Entblößte Verletzlichkeit
Adina Pintilie im Württembergischen Kunstverein Stuttgart

14. November 2023 • Text von

Zurück bleibt ein Gefühl von Scham. Die Künstlerin und Filmemacherin Adina Pintilie präsentiert im Württembergischen Kunstverein Stuttgart eine Ausstellung, die unter die Haut geht. “You Are Another Me. Eine Kathedrale des Körpers” gibt Einblicke in ein multimediales Forschungsprojekt Pintilies, das Grenzen und Möglichkeiten von Körpern und Intimität untersucht. Dabei geraten die Besucher*innen immer wieder selbst in den Fokus der Filmkamera.

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Adina Pintilie, You Are Another Me. A Cathedral of the Body, 2022, mehrkanalige Videoinstallation,
Ausstellungsansicht Kunsthalle Bega 2023, Foto: Vlad Cîndea, Performer: Hermann Müller, Dirk Lange, © Adina Pintilie.

Ein junger Mann steht nackt vor dem Badezimmerspiegel. Er hält seine Handykamera in der Hand und filmt sich. Ungeschönt und ehrlich erzählt er dabei von seinem Verhältnis zu seinem Körper. Er mag ihn nicht besonders, das wird schnell klar. Auf einer anderen Leinwand ist er erneut zu sehen, im Bett mit seinem Partner. Die beiden sind nackt, wälzen sich über die Matratze. Die Szene wirkt mehr wie ein Kampf als ein Liebesspiel, angestrengt und schmerzhaft – ein Abbild innerer Kämpfe?

Adina Pintilie präsentiert mit ihrer Einzelausstellung “You Are Another Me. Eine Kathedrale des Körpers” eine neue Etappe einer mehrschichten, filmischen Langzeitstudie. Die mehrkanalige Videoarbeit “You Are Another Me” wurde ursprünglich für den Rumänischen Pavillon in Venedig 2022 erarbeitet und ist nun in einer erweiterten und neu konzipierten Form im Württembergischen Kunstverein Stuttgart zu sehen. In einem dunklen Raum, auf insgesamt drei Dreikanal-Videoprojektionen, können die Besucher*innen sechs Darsteller*innen verfolgen, die das Verhältnis zu ihrem eigenen und zu den Körpern anderer ausloten.

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Adina Pintilie, You Are Another Me. A Cathedral of the Body, 2022, mehrkanalige Videoinstallation, Still, Performerinnen: Laura Benson, Hanna Hofmann, © Adina Pintilie.

Auf den Leinwänden sehen wir Körper, nackte Körper, die nicht Teil einer normativen medialen Bildsprache sind: Körper mit Behinderung, queere Körper und gealterte Körper. Innerhalb der Videoarbeit setzt sich Pintilie selbst als Dokumentarfilmerin in Szene. Im Umgang mit den Darsteller*innen greift sie Techniken aus therapeutischer Praxis und  Körperarbeit auf, stellt ihnen Fragen oder begleitet sie bei Workshops und Videotagebüchern. Zwischen den Aufnahmen der Darsteller*innen ist die Künstlerin  immer wieder selbst zu sehen, wie sie mit wachem und ernsten Blick in die Kamera schaut.

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Adina Pintilie, You Are Another Me. A Cathedral of the Body, 2022, mehrkanalige Videoinstallation, Still,
Performer*innen: Grit Uhlemann, Christian Bayerlein, © Adina Pintilie.

Die Darsteller*innen tanzen sich in Ekstase, werden intim miteinander oder erzählen von tiefen Ängsten. Ein Schamgefühl bleibt zurück  – Scham für das voyeuristische Interesse an den Körpern auf den Leinwänden. Die Besucher*innen werden Zeug*innen von scheinbar extrem intimen Momenten und Situationen, in denen sich die Darsteller*innen wortwörtlich nackt machen, innerlich und äußerlich. Irgendwo zwischen Realität und Fiktion bleibt es dabei unklar ob die Darsteller*innen sich selbst oder eine Rolle verkörpern.

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Adina Pintilie, You Are Another Me. A Cathedral of the Body, 2022, mehrkanalige Videoinstallation, Still, © Adina Pintilie.

Im Kontrast dazu steht der zweite, hell ausgeleuchtete Raum, in dem sich die filmisch-performative Installation “Waffenstill” befindet. Hier sind es plötzlich nicht mehr nur die Darsteller*innen, sondern auch die Besucher*innen, die in das Blickfeld der Filmkameras geraten. Es handelt sich um eine Reinszinierung des filmischen Apparats der Künstlerin, wie sie ihn zur Erstellung der Videoarbeit verwendet hatte.

Die Besucher*innen können auf einem zerwühlten, weißen Bett Platz nehmen, wo ihr Bild von einer Filmkamera eingefangen und zeitgleich auf einen kleinen Handmonitor übertragen wird. Für den kurzen Moment der Übertragung werden die Besucher*innen zu Protagonist*innen und sehen sich mit denselben Fragen konfrontiert, die Pintilie bereits den Menschen auf den Leinwänden gestellt hat.

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Adina Pintilie, You Are Another Me. A Cathedral of the Body, 2022, mehrkanalige Videoinstallation, Still,
Performer: Hermann Müller, Dirk Lange, © Adina Pintilie.

Es ist ungewohnt Körper, die nicht der Norm entsprechen, nackt, intim, sexuell und verletzlich zu sehen. Gleichzeitig wird der eigene Körper hinterfragt. Wer sind wir unter den Klamotten? Warum sind wir oft so hart zu uns selbst und anderen? Unser Körper sollte ein heiliger Ort sein, eine Kathedrale, ein Ort der Verehrung und Anbetung, egal welche körperlichen Begabungen, Einschränkungen oder Merkmale wir aufweisen. Die Ausstellung “You Are Another Me. Eine Kathedrale des Körpers” wirkt wie eine Hommage an den nackten Körper – eine Erinnerung daran, wie politisch und sensible Nackheit in der Gesellschaft ist.

WANN: Die Ausstellung “You Are Another Me. Eine Kathedrale des Körpers” ist bis zum 14. Januar 2024 zu sehen.
WO: Württembergischer Kunstverein Stuttgart, Schlossplatz 2, 70173 Stuttgart.

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