl in den Fotografien als auch im literarischen Text zum Motiv wird, ist auch Teil meiner Vergangenheit, weshalb mir die Bilder von Brezen, Bollerwagen, dem Jesus über der Eckbank, Trachten und jugendlichem Suff persönlich sehr bekannt sind. Und doch habe ich mich beim Betrachten der Bilder gefragt: Ist es dort wirklich so – oder ist es vielmehr das, was wir sehen wollen? Ist es Wirklichkeit oder vielmehr Wunsch und romantische Erinnerung an eine Zeit, die längst vergangen ist?
Jonas Höschl: Das ist eine gute Frage. In dieser Ambivalenz gibt es vielleicht auch kein Richtig oder Falsch. Ich würde schon sagen, dass eine christliche Erziehung in meiner Kindheit eine Rolle gespielt hat. Meine Eltern sind gläubig und mein Opa väterlicherseits nochmal deutlich mehr. Er hat sich eine Kapelle in seinen eigenen Garten gebaut. Ich habe im Zuge der fotografischen Arbeit an dem Buch zwei Wochen bei ihm gewohnt, um mich in diese Lebensrealität hineinzubegeben. Dort ist auch das Bild entstanden, auf dem mein Opa die Wäsche aufhängt. Für mich ist klar, dass die Fotografie ihr angebliches Wirklichkeitsversprechen nie einlösen kann und dass es dabei natürlich immer auch um eine Fiktion und um Unwirklichkeit geht. Darin sehe ich auch eine Spannung zu meinen anderen künstlerischen Arbeiten, bei denen ich sehr oft mit gefundenem Medienmaterial arbeite, das ich befrage. Bei „Fade Away Medley“ werde ich hingegen sehr persönlich. Es war auch eine Hürde, mich autobiografisch mit meiner Herkunft oder meinem Aufwachsen auseinanderzusetzen, mich so schonungslos selbst zu thematisieren und mich in Selbstporträts den Betrachter:innen auszusetzen.

Jonas Höschl, “Fade Away Medley”, präsentiert vom Magazin DAS WETTER, 2022.

Jonas, du trägst gerade ein T-Shirt der Künstler:innen vom Tannhäuser Kreis. In ihrer Ausstellung mit dem Titel „Schuldiger Realismus“ (2022), bei der du auch eine Arbeit gezeigt hast, habt ihr u.a. die Frage gestellt, wie gegenwärtig sozialer Realismus aussehen könnte. Ist diese Form der persönlichen, teilweise romantisch-verklärten Fotografie oder auch das literarische Erzählen im Stil eines Roadmovies vielleicht sogar viel eher ein Mittel, Realität zu transportieren und Brüche aufzuzeigen, als eine dokumentarische Form dies könnte?
Jonas Höschl: Ich finde es spannend, wenn Arbeiten Reibungen und Ambivalenz erzeugen. Es ist tatsächlich so, dass beim Durchflippen der Bilder, zusammen mit dem dazugehörigen Sound im Ohr, im Kopf fast eine Art Musikvideo entsteht. Das kann durchaus als ein Coming-of-Age-Drama gelesen werden, bei dem man sich immer wieder in Nostalgie, in den verwaschenen Farben und im Widererkennen innerhalb eines kollektiven Bildgedächtnisses verliert. Gleichzeitig tauchen immer wieder diese Schockbilder auf – die christliche Symbolik, ein Typ mit Waffe, Hakenkreuze – die das Sich-Verlieren stören. Meine Fotografien haben keinen dokumentarischen oder objektiven Anspruch, was ich auch versuche durch die Selbstporträts zu klären. Aber ich denke, dass darin viele unterschiedliche Realitäten stecken, die Identifikationspotentiale anbieten und dadurch vielleicht auch Risse in Selbstbildern erzeugen.

Jonas Höschl, “Fade Away Medley”, präsentiert vom Magazin DAS WETTER, 2022.

In welchem Verhältnis steht der Text „Von Vorn“ zur Realität? 
Joshua Groß: Im Vergleich zur Fotografie mag ich am literarischen Schreiben, dass sich die Frage nach dem Dokumentarischen mir nicht in gleicher Weise stellt. Ich kann viel leichter, schneller und anders eingreifen und Bilder erschaffen, die zugespitzter und gesättigter sind von einer Atmosphäre, die ich erzeugen will. Ich habe versucht, mit meinem Text auf Stimmungen einzugehen, die ich in den Bildern von Jonas gespürt habe und darauf, dass ich verschiedene Aspekte in den Bildern gesehen habe, die ich auch aus meinem eigenen Leben und Aufwachsen kenne. Ich wollte sehen, wo die Anknüpfungspunkte sind, wo sich Zusammenhänge abbilden lassen, in Form von Szenen und Gedanken, die die Bilder aber nicht nacherzählen, sondern in einem Reibungsverhältnis zu ihnen stehen. Ich habe versucht, die Fotografien atmosphärisch aufzugreifen und auf eine andere Weise zu erhellen.

In deinem literarischen Text wird unter anderem der Besuch der „Teufelshöhle“ in Pottenstein, einer Tropfsteinhöhle bei Nürnberg, zu einem Ort der Auseinandersetzung mit Vergangenem. Dieser dunkle, kalte Ort, in dessen Innerem sich diese ästhetischen Gebilde verbergen, jahrhundertealte Kalkablagerungen, die, so schreibst du auch, in ihrem Weiterwachsen gestört werden, indem man sie anfasst.  Ich finde, das ist auch ein großartiges Bild für Tradition und Heimat, die als Konzepte nur funktionieren, wenn man sie für sich belässt und die sich eigentlich jeder Veränderung widersetzen. 
Joshua Groß: Ich suche beim Schreiben oft Orte wie diesen, die beispielsweise ein anderes Zeitempfinden ermöglichen. In diesem Fall gibt es so ein Ausgesetztsein in einer geologischen Zeit, denn eine Zeitspanne von einem menschlichen Leben oder selbst von zwei oder drei Generationen menschlichen Lebens sind einfach lächerlich im Vergleich zum Leben eines Tropfsteins, der über 300.000 Jahre gewachsen ist. Und es zeigt auch, wie grausam das menschliche Eingreifen in solche Zusammenhänge ist, dass ein Fingerauflegen die nächsten 300.000 Jahre Wachsen unmöglich machen. Das kann auch im Vorbeigehen passieren oder durch eine kurze, zärtliche Berührung. Dieses Ausmaß eines Abbruches oder Risses, das sich dadurch ergibt, finde ich sehr interessant und auch passend zu Jonas‘ Bildern, wo in der ganzen Romantik auch eine Grausamkeit steckt.

Spannend finde ich auch, dass diese Ambivalenz bereits im Beginn deines Textes angelegt ist. Dein erster Satz erzählt von der Überlagerung von „Wut und Entsetzen“. Erst daran anschließend steigst du in deine Erzählung ein, die einem Roadmovie ähnelt, wenn man so will.
Joshua Groß: Jonas ging es in seinen Fotografien ja auch um den Begriff der ‚depressiven Hedonie‘ (Mark Fisher) und um die Lethargie, die darin steckt. Für Mark Fisher ist es auch so, dass das politische Potential von Wut oder Entsetzen dadurch unterdrückt wird, dass man in Genusssucht aufgeht oder eben so müde und erschöpft ist, dass man überhaupt nicht mehr in der Lage ist, sich in seiner politischen Körperlichkeit gegen Systeme aufzulehnen. Ich bin sehr am politischen Schreiben interessiert, aber eben nicht in der Ausbuchstabierung einer Manifesthaftigkeit. Ich versuche das in Erzählungen aufzulösen und in Stimmungen und in Bildern. Das sind verschiedene Versuche gewesen, mit dem, was ich von Jonas als Impuls und Atmosphären bekommen hatte, umzugehen. Es war mir wichtig, mich mit den Potentialen von Wut auseinanderzusetzen und damit, wie man sich zur Wut hin wieder öffnen kann.

Jonas Höschl, “Fade Away Medley”, präsentiert vom Magazin DAS WETTER, 2022.

Neben dieser literarischen Auseinandersetzung gibt es in „Fade Away Medeley“ auch eine kunsthistorische Einordnung und verschiedene Interviews, mit Musiker:innen wie Haiyti oder Skinnyblackboy oder der Schauspielerin Julia Windischbauer. Darüber hinaus ist eine Platte erschienen, eine Art Soundtrack zum Buch. Wie fügen sich diese einzelnen Bestandteile des Projektes zu einem Ganzen zusammen?
Jonas Höschl: Es ist so angelegt, dass sowohl das Buch als auch die Platte für sich selbst funktionieren – aber auch zusammen. Ich spiele auch in meiner künstlerischen Praxis gerne damit, dass Arbeiten ausfransen und einzelne Bestandteile einer Arbeit sich in die unterschiedlichsten Ecken verirren und dann auf den ersten Blick gar nicht mehr als solche erkennbar sind. Dadurch, dass das Fotobuch Musiker:innen und Schauspieler:innen nicht nur in den Fotos, sondern auch in Interviews featured, funktioniert es vor allem auch im Bereich der Popkultur, die auf den ersten Blick erst mal nichts mit Bildender Kunst zu tun hat. Als eine Art Trojanisches Pferd kann es so politische und ästhetische Fragestellungen aufwerfen. Der Titel „Fade Away Medley“ referiert mit „Medley“ besonders auf die Soundarbeit, aber für mich funktioniert der Begriff ebenso, um den Aufbau des Fotobuches zu beschreiben, weil auch hier inhaltlich und ästhetisch Dinge miteinander ‚clashen‘.

Durch die Wahl einer japanischen Bindung gibt es im Fotobuch Innenseiten, die zugleich offen und geschlossen sind. Was ist das für eine Ebene, die sich den Betrachter:innen des Buches hiermit eröffnet und sich zugleich vor ihnen verschließt? 
Jonas Höschl: Bei meiner Arbeit am Fotobuch habe ich das private Fotoarchiv meiner Eltern durchforstet und festgestellt, dass auf ihren Fotografien häufig dieselben Orte dargestellt sind, wie auf meinen Bildern, nur dreißig Jahre früher. Und dass die Fotos teilweise sogar dieselben Leute zeigen und erstaunlich nah an meiner eigenen Bildsprache dran sind. Ich habe mich daraufhin gefragt, inwiefern meine Handlungen überhaupt selbstbestimmt sind, oder ob ich meine Jugend eigentlich nur nachlebe, so ähnlich wie meine Eltern sie schon erlebt haben. Oder ob das alles zwangsläufig miteinander verbunden ist. Ähnlich wie der literarische Text im Buch wollte ich damit eine weitere Ebene schaffen, die aus dem Kosmos meiner Fotografien kommt, sich diesem aber auch entgegenstellt.

Jonas Höschl, “Fade Away Medley”, präsentiert vom Magazin DAS WETTER, 2022.

Bei all der depressiven Hedonie und der Ambivalenz, die in „Fade Away Medeley“ mitschwingen – was meint ihr, gibt es noch Hoffnung?
Joshua Groß: Ich tue mich schwer, die Frage mit ‚Ja‘ zu beantworten. Ich habe oft das Gefühl, dass das Hoffen ein Konzept ist, das sich über Dinge legt, die man nicht aushalten oder akzeptieren möchte. Ich glaube eigentlich, dass es wichtiger ist, sich dem, was da ist, auszusetzen und zu begreifen, was das mit uns macht.
Jonas Höschl: Ich erkenne mich in dieser Antwort wieder, aber ich würde trotzdem immer versuchen, hoffnungsvoll abzuschließen. Vielleicht ist das meine Berlin- oder Medienkunst-Blase – aber ich sehe immer mehr Brüche und Reibungen, die erzeugt werden, was ich erstmal als produktiv betrachte und was mich schließlich auch hoffnungsvoll stimmt.

Jonas Höschl, “Fade Away Medley”, präsentiert vom Magazin DAS WETTER, 2022.

„Fade Away Medley“ wird vom Magazin Das Wetter präsentiert. Neben den Fotografien von Jonas Höschl und Literatur von Joshua Groß enthält das Buch eine Einordnung von Juliane Bischoff und Interviews mit Haiyti, Damian Rebgetz, Skinnyblackboy, Tightill  und Julia Windischbauer. Zum Buch ist eine gleichnamige LP erschienen.

Die Arbeiten aus „Fade Away Medley“ sind aktuell auch Teil von Jonas Höschls Einzelausstellung „Ein Lied für Deutschland“. Die Schau läuft noch bis Sonntag, den 26. Juni im Kunstmuseum Heidenheim