News Feed, nur anders Barbara Kruger in der Neuen Nationalgalerie
13. Mai 2022 • Text von Carolin Kralapp
Für die gläserne Eingangshalle der Neuen Nationalgalerie in Berlin hat die amerikanische Konzeptkünstlerin Barbara Kruger den gesamten Raum in einen analogen News Feed verwandelt. Mit Zitaten von Schriftstellern, selbstgeschriebenen Texten, einzelnen Worten und Smileys, die den Steinboden vollständig überdecken, richtet die Künstlerin den Blick auf unseren Medienkonsum und die Nachrichten-Flut, der wir uns tagtäglich aussetzen.
Stunden über Stunden bringen wir täglich damit zu, durch irgendwelche News, Insta oder TikTok Feeds zu scrollen, Live-Ticker, Glocken und Benachrichtigungen aktiviert – der Blick stets nach unten auf ein Display gerichtet. In ähnlicher Kopf- und Geisteshaltung bewegt man sich derzeit auch durch die imposante, lichtdurchflutete Eingangshalle der Neuen Nationalgalerie. Nur schaut man hier auf die neueste, eigens für den Ausstellungsraum entwickelte, Textarbeit von Barbara Kruger. Weiterscrollen funktioniert hier nicht. Durch das Umherlaufen im Obergeschoss des Museums sind die Besucher*innen eingeladen, sich die Texte und Symbole auf dem Boden eigenständig zu erschließen. Neben einzelnen Worten wie “sorry” oder “not” und Smileys, die schon lange Einzug in unsere digitale Alltagskommunikation gefunden haben, finden sich auf dem Boden auch Zitate dreier bekannter Schriftsteller: von George Orwell und seinem dystopischen Roman “1984”, von Walter Benjamin und seiner 1943 veröffentlichten Aufzeichnung “Über den Begriff der Geschichte” und aus dem Buch “Eine Straße und kein Name” von James Baldwin.
Die Mischung von deutscher und englischer Sprache stellt zum einen die Verbindung zum Ort Berlin her und zum anderen ein Abbild der Sprachendurchmischung dar, die durch die digitale Vernetzung zugenommen hat. Alles im Raum kommt in bekannter Kruger-Bildsprache daher – in schwarz, weiß, rot und selbstverständlich in der Schriftart, die wir alle auch vom Mode- und Skateboard-Riesen Supreme kennen. “Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein.”, zitiert Barbara Kruger Walter Benjamin in Großbuchstaben an prominenter Stelle im Raum. Smileys lachen oder schmollen, “Bitte lachen / Please cry”, ein anderer Smiley schaut verwirrt und streckt die Zunge raus, “sorry / not sorry”. Alles im Raum erregt Aufmerksamkeit und dennoch weiß man nicht so recht, wo man genau hinschauen soll. Es verschwimmt zu einer typografischen Masse, die, zugegeben, merkwürdige Assoziationen zu den Schlagzeilen der BILD-Zeitung weckt.
Barbara Krugers ausgewählte Texte und Slogans, die selten auf ein explizites Ereignis anspielen, sondern allgemeingültig und offen formuliert sind, bleiben zeitlos und gleichzeitig aktuell. Dennoch wirken sie stets plakativ und wie eine Wiederholung ihrer selbst. Die Arbeiten werfen Gedankenfetzen auf, stellen Bezüge zu Geschichte, Politik und Gesellschaft her, die sich vielfältig lesen und interpretieren lassen. Die Schnelllebigkeit der Welt, die Vielzahl an Ereignissen, Bilder- und Nachrichtenfluten im Netz, die sie thematisch und textlich heruntergebrochen verhandelt, finden sich ebenso in der Gestaltung ihrer Kunstwerke wieder. Die Künstlerin hat eine Ausdrucksform geschaffen, die für die breite Masse nachvollziehbar und schnell zu konsumieren ist – vielleicht liegt darin ihr Erfolgsrezept und macht ihre oft großformatigen und -flächigen Werke zu beliebten Fotomotiven auf der ganzen Welt. Ob Berlin, Venedig, Amsterdam oder Los Angeles – Barbara Kruger setzt ihre Marke und zieht weiter. Zack, weiterscrollen.
WANN: Die raumgreifende Textarbeit “Bitte lachen / Please cry” ist bis zum 28. August 2022 kostenlos in der Eingangshalle zu besichtigen.
WO: Neue Nationalgalerie, Potsdamer Straße 50, 10785 Berlin.
Mehr von Barbara Kruger in Berlin gibt es derzeit beim n.b.k. zu sehen. An der Fassade ist noch bis 31. August 2022 die Arbeit “Untitled (Another/Another)” angebracht und im Innenraum die Dauerinstallation und Wandarbeit “Untitled (Hello/Goodbye)” ausgestellt. Mehr zu den Ausstellungen der Häuser der Staatlichen Museen zu Berlin könnt ihr zum Beispiel hier in einem Beitrag von Julia nachlesen.