Kunst-Wochenende in Thüringen
5 Tipps für Ausstellungen in Erfurt, Jena und Weimar

2. August 2022 • Text von

Dank des 9-Euro-Tickets können Bahnreisende noch immer günstig durch Deutschland fahren. Warum also nicht mal einen Abstecher nach Thüringen ins Zentrum der Bundesrepublik machen? In Erfurt, Jena und Weimar lässt sich nicht nur herrlich sommerlich flanieren, sondern auch eine Menge Kunst entdecken. Wir haben ein paar Tipps für euch zusammengestellt – politisch, aktuell und medienübergreifend.

Tommy Neuwirth, “Orte wo real sind”, 2021 f.

11m3 Projektraum, Weimar

In Zeiten der Pandemie sind alternative Realitäten, Verschwörungserzählungen und einfache Welterklärungen durch die Querdenker*innen in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen. Sie verstärken das bereits vorhandene Unsicherheitsgefühl und rütteln bewusst an den Grundfesten der gemeinsamen Realität. Was heißt also real? In großen Leuchtbuchstaben prangen die vier Buchstaben im Weimarer 11m3 Projektraum, der seit 2019 von Nathalia Azuero und Carlos Santos, ursprünglich aus Kolumbien stammend, betrieben wird. Für den Weimarer Künstler Tommy Neuwirth, der nun im Projektraum einen Teil seiner Werkreihe “Orte wo real sind” zeigt, transportiert sich über die leuchtenden Buchtstaben schon von weitem, was und wo real ist – gemeint ist ein “real”-Supermarkt. Doch auch diese Orte, in denen sich für Neuwirth all die Widersprüchlichkeit der Welt vereint, werden durch Zerschlagung immer weniger.

WANN: Die Ausstellung läuft noch bis Freitag, den 12. August.
WO: 11m3 Projektraum, Karl-Liebknecht-Straße 16, 99423 Weimar.

Oska Gutheil, “Flugtier”, 2022, Öl auf Leinwand, Antonio M. Cardoso Collection, Porto, Portugal, Foto: Matthias Kolb.

Kunstsammlung Jena

Ähnlich aktuell und im Themenspektrum der Pandemie angesiedelt, ist die Ausstellung in der Kunstsammlung Jena, die den vielsagenden Titel „20 22“ trägt. Die großformatigen Gemälde von Oska Gutheil sind auf den ersten Blick alles andere als düster und deprimierend, wirken sie doch farbenfroh, figurativ und von wundersamen Zwiewesen bevölkert. Wenn jedoch die vermeintlich harmlose Monstera im Rückzugsort Schlafzimmer gemäß ihres Namens zum Angriff auf die Schlafenden ruft und Tentakel, Brüste, Katzenkopf oder Ringelsocken folgen, verfliegt die anfängliche Harmonie. Diese Bedrohungen von außen sind Ausdruck der inneren Dämonen, die dem eigenen nächtlichen Gedankenkarussel entspringen, angetrieben durch Dunkelheit und pandemiebedingte Isolation.

WANN: Die Ausstellung läuft noch bis Sonntag, den 6. November.
WO: Kunstsammlung Jena, Markt 7, 07743 Jena.

Zusammenschluss für Raumfragen (ZfR) – “meine Füße unter deinem Tisch”, Ausstellungsansicht, Galerie Waidspeicher, Kunstmuseen Erfurt.

Galerie Waidspeicher, Erfurt

Was ist Wirklichkeit? Das fragt auch die Ausstellung in der Erfurter Galerie Waidspeicher. Sie überführt erstmalig Einzel- und Gemeinschaftsarbeiten des 2018 gegründeten Künstlerinnen-Kollektivs “Zusammenschluss für Raumfragen” (ZfR) in den musealen Kontext. Ein tickender Sekundenzeiger, der sich nicht von der Stelle rührt, wird in seiner bei den Betrachtenden ausgelösten Irritation zur Methode. In den unauflöslichen Wirren der Wirklichkeit eint die fünf Künstlerinnen von ZfR das Interesse an Wiederholungen, Ordnungssystemen und Alltagsdrehbüchern. Diese inhaltliche und formale Verwandtschaft der künstlerischen Positionen kulminiert zunehmend in kollaborativen Arbeiten. Die Künstlerinnen sehen Erkenntnisgewinn im ungewohnten Handeln, wenn das scheinbar Einfache und Vertraute jenseits des Funktionsversprechens von Gegenständen oder Baukörpern neu inszeniert wird.

WANN: Die Ausstellung läuft noch bis Sonntag, den 28. August.
WO: Galerie Waidspeicher im Kulturhof “Zum Güldenen Krönbacken”, Michaelisstraße 10, 99084 Erfurt.

nova space, Ausstellungsansicht “spooky actions”, 2022.

Nova Space, Erfurt

Sagt euch das Prinzip der “spukhaften Fernwirkung” etwas? Sie bezeichnet ein Prinzip aus der Quantenphysik, laut dem zwei Teilchen an unterschiedlichen Orten im Raum ohne jegliche Zeitverzögerung Informationen über ihre Eigenschaften austauschen können. Von diesem Prinzip leitet sich der Titel der Ausstellung “Spooky Actions” in den temporären Galerieflächen des Nova Space in Erfurt ab. Dort präsentiert die Universitätsgalerie der Bauhaus-Universität Weimar medienübergreifende Kunstwerke auf der Schnittstelle zur Wissenschaft, die sich mit zeitlicher und örtlicher Verschränkung auseinandersetzen. Ähnlich einer Laborsituation betreiben die Kunstschaffenden aus dem Studiengang “Kunst und Design” im Ausstellungsraum künstlerische Forschung, erzielen ihre Werke eine Art spukhafte Fernwirkung, wenn sie sich in den öffentlichen Raum ausdehnen.

WANN: Die Ausstellung läuft noch bis Freitag, den 2. September.
WO: Nova Space, Michaelisstraße 34, 99084 Erfurt.

Julian Rauter (mit Alisa Heck und Franz Thöricht), “Der lange Abschied”, 2021, Videoinstallation, HD-Video, Farbe, Ton, 22:21 min (Still).

Kunsthalle Erfurt

Die Kunsthalle Erfurt widmet sich einem anderen großen Thema unserer Zeit: der Natur. Mit “Reflecting Nature #2 – Künstlerische Positionen mit naturkundlichem Bezug” gratuliert sie dem Erfurter Naturkundemuseum zu dessen 100-jährigem Bestehen mit einer Schau von jungen zeitgenössischen Positionen auf der Schnittstelle von Kunst und naturkundlicher Wissenschaftsbegeisterung. Im Rückblick auf Wunderkammern als die Anfänge von Museen untersucht die Ausstellung menschlichen Sammlungseifer und Tierpräparation als kulturelle Praktiken. Sie zeigt die zwiespältige Faszination und morbide Ästhetik toter Ausstellungsobjekte. Ein kontroverses Thema, das in Erfurt zeitgenössische Aufarbeitung erfährt und allgemein nach unserem Verhältnis zur Natur fragt. Im August eröffnet der letzte Part der zweiteiligen Ausstellungsreihe.

WANN: Die Ausstellung wird am Donnerstag, den 18. August, eröffnet und läuft bis Sonntag, den 23. Oktober.
WO: Kunsthalle Erfurt, Fischmarkt 7, 99084 Erfurt.

In freundlicher Zusammenarbeit mit der Galerie Waidspeicher.