Blickwechsel wagen
Hoda Tawakol im Dortmunder Kunstverein

13. April 2023 • Text von

Wie blicken wir auf die Welt? Und vor allem: Sind wir uns bewusst, aus welcher Position heraus wir das tun? Diese Fragen stellt sich die Künstlerin Hoda Tawakol im Dortmunder Kunstverrein im Rahmen ihrer ersten institutionellen Einzelausstellung in Deutschland. Dabei werden gesellschaftliche Strukturen und Blickbeziehungen offengelegt.
(Text: Stella Baßenhoff)

Ausstellungsansicht Hoda Tawakol im Dortmunder Kunstverein Gallerytalk
Hoda Tawakol, Ausstellungsansicht „Silent Voices in a Palm Grove“ im Dortmunder Kunstverein, Foto: Jens Franke

Bewegt man sich auf den Eingang des Dortmunder Kunstvereins zu, fallen einem zuerst der meterhohe Palmenvorhang auf, der die große Fensterfront bedeckt. Einen kurzen Blick in den Innenraum zu bekommen ist dadurch nicht möglich. Welche stillen Stimmen befinden sich hinter diesem Palmenhain, so wie es der Titel der Ausstellung ankündigt? Eines ist nach dem Besuch der Ausstellung sicher: Still sind die Stimmen hier nicht und man bleibt es selbst auch nicht.

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Hoda Tawakol, Ausstellungsansicht „Silent Voices in a Palm Grove“ im Dortmunder Kunstverein, Foto: Jens Franke

In den neuen Räumlichkeiten des Kunstvereins ist eine raumübergreifende Ausstellung mit großformatigen Textilskulpturen und Haarmasken der ägyptisch-französischen Künstlerin Hoda Tawakol entstanden. Im Ausstellungsraum hängen die Objekte von der Decke, über eine Brüstung oder an der Wand. Gleich im Eingang werden die Besucher*innen von „Warrior #2“ begrüßt, einer im Raum hängenden Skulptur, deren Körper aus geflochtenen Haarteilen geformt ist, die wie eine Rüstung wirken. Eine Figur, die den Eindruck vermittelt, dass sie ihren Platz im Ausstellungsraum gefunden hat und sich nicht wegbegeben wird.

Ausstellungsansicht Hoda Tawakol im Dortmunder Kunstverein
Hoda Tawakol, Ausstellungsansicht „Silent Voices in a Palm Grove“ im Dortmunder Kunstverein, Foto: Jens Franke

Direkt werden Assoziationen zu den vielen aktuellen Bildern feministischer Proteste im Iran ausgelöst, wo seit Monaten unter Lebensgefahr gegen patriarchale Unterdrückung demonstriert wird. Dabei steht vor allem der Zwang im Mittelpunkt, das Haar durch ein Kopftuch bedecken zu müssen. In diesem Zusammenhang ist das Abschneiden des Haares zu einem symbolhaften demonstrativen Akt geworden, der die Selbstbestimmung über den eigenen Körper verdeutlicht.

Die Frau, selbstbestimmt und laut, „[…] das ist, was bedrohlich ist für patriarchale Strukturen. Diese patriarchalen Strukturen fühlen sich bedroht von einer Frau, die sich nicht versteckt“, sagte Tawakol in einem Beitrag der ARD-Fernsehsendung “Titel, Thesen, Temperamente”. Das Haar wird hier in Dortmund nicht versteckt, sondern zum Kunstwerk, wie auch bei den an der Wand hängenden Arbeiten mit den Titeln „Hair“ und „Shebbak“.

Ausstellungsansicht Hoda Tawakol im Dortmunder Kunstverein
Hoda Tawakol, Ausstellungsansicht „Silent Voices in a Palm Grove“ im Dortmunder Kunstverein, Foto: Jens Franke

Hoda Tawakol untersucht immer wieder gesellschaftliche Strukturen, die von ungleichen Machtverhältnissen geprägt sind. Dabei spielt vor allem der Blick eine zentrale Rolle, der von der Künstlerin unterschiedlich thematisiert wird. Augen sind daher ein wiederkehrendes Element in ihren Arbeiten, sowohl als physische Objekte aber auch als Mittel, um allgemeiner über den Blick nachzudenken.

Auch auf einigen Objekten im Dortmunder Kunstverein sind diese Augen zu sehen, so zum Beispiel bei den „Lures“ (Köder), die an Wurfköder des Falkentrainings angelehnt sind. Dabei handelt es sich um übermenschengroße Textilskulpturen, deren Formen an menschliche Körperteile erinnern. Sie erwecken den Eindruck, als ob der Betrachtende von den Objekten ebenfalls angeschaut wird. Der Blick wird zurückgeworfen. Die hier gewählte Darstellung der Wurfköder entstammt der Falknerei, welche gerade im nordafrikanischen und arabischen Raum eine lange Tradition vorweist, und vor allem männlich dominiert ist.

Ausstellungsansicht Hoda Tawakol im Dortmunder Kunstverein
Hoda Tawakol, Ausstellungsansicht „Silent Voices in a Palm Grove“ im Dortmunder Kunstverein, Foto: Jens Franke

Die Künstlerin begreift ihre Arbeit, gerade durch die verschiedenen kulturellen Einflüsse, als Beobachtung von hybriden Zuständen, in der sie sich mit den Verhältnissen von Körper und Identität, Bedrohung und Faszination sowie Sinnlichkeit und Brutalität auseinandersetzt. Dabei spielt sie immer wieder mit den Maßstäben der Objekte, die übergroß im Raum verortet sind, wie die schon genannten „Lures“.

Wer wird hier angelockt und weshalb? Diese Frage stellt sich den Betrachtenden und schafft ein Bewusstsein für Blickbeziehungen zwischen Menschen sowie zwischen Menschen und Objekten oder Kunstwerken. In einer patriarchalen Gesellschaft ist der Begriff des “Male Gaze”, des männlichen Blicks, der aus der feministischen Filmtheorie kommt, ein zentraler Aspekt. Dieser schreibt Frauen, ihrer Weiblichkeit und ihrem Körper bestimmte Regeln vor und muss den Bedürfnissen männlicher Betrachtender entsprechen.

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Ausstellungsansicht „Silent Voices in a Palm Grove“ von Hoda Tawakol im Dortmunder Kunstverein, Foto: Jens Franke

In der oberen Etage des Kunstvereins ist von der Künstlerin eine Struktur aus Rankgittern geschaffen worden, angelehnt an das Gitternetz der Mashrabiyya, bei denen es sich um ornamentale Holzgitterstrukturen, die in der Architektur der arabischsprachigen Welt als durchlässige Fenster und Wände genutzt werden, handelt. Der Grundriss ist hier dem Herrenbereich, dem „Salamlek“, im Bayt Al-Suhaymi, dem Palast des Scheichs Al Suhaymi im mittleralterlichen Kairo, nachempfunden. Dieser historisch nur für männliche Besucher vorgesehene Raum, ist in der Ausstellung für alle zugänglich. Ergänzt wird dieser von zehn, auf das menschliche Kopfmaß vergrößerte, Falkenmasken, den „Falconry Hoods“.

Ausstellungsansicht Hoda Tawakol im Dortmunder Kunstverein
Hoda Tawakol, Ausstellungsansicht „Silent Voices in a Palm Grove“ im Dortmunder Kunstverein, Foto: Jens Franke

Hoda Tawakol hinterfragt im Dortmunder Kunstverein patriarchale Machtstrukturen- und Gesellschaften und nimmt dazu eigene Einflüsse und Prägungen in den Blick. Ihre Überlegungen tragen zu einem gesellschaftlichen Austausch bei, der nicht nur Themen wie Identität und Geschlecht behandelt, sondern auch die Selbstbestimmung über den Körper und das eigene Leben mitdenkt. Dies kann sich nur aus Widerständen gegen herrschende Strukturen ergeben. Die Objekte sowie die Besucher*innen im Kunstverein sind durch den Palmenvorhang vor Blicken von außen geschützt, sie können selbst entscheiden, wann und vor allem wie sie sich aus diesem geschützten Raum des Palmenhains heraus begeben.

WANN: Die Ausstellung „Silent Voices in a Palm Grove“ von Hoda Tawakol ist noch bis zum 11. Juni 2023 zu sehen. Begleitet wird die Ausstellung u.a. von einem Themenabend mit dem Titel „Haarpolitik“ am 11. Mai, an dem die Professorin Dr. Alexandra Karentzos vom Lehrstuhl Mode und Ästhetik der TU Darmstadt, einen Vortrag zu „Dekolonialen Körperpraktiken in der zeitgenössischen Kunst“ halten wird.
WODortmunder Kunstverein, Rheinische Straße 1, 44137 Dortmund.