Liebe heißgekühlt Raphaela Simon im Oldenburger Kunstverein
28. März 2024 • Text von Lara Brörken
Menschen brauchen gelegentlich einen Herzchen-Pulli, schlüpfen buchstäblich in eine etwas weichere Umgebung, denn da draußen ist es oft sehr kalt. Die harte Schale, die es dort braucht, ist auf Dauer schwer zu tragen. Raphaela Simons Ausstellung “Die Nachahmung der Rose” im Oldenburger Kunstverein konfrontiert mit menschlichen Bedürfnissen und Gefühlen, die wie Aggregatzustände stark schwanken. Heiße Liebe und kalte Liebe eben.
Erst kürzlich rief eine Freundin an und erzählte in tiefer Verzweiflung und unter Tränen, sie sei verliebt. Ihr Schmerz übertrug sich direkt auf meinen Körper, auch wenn kaum zu verstehen war, was genau jetzt eigentlich schmerzt. Ist ja auch erst mal egal, denn logisch sind Emotionen bekanntlich selten. Ein starkes Gefühl hält einen gefangen, es belebt und beklemmt gleichzeitig: ein Tauziehen von Feuer und Eis.
Vor den 20 Arbeiten von Raphaela Simon, die derzeit unter dem Titel “Die Nachahmung der Rose” im Oldenburger Kunstverein zu sehen sind, wird beinahe klar, welche Aggregatzustände die Gefühlswelt dominieren. Auch in diesem Raum übertragen sich die Emotionen direkt und auf unerklärlich eindringliche Weise. In den großzügigen, von aufgereihten Neonröhren klinisch ausgeleuchteten Räumlichkeiten des Oldenburger Kunstvereins stechen ihre rot dominierten Arbeiten heißblütig von den Wänden.
Auf ihren Leinwänden ist immer wieder eine breitschultrige Figur auf rotem Grund zu sehen. Sie hat keine Haare auf dem Kopf, auch die Augenbrauen fehlen, die Augen meist geschlossen drehen sie ihren Kopf leicht zur Seite. Science-Fiction Dune-Bösewichter? Eine Figur ganz in rosa, trägt einen Pulli, übersät von weißen Herzen, eine andere in einer Art grau-metallischen, löchrigen Rüstung. So erinnert die eine Arbeit an die Zartheit eines Gefühls und die andere an den Schutzpanzer, der gegen die Brutalität desselben schützen soll.
Ein weiterer Körper, abgebildet im Werk “Schutz”, ist schattenhafte Silhouette. Durch das flächig schwarze Gesicht verläuft eine Reihe weißer Punkte in Richtung des Oberkörpers. Über die Schultern knöpfen sich die Punkte scheinbar auf und geben den Blick in das Innere des Körpers frei. Sichtbar wird ein Käfig, durch dessen Gitterstruktur ein Embryo zu sehen ist.
Mit ihren Werktiteln “Herzen”, “Hitze”, “Schutz”, “Müdigkeit”, “Blut” oder auch “Anpassung” schafft Raphaela Simon ein Moodboard der Zustände. Begünstigt von der Neutralität der Umgebung wird jede Arbeit ein Destillat, eine Konfrontation mit dem Extrem. Das “Blut” wirft seinen Blick durch dunkle Augenhöhlen und einen offenstehenden Mund gerade aus dem Bild heraus. Unheimlich wie durch eine SM-Maske wirkt der düstere Blick herausfordernd und doch devot, bedrohlich und erotisch zugleich.
Direkt gegenüber kühlt die überlebensgroße Textilskulptur “Eishaut” die Gemüter wieder etwas herunter und entlockt mit seinen tapsigen Füßen und wulstigen Gliedmaßen ein Schmunzeln. Ein ziemlich harmloser und luftig leichter Zombie. Die Furcht, das Wohlbefinden und der Humor liegen hier nah beieinander wie in der Realität. Schade nur, dass einen Simons abstrakten Arbeiten wie der “Dampf” eher kalt lassen. Vielleicht ist diese ernüchternde Klarheit der bläulichen Werke im Kontrast zur roten Hitze der anderen aber auch gerade sehr passend. Denn auch der Moment, der einen nicht berührt, gehört zum Alltag dazu.
Mit ihrem Ausstellungstitel “Die Nachahmung der Rose” wird auf Clarice Lispectors gleichnamigen Roman verwiesen. Die brasilianische Autorin, in der internationalen Literaturwissenschaft bedauerlicherweise kaum rezipiert, zeichnete die Innenwelt ihrer Charaktere detailliert bis hin zu kafkaesker Unverständlichkeit. Eine der von ihr stets behandelten Fragen sei, so einer ihrer Übersetzer Curt Meyer-Clason: “Wie geht man mit der Einsamkeit um, und was sind die Grenzen von Liebe-Geben und Liebe-Nehmen?” Die Klammer zu Raphaela Simons Figuren und Stimmungsbildern ist klar zu erkennen, auch sie bleiben überwiegend auf sich selbst zurückgeworfen, suchen in ihren eigenen Gefängnissen nach Geborgenheit.
Im Zusammenspiel mit der Weichheit ihrer Textilskulptur betten sich die Erkenntnisse über die Liebe. Die Liebe ist heiß und nass: Entweder saugen sich die Tränen in das Kopfkissen oder der Speichel, der während wilder Küsse die Münder verlässt. Sie ist saftig süß wie eine unbekannte Frucht. Die Liebe ist heiß und spitz: Sie durchdringt Köper und Herz, bohrt sich lasziv in die Haut wie der Absatz eines roten High Heels, schmerzt brennend wie der Stachel eines Seeigels im Fuß.
Liebe ist extremer als das Wetter im April, nichts mit leichten Schauern, das sind Blitze, scharfkantige Eisschollen, Lava, Waldbrände und Hurrikans. “Es tat gut und es tat weh”, singen Lina Maly und Moritz Krämer gerade sehr treffend das Fazit im Radio vor. Los, fahrt eine Runde in Raphaela Simons Achterbahn der Gefühle!
WANN: “Die Nachahmung der Rose” ist noch bis Sonntag, den 21. April zu sehen.
WO: Oldenburger Kunstverein, Damm 2a, 26135 Oldenburg.