Wie geht es weiter, Olga Hohmann?
VapoRub gegen Herzschmerz

10. März 2021 • Text von

Eventuell stehen wir kurz vor der Apokalypse. Vielleicht ist es aber auch nur ein Verständnisfehler. Die Künstlerin Olga Hohmann denkt für uns über die Zukunft nach – und bekämpft Liebeskummer mit Trap Tracks und Erkältungscreme.

Zwei Zahnabdrücke sowie eine Packung Wick VapoRub
Foto: Olga Hohmann.

Text: Olga Hohmann

Neulich wurde ich auf den Begriff der APOKALYPSE aufmerksam gemacht. Mein ehemaliger Professor erzählte, wie er vor ein paar Jahren den Zypern-Pavillon bei der Biennale di Venezia kuratierte. Das Aufbauteam transportierte die in Holzkisten und Luftpolsterfolie verpackten Arbeiten (hauptsächlich Malerei) in den Raum. Sie unterhielten sich dabei auf Griechisch. Immer wieder fiel dabei in den Satzfetzen, die mein Professor aufschnappte, das selbe Wort: APOKALYPSE.

Er beobachtete das sich Anweisungen hin- und herrufende Team, nun immer aufmerksamer – und hörte dabei, wieder und wieder: APOKALYPSE. Mein Professor wurde zunehmend panisch: Irgendetwas schien bei dem Transport schief gelaufen zu sein. Nach einer Weile fasste er sich ein Herz und fragte eine der HelferInnen ganz direkt: „I am sorry, is something wrong with the artworks? I always hear you saying the word APOCALYPSE.“

Die AufbauhelferIn fing an zu lachen und antwortete, dass er sich keine Sorgen zu machen brauche. Es stellte sich heraus, dass das griechische Wort APOKALYPSE übersetzt ganz einfach ENTHÜLLUNG heißt. Das Team hatte sich lediglich darüber unterhalten, in welcher Reihenfolge die Werke ausgepackt werden sollten.

Wenn ich das Wort APOKALYPSE höre, denke ich natürlich auch zuerst an das Ende der Welt. Nachdem er mir die Geschichte erzählt hatte, machte ich eine kleine Internetrecherche zu dem Begriff – und dabei eine lustige Entdeckung: Wenn man das „Ende der Welt“ googelt, findet man hauptsächlich tragische Liebeslieder. So profan einem der Schmerz von Weitem aber auch vorkommt: Wenn man ihn hat, fühlt er sich tatsächlich an wie „das Ende der Welt“. „Why does the sun go on shining? Why does the sea rush to shore? Don’t they know it’s the end of the world that you don’t love me anymore?“ singt die Country- Schnulzen-Sängerin Skeeter Davis 1962 in ihrem Hit „The End of the World“.

Erst letzte Woche lag ich voller Heartbreak-Weltschmerz in den Armen einer Freundin. Wir trugen beide Frottee-Tracksuits der Marke „Juicy Couture“, im Hintergrund lief die Reality TV Show „90 Days Fiancé“. Meine Freundin rauchte Gauloises im Bett und versuchte, mich zu trösten, aber es schien unmöglich: Ich hatte ein seltsames Engegefühl in der Brust- und Herzregion, eine Art Stechen – ein bisschen so, als wären die Worte, die ich nicht hatte aussprechen können, zu einer Art sauren Flüssigkeit oder einem giftigen Gas geworden, das nicht aus meinem Körper herauskonnte und mich deshalb von Innen vergiftete. Ich bat meine Freundin darum, sich mit ihrem ganzen Körpergewicht auf mich zu legen und sich dabei so schwer zu machen, wie möglich. Nur auf diese Art, so dachte ich, könnten die, mich von Innen beschwerenden Dämpfe aus meiner Brust durch meinen Mund entweichen. Sie tat mir den Gefallen und legte sich eine Weile lang in ihrem braunen Frottee Suit-Körper auf meinen rosafarbenen Frottee Suit-Körper. Es half nicht, vielleicht war sie nicht schwer genug.

Plötzlich stand sie auf und holte eine kleine Dose „VapoRub“ der US-Pharma-Marke „Wick“ aus dem Medizinschrank – in Deutschland einfach als „Erkältungscreme“ oder „Bronchiencreme“ bekannt. Sie rieb meine Vorder- und Rückseite mit der nach Pfefferminze riechenden Fett-Tinktur ein und wies mir an, einen Moment zu warten – die Wirkung würde gleich einsetzen. Es dauerte höchstens eine Minute, dann wurde mir buchstäblich leichter ums Herz – VapoRub hatte von außen meine Brust geöffnet und die fiesen Dämpfe, den Schmerz und die Angst aufgelöst.

Im letzten Jahr stieß ich auf den von einem Österreichen Kind performten Trap Track „Alles Mango?“. Er beinhaltet kindliche Poesie wie „Frischer Mangosaft am Strand, Brudi. Frischer Mangosaft, njam njam, Brudi“ und endet nach knapp über einer Minute mit dem sich mehrmals wiederholenden Motiv „Teil dir mit mir ne Mango“.

Zuerst war ich richtiggehend hingerissen von dem bezaubernden Lied und spielte es all meinen Freunden vor, die alle sowohl gerührt als auch belustigt waren. In meinem Freundeskreis hat sich seitdem „Alles Mango?“ statt „Wie geht es dir?“ als Frage nach dem Wohlbefinden anderer etabliert.

Irgendwann nahm „Alles Mango?“ für mich aber überhand – es wurde zu einem Imperativ der guten Laune – zu einem (Reinheits-)Gebot. Bei wem mal nicht „Alles Mango“ ist, wird, so meine zunehmende Angst, ausgestoßen oder zumindest als zweitklassig kategorisiert.

Ich geb’s trotzdem zu: Ich bin im Moment halt eher so Ananas.

Olga Hohmann (*1992) hat Theaterregie an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin sowie Freie Kunst am Piet Zwart Institute in Rotterdam studiert. Sie hat ein besonderes Auge für Phänomene des Alltags und arbeitet immer an der Grenze zwischen persönlicher Erfahrung und philosophischer Überlegung. Olga hat mehrere Performances in der Galerie Anton Janizewski realisiert und mit “What I (don’t) remember” ein ganz großartiges Buch veröffentlicht. Wir haben bereits über ihr Projekt “Rotating Diamonds” berichtet. Mehr von Olga Hohmann gibt es auf ihrer Website oder auf Instagram.

Für die Reihe „Wie geht es weiter, …?“ haben wir Künstler*innen, Kunst-Theoretiker*innen und Kulturschaffende nach ihren Ideen, Plänen und Visionen für die Kunst in und nach 2021 gefragt.

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