Choreografien des Unbehagens
"The Creep" von Melanie Jame Wolf im E-WERK Luckenwalde

3. November 2023 • Text von

Mit “The Creep” zeigt das E-WERK in Luckenwalde derzeit die bislang größte Einzelausstellung der Künstlerin und Choreografin Melanie Jame Wolf. Die multidisziplinären Arbeiten verhandeln auf poetische und nachdenkliche Weise körperliche Ausdrucksformen von Gewalt, Angst und Macht. Halloween ist zwar vorbei, doch hier zieht sich das Unbehagen weiter durch die Räume.

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Film Still “The Creep”, E-WERK Luckenwalde © Melanie Jame Wolf.

Im brandenburgischen Luckenwalde, nur eine Zugstunde von Berlin entfernt, zeigt das E-WERK die Einzelausstellung “The Creep” von Melanie Jame Wolf, die sich in ihrer künstlerischen Praxis mit Körpern, Macht, Angst und Performance-Techniken auseinandersetzt. Als Fortsetzung ihrer “Creep Studies” untersucht sie diese Themen in einer Filminstallation, Keramikarbeiten, Textilskulpturen und einer Performance und findet dafür vielfältige visuelle Ausdrucksformen. Die Arbeiten zeichnen sich durch ihre Dynamik, Performativität und Körperlichkeit aus.

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Installationsansicht “The Creep”, E-WERK Luckenwalde, Melanie Jame Wolf, Foto: Joanna Wilk.

Doch was macht einen “Creep” eigentlich aus? Ein “Creep” schleicht sich von hinten an oder kriecht wie die textilen Skulpturen in den Arbeiten von Melanie Jame Wolf durch den Raum. Er löst ein ungreifbares Unbehagen aus. Angst wird spürbar, nicht sichtbar. Dass eine Situation ins Unheimliche kippt, ist von außen nicht zwingend als solches zu erkennen, ein plötzlich aufkommendes Unbehagen selten zu erahnen oder vollständig nachvollziehbar. Es kommt ohne Vorankündigung und ohne rational erklärende Gründe in einem auf. Die Künstlerin und Choreografin macht diese unsichtbaren Vorgänge sichtbar und zum zentralen Thema ihrer neuen Arbeiten, indem sie das Unbehagen in Bewegungen übersetzt.

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Installationsansicht “The Creep”, E-WERK Luckenwalde, Melanie Jame Wolf, Foto: Joanna Wilk.

In einer Filminstallation verkörpert Melanie Jame Wolf einen “Creep” – eine Outlaw-Figur mit komplizierten Fantasien – in einer undefinierten mythischen Landschaft. Die Requisiten sind in der großen Ausstellungshalle zu sehen. Der Kurzfilm ist ein Duett zwischen der Figur und einem Berg, in dem sich Dialoge und Bewegungen wie in einer Endlosschleife wiederholen und dennoch nie identisch sind. Der theatralische Satz “Oh! Get away with it for long enough, and it’ll start to look like fate” (“Oh! Wenn man lange genug damit auskommt, sieht es bald wie Schicksal aus”) bildet den wiederkehrenden Startschuss für das Duett zwischen Protagonist*in und dem Berg. In knalliger Pop-Ästhetik wird der “Creep” in verschiedenen Einstellungen gezeigt, mal in Lebensgröße, mal in Close-ups, die einzelne Bewegungen wie ein Kreisen mit der Hüfte oder Kauen des Zahnstochers betonen.

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Film Still “The Creep”, E-WERK Luckenwalde © Melanie Jame Wolf.

Die multidisziplinären Arbeiten der Künstlerin beinhalten Wiederholungen, langsame und dynamische Bewegungselemente sowie humoristische Momente als Mittel der Kritik und Fragestellung. In Film und Performance setzt Melanie Jame Wolf Sprache reduziert, aber gezielt, ein. In ihren begleitenden Performances tritt die Künstlerin häufig im Kollektiv mit ihren Freund*innen auf, in den ausgestellten Werken schlüpft sie allein in eine “creepy” Rolle. Der Körper spielt dabei in allen Arbeiten eine wesentliche Rolle. Die Künstlerin begreift ihn als widerspenstiges politisches Rätsel, dem sie in “The Creep” auf den Grund zu gehen versucht. Etwas Rätselhaftes zieht sich durch die großflächigen und kühlen Ausstellungsräume des ehemaligen Braunkohlekraftwerks aus dem Jahr 1913.

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Installationsansicht “The Creep”, E-WERK Luckenwalde, Melanie Jame Wolf, Foto: Joanna Wilk.

So schwer das Phänomen des “Creeps” für uns zu greifen scheint, so schwer fassbar ist es auch in der Ausstellung von Melanie Jame Wolf, die versucht, einen visuellen Zugang zu dem Unsichtbaren zu schaffen. Es ist weniger die Betrachtung der einzelnen Kunstwerke, die das Rätsel entschlüsselt, als vielmehr ein Gefühl, eine Stimmung, die durch das Gesamtensemble in den Betrachter*innen ausgelöst wird und uns das “Gesicht des Unbehagens” erahnen lässt. Die Ausstellung aktiviert die individuellen Erfahrungsschätze der Besucher*innen und ruft Erinnerungen an eigene erlebte Situationen wach, die ängstliche und unangenehme Gefühle ausgelöst haben. Bewusst spielt die Künstlerin mit Spannungen und ihren eigenen Übersetzungen einer diffusen, aber realen Angst. Befremdliche und beängstigende Gefühlswelten werden von Melanie Jame Wolf in dem Ausstellungsraum zu Choreografien des Unbehagens zusammengeführt. Diesem Spannungsgefüge, das vorerst ohne eine eindeutige Auflösung auskommen muss, wird das Publikum in “The Creep” ausgesetzt.

WANN: Die Ausstellung “The Creep” läuft bis zum 10. Februar 2024.
WO:
E-WERK Luckenwalde, Rudolf-Breitscheid-Straße 73, 14943 Luckenwalde.