Wellness-Oase der Imperative
Live Love Laugh in der Bremer Galerie Mitte

28. September 2022 • Text von

In der Galerie Mitte in Bremen verschmelzen künstlerische Positionen von Ju Aichinger, Ada Hillebrecht, Theresa Rothe, Jenny Schäfer und Theresa Weber zu einem installativen Wohnzimmer. Zugunsten von Live Love Laugh wird in der Gruppenausstellung “jelly is sticky on steam” das Private entpolitisiert. (Text: Linda Valerie Ewert)

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Jenny Schäfer: Innere Sicherheit, 2021. Foto: Lukas Klose.

CARPE DIEM / SHIT HAPPENS / LEBE DEINEN TRAUM / HAKUNA MATATA / LEBE LIEBE LACHE / LIVING THE MOMENT – mit ausreichend Entschlossenheit und dem nötigen Augenzwinkern können im Leben alle an ihr Ziel kommen, oder? Das Wandtattoo-Poster mit mehreren Imperativen ist eine Arbeit von Jenny Schäfer. Ihre mehrteilige Installation „Innere Sicherheit“ (2021) nimmt in der Galerie Mitte in Bremen gut ein Drittel der linken Fläche des Ausstellungsraums ein.

Schäfer arbeitet mit Readymades, Deko-Treppchen in Grafit- oder Holz-Optik, auf denen eine Plastikpflanze, eine Flasche Volvic Kirschgeschmack, Bifi-Rolls oder ein Dutzend Hyaluron Augenring-Pflegestifte liegen, die auch benutzbar sind. An den Rückseiten der Sockel prangen die jeweiligen Baumarkt-Produktsticker. Mehrere große Poster in Aluklapprahmen kommen wie Sammelwerbung daher.

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Jenny Schäfer: Innere Sicherheit, 2021. Foto: Lukas Klose.

Hinter matten Plastikscheiben sind auf jedem Poster mehrere Fotos von sogenannten Einfamilienhäusern zu sehen: mit Carport, Spielzeug im Garten, großem Familienauto, manche mit Solarzellen auf dem Dach. Ein Foto zeigt einen Mann im Anzug vor einer Powerpoint-Präsentation mit dem Titel „10 Fehler, die man beim Immobilienankauf vermeiden sollte“. Innere Sicherheit ist käuflich, so scheint es.

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Theresa Rothe: If I keep up this pace, I will arrive early, 2022. Foto: Lukas Klose.

Weniger produktiv zeigt sich eine Arbeit von Theresa Rothe mit dem ironischen Titel „If I keep up this pace, I will arrive early“ (2022). Die fast eineinhalb Meter große runde Plüsch-Figur liegt wie eine Art Schneemann-Maikäfer hilflos auf dem Rücken. Alle viere von sich gestreckt und einen Flip-Flop an ihrem dürren Beinchen bereits verloren, macht sie eine ungelenke Figur. Ihr Fell ist aus dichtem rosa Kunsthaar genäht, sie hat helle Haut mit großen dunklen Leberflecken, aus denen lange Härchen wachsen – die haben Freund*innen der Künstlerin gespendet.

Die Figur, so Rothe, verkörpert sie selbst in Phasen der puren Erschöpfung, in denen sie sich kaum noch regen kann und nicht weiß, wie sie es zum nächsten To-Do-Punkt schaffen soll. Es ist ein Körper, der sich – entgegen der Botschaft von Schäfers Wandtattoo dahinter – nicht selbst optimieren will, der schwach macht. Unter der Figur ragt die Sprungfeder eines alten Spielplatz-Gerätes hervor. Hat dieser Körper Spaß dabei? Ist er widerständig? Er wird jedenfalls zu spät kommen, es wird nicht anders gehen und es wird okay sein.

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Ada Hillebrecht: Vorhang, 2022. Foto: Lukas Klose.

Vor dem Plüsch-Käfer ist mittig in der Ausstellung wie eine Art Trennwand Ada Hillebrechts „Vorhang“ (2022) aus kleinen Keramiken angebracht. Diese wirken von weitem ein wenig wie Muscheln, sind jedoch längliche Tonstücke, die von Hillebrecht mit einem kräftigen Händedruck oder wütendem Fäuste-Bilden geformt und weiß lasiert wurden. Durch die kleinen Teile lässt sich an einen sommerlichen Balkonvorhang denken, jedoch macht dieser eine kleine Kurve zur Seite, wodurch er eher zu einem Duschvorhang wird. Hillebrechts repetitives Händedrücken erinnert auch die endlos vielen kleinen und großen Kaufverträge, die wir in unserem Alltag machen oder all die Cookies, die wir akzeptieren.

Ein weiterer Teil von Schäfers Installation „Innere Sicherheit“ sind kleine Regalscheiben aus Pressspan, auf denen „sinnlich und feminin duftende“ Vanilleduftstäbchen stehen. Mittig platziert ist ein „Lustiges Taschenbuch“ mit dem Titel „Ohne Fleiß kein Preis“. Fleiß ist Arbeit, ist Durchhalten, Preis ist Konsum, ist flavour, ist Wellness. „Wo deine Gaben liegen, da liegen deine Aufgaben“, heißt es auf einem Teebeutel-Schildchen, das aus einer Tasse baumelt. Wellness, das ist auch die hobbymäßige Beschäftigung, das feminisierte „Basteln zu Hause“, bei dem sich Erfolgserlebnisse erleben lassen.

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Jenny Schäfer: Innere Sicherheit, 2021. Foto: Lukas Klose.

Schäfer hat für die kleinen Regalscheiben Tassen mit den Produktdetails aus Onlineshops bedrucken lassen: Jede Zeile beginnt mit einem Emoji und beinhaltet ein Versprechen wie „luxuriöse Wellnessmomente für zu Hause“, „eine ganz persönliche Dekorationsidee“ oder ein „liebevoll zusammengestelltes Beauty-Set“. Eine LED-Kerze ist gleich mehrfach personalisiert und bedruckt mit einem weichgezeichneten Foto von einem Schlüssel, auf dem „Jenny“ eingraviert ist. Die Objekte erinnern an das Wohnzimmer jener Menschen, die als Jugendliche im Jahr 2000 miterlebten, wie sich auf RTL II die No Angels formierten, aber 2020 nicht mitbekamen, dass diese nun auch auf Spotify sind und wieder touren.

Ohne Zweifel fällt die Ästhetik der Objekte unter die Definition „cheugy“(sprich chew-gee), welche bereits seit 2013 im englischsprachigen Slang als Abwertung verwendet wird, jedoch erst letztes Jahr in Essays auf ihre implizite Misogynie hin untersucht wurde. Auch eine klassistische Lesart der Installation ist wegen der trashigen Attribute erschreckend naheliegend. Die Gegenstände wirken nicht freudig wieder-entdeckt und angeeignet, sondern wie ein beklemmender Besuch, eine Studie aus der Distanz. Gleichzeitig ist die Zuflucht ins Private, wo man etwas individuell gestalten und entscheiden kann, oder das Hinarbeiten auf „das gute Leben“ jedoch ziemlich universell.

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Jenny Schäfer: Innere Sicherheit, 2021. Foto: Lukas Klose.

Dafür wird stetig am eigenen Körper gearbeitet: Nicht nur Hyaluron-Kollagen-Stifte gegen Tränensäcke, auch angebrochene Ibuprofen liegen bereit, denn trotz Schmerzen wird durchgehalten in diesem Haushalt. Die DIY-Wellnessoase mit dem „LIVING THE MOMENT“ an der Wand individualisiert nicht nur das eigene Zuhause, sondern auch die ungleichen Startbedingungen, die die Dagobert Duck-Mentalität von „Ohne Fleiß kein Preis“ unbeachtet lässt. Strukturelle Benachteiligungen, die die Arbeitssuche oder Lohnarbeit selbst betreffen, werden mit einem SHIT-HAPPENS-Schulter-Zucken geschluckt und in Selbstoptimierung umgewandelt.

„Innere Sicherheit“ ist ein Wunsch, ein Ideal, das innerhalb der selten wirklich eigenen vier Wände verhandelt und auch dort verteidigt wird. Der Titel der Arbeit verweist auch auf die Polizei und staatlich versprochene Sicherheit – handelt es sich doch um das bürgerliche Wohnzimmer jenes Deutschlands, das in den letzten Jahren mehrere Heimatministerien hervorgebracht hat?

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Theresa Rothe: MIDENIGHT, 2022. Foto: Lukas Klose.

Rechts vorne im Raum ist eine weitere sehr körperliche Skulptur von Theresa Rothe zu sehen, „MIDENIGHT“ (2021). Auf einem plüschigen blau-rosa Katzenbaum drehen sich unermüdlich zwei dicke große Würmer. Sie grinsen mit aufgerissenen Augen ins Leere und wirken übermüdet. Auch sie erinnern mit ihrem Plüsch an das Private und ein gemütlich-kitschiges Zuhause. Gleichzeitig haben sie etwas Groteskes, vielleicht sogar Abjektes an sich. Sie sind mit einer glänzenden Knete überzogen wie auch das Kabel ihres Motors. Es erinnert bisweilen an eine essbare Nabelschnur.

Die Würmer sind ineinandergeschlungen und machen Grimassen, wie man es am liebsten im geschützten Innenraum tut. Ihre Drehscheibe ist ebenfalls mit Knete gedeckt und wirkt wie eine bestrichene Torte. Drei Geschwister dieser beiden Würmer finden sich am vorderen Schaufenster der Galerie wieder. Es sind die langen „hairy worm I / II / III“ (2021). Dichte Strähnen aus Synthetik-Haar sind auf Stoffen zusammengenäht und wie viel zu lange Toupets oder Schweife aufgehängt. Der knallgelbe findet direkte Assoziationen mit Rechtspopulisten.

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Ju Aichinger: heavy forever, 2021. Foto: Lukas Klose.

Auf hohen, stangigen Sockeln thronen zwei Keramik-Skulpturen von Ju Aichinger. Sie lassen an eine klobige Tee- und eine Kaffeekanne denken. „heavy forever“ (2021) ist erstere, bemalt wie eine Art Sandstein und verziert mit lila-gelben Cartoon-Blüten mit kleinen Gesichtern, die an dunkelgrünen Ranken mit spitzen Dornen wachsen. Oben auf dem Deckel ist ein Diamantenring und es windet sich eine dicke schützende Metallkette um die Kanne, als gäbe es hier trotz der freundlichen Farben ein dunkles und schweres Geheimnis, wie in einem alten Turm.

„vertrauen mit spikes“ (2021) ist die schmalere und düsterere Kanne. Sie glänzt in Schwarz und Silber, hat einen Henkel wie einen Nietengürtel, ein rotes gefaltetes Oberteil wie ein Zeltdach mit einem dicken Piercing zum Öffnen am Deckel. Die beiden Kannen wirken in Hinblick auf die Familiengefüge der Immobilienbilder und die dekorierten Wohnzimmer wie das Vorzeigekind und dessen depressives Geschwisterpendant in der Emo-Phase – alle beide jedoch sind tiefe Wasser.

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Theresa Weber. Foto: Lukas Klose.

Das evozierte Wohnzimmer ist weiter dekoriertmit dicken fliesenartigen Quadraten. Theresa Weber hat hier getrocknete Spitzahornblätter umrankt mit sämtlichen Materialien aus dem Kunst-&-Kreativ-Laden: kleine Mosaiksteinchen, Strass, Plastikdiamanten, künstliche pinke Fingernägel, geschliffene dunkle Steine, Konfettiblümchen. Daneben finden sich eine „Fliese“ mit ähnlichen Materialien, allerdings etwas symmetrischer angeordnet und ein Foto von einem weiblich gelesenen Bauch und Unterleib einrahmend. Das Foto ist etwas dunkel und versteckt hinter sehr viel Kleber und blauen Mosaikkacheln.

Die beiden Fliesen sind eine Aneignung von Bastelutensilien, die über den DIY-Kontext hinaus nur feminisiert, infantilisiert und abgewertet werden. Webers Arbeit ist eine ermächtigende Rücknahme von Kitsch. Die Künstlerin spielt mit dem Trash-Faktor der Plastikelemente, übersteigert ihn in Richtung des maximalistischen „clutter core“, in dem eine aus der Mode gekommene und übermäßige Dekoration von Innenräumen gefeiert wird.

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Snacks bei der Eröffnung der Ausstellung “jelly is sticky on steam”. Fotos: Mira Anneli Naß.

Die Kurator*innen Rebekka Kronsteiner, Mira Anneli Naß und Francisco Valenca Vaz verweisen in ihrem Begleittext zu „jelly is sticky on steam“ unter anderem auf den Begriff des Gallert. Den nutzt Karl Marx im Kapital als Metapher für die Transformation von konkreter Arbeit in abstrakte Arbeit: „Eine klebrige Körperlichkeit, die sich zwischen fester und fluider Form bewegt und schwerlich zu fassen ist.“ Der Selbstoptimierungsdrang, der in cheugy-Ästhetiken „inspirational“ daherkommen soll, ist am Ende des Tages ein neues Gelee der Arbeit für müde Körper. Wir befinden uns in everybody‘s Wohnzimmer am Ende des Spätkapitalismus.

WANN: Die Ausstellung “jelly is sticky on steam” läuft bis Samstag, den 29. Oktober.
WO: Galerie Mitte im Kubo, Beim Paulskloster 12, 28203 Bremen