Intersektional-feministischer Brückenbau
Götz Sophie Schramm in den Kunstmuseen Erfurt

21. Dezember 2022 • Text von

Was, wenn sich emotionale Kälte, Unverständnis und Hass mit Liebe ersticken ließen? Wenn sich ein generationsübergreifender Dialog entspinnt, der auf Verständnis und Respekt beruht? Künstler*in Götz Sophie Schramm wagt in den Kunstmuseen Erfurt den Brückenschlag, wendet sich gegen toxische Männlichkeit und intergenerationale Misskommunikation. Verlockend bunt und witzig in Memes verpackt, leitet sie zu einem empathischen Miteinander an, das heute mehr denn je zur existenziellen Notwendigkeit geworden ist.

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Götz Sophie Schramm, RADIKALE ZÄRTLICHKEIT – WARUM LIEBE POLITISCH IST (Titel Seyda Kurt, Keith Haring Zeichnung und Passiv Aggressiver Panda auf Pink zu Rotem Lichttunnelfarbverlauf mit Schatten und Meme Captions), Öl auf Leinen, 2020-22, Foto: © Ivan Murzin.

Ein violetter Farbstrudel lockt in die Räume der Galerie Waidspeicher. Sensible Figuren wie Baby Yoda, Faultier und Doge treten den Besucher*innen aus der bunten Bildwelt von Götz Sophie Schramm entgegen, ploppen wie sich gegenseitig überlappende Tabs auf den betrachteten Oberflächen auf. Das vielgestaltige Bildpersonal scheint mit sich überlagernden Stimmen zu sprechen, mit seiner Umgebung spielerisch in Kommunikation zu treten. Pastose Farbschlieren wechseln dabei mit dünn lasierten, metallisch schimmernden Malschichten auf Leinwand ab, bilden die Bausteine einer ganz eigenen hybriden Realität. Schicht für Schicht lassen sich diese formalen wie inhaltlichen Ebenen untersuchen, auf ihren innewohnenden Kern hin verdichten.

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Götz Sophie Schramm, <3 OK Boomer <3, Galerie Waidspeicher, Installationsansicht, Foto: © dotgain.info.

Selbst Teil der Generation Y, richtet sich Götz Sophie Schramm mit dem Titel der Ausstellung “<3 OK Boomer <3” direkt an die Eltern-Generation, die zwischen 1950 und 1964 geborenen Baby-Boomer. Bildlich zeigt sich der Konflikt in der Arbeit “COMMUNION. THE FEMALE SEARCH FOR LOVE (Titel bell hooks, Meme Comedy Cemetery, Chrome Offline-Dinosaurier, Queere*r FLINTA* Doomer auf Lichttunnel Farbverlauf)”, in welcher Generation X und Z sich gegenseitig als Boomer und Millennial beschimpfen, ohne dabei wirklich einer der beiden Gruppen anzugehören. Daneben findet sich eine in schwarz-weiß gehaltene nicht-binäre Person mit Regenbogenflagge sowie Trans*Flagge am Revers, die an die Künstler*in selbst erinnert. Die Figur scheint frustriert angesichts der unmittelbar neben ihr stattfindenden intergenerationalen Misskommunikation.

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Götz Sophie Schramm, <3 OK Boomer <3, Galerie Waidspeicher, Installationsansicht, Foto: © dotgain.info.

Der Ausspruch “Ok Boomer” hat sich in den letzten Jahren zum Meme entwickelt. Er macht sich über die oftmals veralteten Ansichten der Baby-Boomer-Generation lustig, welche zum Zeitpunkt der Entstehung in wichtigen Entscheidungspositionen vertreten war. Pauschalisierende Kritik an jüngeren Generationen wird dabei genauso aufs Korn genommen, wie als engstirnig und herablassend empfundene Kommentare zum aktuellen Weltgeschehen. Die Schau in den Kunstmuseen Erfurt ist jedoch weniger provokativ, als vielmehr im Sinne einer Brücke zwischen den Generationen angelegt. Herzen flankieren den Ausstellungstitel und tatsächlich findet sich viel Liebe in Form von flauschigen Pandas und sich umarmenden Haien in den Werken der nicht-binären Künstler*in.

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Götz Sophie Schramm, <3 OK Boomer <3, Galerie Waidspeicher, Installationsansicht, Foto: © dotgain.info.

Götz Sophie Schramm widmet sich in “<3 OK Boomer” darüber hinaus dem in Vergangenheit wie Gegenwart allgegenwärtigen Phänomen der toxischen Männlichkeit, ein destruktives Rollenbild angeblicher männlicher Überlegenheit. Der Begriff umschreibt den gesellschaftlichen Zwang, als Mann keine Emotionen zeigen zu dürfen, sich dominant bis aggressiv zu geben, um vermeintliche Stärke zu demonstrieren. Damit einhergehen exkludierende Verhaltensweisen, die andere Menschen diskriminieren, sich in Misogynie und Homophobie äußern. Schramm geht mit ihrer Kunst in Opposition, hält mit Emotion, Respekt und Liebe dagegen. Ihre Bilder sind versöhnlich, sollen den zunehmend spalterischen Tendenzen in unserer Gesellschaft entgegenwirken, wichtige Bildungs- und Aufklärungsarbeit leisten. Sie verbinden sich mit weniger privilegierten Gruppen und bieten dem interessierten Publikum über die Werktitel eine Möglichkeit zur Decodierung der zahlreichen Symbole sowie Bezüge.

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Götz Sophie Schramm, <3 OK Boomer <3, Galerie Waidspeicher, Installationsansicht, Foto: © dotgain.info.

Die Arbeiten der Künstler*in sind nicht festgelegt, sondern machen wie die von ihr verwendeten Memes zahlreiche Bedeutungsebenen auf. So verhandelt Schramm in ihrer Kunst hochaktuelle Fragen in fast altmeisterlicher Ölmalerei, was keineswegs einen Widerspruch darstellt. Vielfältige popkulturelle Bezüge lassen sich ausmachen, wenn Memes auf Markenlogos treffen, Musik und Fernsehen aufgegriffen werden. Immer wieder wird zudem der kunsthistorische Kanon herangezogen, werden Künstlerpersönlichkeiten wie Joseph Beuys mit der Capri-Batterie oder Caravaggio mit Judith und Holofernes zitiert. Streitbare Personen wie Goethe oder Gagosian werden figürlich oder namentlich ins Bild gesetzt. Personen, die in ihren jeweiligen Kontexten übermächtig erscheinen, neben sich kaum etwas anderes zulassen.

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Götz Sophie Schramm, <3 OK Boomer <3, Galerie Waidspeicher, Installationsansicht, Foto: © dotgain.info.

In besonderem Maße bedient sich die Künstler*in jedoch am schier unerschöpflichen Pool der digitalen Bildwelt, wenn sie sich von Social-Media, Suchmaschinen oder Imageboards inspirieren lässt. Das kollektive Gedächtnis der Netzgemeinde hat in Memes eine Art eigene Sprache gefunden, wenn die Bilder als Code für eine bestimmte Bedeutung funktionieren und doch Spielraum für Interpretationen bereitstellen. Sie sind amüsant, pointiert und gleichsam von gesellschaftskritischer Brisanz. Tatsächlich werden Schramms Bilder auch formal aus dem Digitalen heraus entwickelt, die Kompositionen zunächst im Bildbearbeitungsprogramm Photoshop gebaut, bevor sie in malerischer Handarbeit ins große wie kleine Format übersetzt werden und so formal wie inhaltlich wechselseitige Bezüge in die digitale Welt zulassen.

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Götz Sophie Schramm, <3 OK Boomer <3, Galerie Waidspeicher, Installationsansicht, Foto: © dotgain.info.

All die lustigen Figuren, die dem Messenger-Dienst Telegram entnommenen Tier-Sticker sind “cute”, aber in ihren Zwischenräumen blitzt der Schmerz immerzu gegenwärtiger Diskriminierung und Gewalt auf. Wenn all die nicht privilegierten Menschen in unserer Gesellschaft durchs Raster der Norm fallen, die gesellschaftliche Kälte mit größtmöglicher Härte zu spüren bekommen. Mehr Verständnis und Zuneigung täten uns in allen Bereichen gut. Zeigt sich ein auf endloses Wachstum ausgelegtes kapitalistisches System doch einem absehbaren Kipppunkt nahe, wenn es sich wie ein Geschwür letztendlich selbst aufzehrt. Ein sensibles Hineinhorchen in das eigene Umfeld, ein gelebtes empathisches Miteinander ist heute mehr denn je unabdingbar für ein Weiterbestehen der Welt.

WANN: Die Ausstellung läuft bis Sonntag, den 5. Februar.
WO: Kunstmuseen Erfurt, Galerie Waidspeicher im Kulturhof “Zum Güldenen Krönbacken”, Michaelisstraße 10, 99084 Erfurt.

Intersektionaler Feminismus denkt die Angriffsflächen für Diskriminierung und Benachteiligung wie Geschlecht, Alter, Herkunft, Hautfarbe, Körperkonstitution usw. zusammen und zeigt die Möglichkeit multi-faktorieller Ausgrenzung auf.