In der Hochsicherheitsgesellschaft
Julia Scher im Museum Abteiberg

2. Mai 2023 • Text von

Orwell lässt grüßen im Museum Abteiberg in Mönchengladbach, wenn US-Amerikanerin Julia Scher komplexe Audio- und Überwachungssysteme installiert. Kameras heißen Besucher*innen willkommen in einer dystopisch anmutenden Hochsicherheitsgesellschaft zwischen Kontrolle und Lust. In ihrer ersten großen Überblicksausstellung in Deutschland widmet sich Scher Mechanismen von Überwachung, aber auch Beschwichtigung.

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Julia Scher: Papa Bed, 2003, Exhibition view Julia Scher, Maximum Security Society, Kunsthalle Zurich, 2022–23, Courtesy the artist and Esther Schipper, Berlin/Paris/Seoul Foto: Andrea Rossetti.

Aus den Ecken blicken Überwachungskameras, zuweilen in rote Federn eingefasst, die Besucher*innen ohne ihr Wissen filmen, sobald sie das Museum betreten. Diese bemerken es erst, wenn sie im Windfang stehenbleiben und die Stimme der Künstlerin Julia Scher aus den Lautsprechern vernehmen. Sie warnt vor Beobachtung, beschwichtigt, dass kein Grund zur Sorge bestünde, während die Besucher*innen bereits unter Beobachtung stehen. Noch bevor sie die Museumskasse erreichen, werden sie mit Bildschirmen konfrontiert und sehen, wie nachfolgende Gäste durch die Eingangstür treten.

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Julia Scher: Hidden Camera (Architectural Vagina), 1991-2018, Sammlung MAMCO, Genf, Foto: Julien Gremaud.

Schon früh hat die US-amerikanische Künstlerin die Entwicklungen bezüglich digitaler Medien, zunehmender Überwachung vorhergesehen, als sie sich bereits Ende der 1980er-Jahre, vor Big Brother und Gesichtserkennung an Bahnhöfen, mit dem Thema beschäftigte und in den 1990er-Jahren Kameras und Aufnahmegeräte in Ausstellungen installierte. Daran anknüpfend vermittelt die Schau im Museum Abteiberg Besucher*innen durchgehend das Gefühl, beobachtet und kontrolliert zu werden. Da sind Installationen, die an die Anfänge des digitalen Zeitalters denken lassen und andere, die mit neuen Abhörsystemen wie Siri und Alexa experimentieren. Zum Beispiel, wenn eine silberne Figur Einlass in einen dunklen Raum gewährt, in dem miteinander verknüpfte Alexas grün aufleuchten, Musik abspielen.

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Ausstellungsansicht, JULIA SCHER Hochsicherheitsgesellschaft, Museum Abteiberg Mönchengladbach, Foto: Achim Kukulies.

Technologien beherrschen zunehmend unseren Alltag, blicken per Webcam in unsere Wohnungen, greifen unsere persönlichen Daten ab. Was wie der feuchte Traum von Stasi und Co. klingt, ist längst allgegenwärtige Realität geworden. Sie locken mit Erleichterungen im Alltag, sodass wir das Einbüßen unserer Privatsphäre oftmals billigend im Kauf nehmen. Schnell lassen sich also Phänomene unserer alltäglichen Realität in Schers Arbeiten entdecken, doch fügt sich die Ausstellung zugleich zu einem eigenen kleinen Universum, das Zukunftswünsche und -ängste gleichermaßen vereint. Drei Liegestühle in der Mitte des ersten Raumes erinnern an Zahnarztpraxen, an Fahrersitze von futuristischen Gefährten. Gegenüber läuft das Video „Planet Greyhound“, das per Bus ins All entführt, eine von Hunden bevölkerte Realität aufmacht. Hier ist potenziell alles möglich, macht Scher Räume für neue Visionen, neue Sprachen und neue Welten auf. 

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Ausstellungsansicht, JULIA SCHER Hochsicherheitsgesellschaft, Museum Abteiberg Mönchengladbach, Foto: Achim Kukulies.

Schers Kunst ist darüber hinaus ausnehmend institutionskritisch, wenn frühe Arbeiten sich explizit mit dem Museum als Ausstellungsort auseinandersetzen. Ursprünglich für das San Francisco Museum of Modern Art konzipiert, wird die Live-Kamera-Beobachtung „Predictive Engineering“ aus dem Jahr 1993 im Museum Abteiberg neu aufgebaut und speziell auf das Museum in Mönchengladbach ausgerichtet. Als Raum im Raum führt die Passage bis tief hinein in die musealen Hallen, wenn sich Besucher*innen auf gegenüberliegender Spiegelfläche und auf über den Köpfen montierten Monitoren selbst begegnen. Szenen einer Verfolgungsjagd, Gesichter, nackte Körper, ganz nah an der Kameralinse, sind versetzt mit Aufnahmen aus den Museumsräumen. 

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Ausstellungsansicht, JULIA SCHER Hochsicherheitsgesellschaft, Museum Abteiberg Mönchengladbach, Foto: Achim Kukulies.

Es sind sonst kaum beachtete Zwischenräume, unsichtbare Orte, die Scher in Installationen wie dieser wirksam in Szene setzt. Gefälschte Videos ergänzen die echten Übertragungen, erzeugen die Illusion von Gleichzeitigkeit. Im Zentrum steht der Mensch, wenn Besucher*innen scheinbar in Kämpfe verwickelt sind, vor verschlossenen Türen stehen, die Treppen und Flure hinunterlaufen. In San Francisco führten zwei identische Flure zum Ausstellungsraum, sodass sich die Besucher*innen am tatsächlich nach dem Betrachten der Videos vergewisserten, ob sich die Szenen nicht tatsächlich im Nebenraum abspielten. Die Grenzen von Realität und Fiktion verwischen. Was ist wahr und was ist falsch? Scher zeigt, wie sich die Wahrnehmung verändert, wenn wir uns unter permanenter Beobachtung stehend fühlen.

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Ausstellungsansicht, JULIA SCHER Hochsicherheitsgesellschaft, Museum Abteiberg Mönchengladbach, Foto: Achim Kukulies.

“Embedded“ mit “Mama Bed“, “Papa Bed“ und “Baby Bed“ aus dem Jahr 2003 gleicht der  dystopischen Version eines Schlafzimmers. Kameras, Monitore und US-Army-Uniformen zieren das Bett des Vaters, während auf dem Bett der Mutter eine Peitsche und Kinderbücher liegen. Man gebärt, schläft, hat Sex und stirbt in einem Bett. Es ist Symbol des Kreislaufs unseres Lebens, verweist auf die dünne Grenzlinie zwischen Sicherheit und Gefahr. Das Schlafzimmer kann als Ort häuslicher Gewalt zum Kriegsgebiet werden. Das Bett des Kindes hingegen ist ausgestattet mit einer Glasplatte statt Matratze und einer Decke aus transparentem Material, das nichts verdeckt. Letzteres weist in die Zukunft, zu einem gläsernen Ich, das nicht mal im Schlafzimmer einen geschützten Raum besitzt.

WANN: Die Ausstellung läuft bis Sonntag, den 20. August.
WO: Museum Abteiberg, Abteistraße 27 / Johannes-Cladders-Platz, 41061 Mönchengladbach.