Kunst in Quarantäne #9 Scrollen in digitalen Traumwelten
10. November 2020 • Text von Teresa Hantke
Museen sowie viele andere Kulturorte bleiben weiterhin geschlossen. Das muss nicht heißen, dass man sich nicht auch auf digitalem Wege mit interessanten Diskussionen, Ausstellungen oder grandiosen Werken namhafter Künstler und Künstlerinnen auseinandersetzen kann. Für die zweite Woche des Lockdowns haben wir eine Reihe an unterhaltsamen Online-Installationen, 3D-Touren, ein digitales Symposium, sehenswerte Videokunst sowie einen gerade publizierten Katalog über die Verbreitung von Kunst im Zeitalter digitaler Medien zusammengestellt.
Eine tiefe, computergenerierte Männerstimme begrüßt die virtuell Eintretenden mit einem “Hey! Welcome!”, und weiter “Glad you made it!”. Diese begleitet einen weiter beim Durchschreiten der “Manoir québécois“, einer herrschaftlichen Villa im digitalen Raum. Sims 2.0? Viel mehr Glanz und Gold! Die mal in scheinbar grünem Marmor oder mit goldenen Fließen ausgelegten herrschaftlichen Räumlichkeiten kreierte die kanadische Künstlerin Katerine Dennie-Marcoux, die sich selber als Digital-Künstlerin bezeichnet, im Rahmen einer Digital-Residency durch die Online-Galerie “Galerie Galerie” ins Leben gerufen wurde. Die vielfältige und teilweise amüsante URL-Installation, einschließlich eines animierten 3D-Kurzfilms ist seit Sonntag hier zu erleben.
Der Tipp kommt von Teresa Hantke.
Simon Freund hat mit aplaceweshare.com (2020) einen idealen Ausweg aus der quarantänebedingten Einsamkeit geschaffen. Die partizipative Online-Installation kommt wie ein digitaler Mood-Ring daher: Auf einer Skala könnt ihr euch die Farbe eurer Wahl aussuchen und einen virtuellen Raum betreten, den ihr euch mit allen Menschen teilt, die gerade ebenfalls online sind. Es fühlt sich angenehm meditativ an, stundenlang in einem gemeinsamen Tab abzuhängen und zuzusehen, wie ein grelles Grün auftaucht, ein beruhigendes Blau geht, ein loyales Lila die Stellung hält. Vielleicht trefft ihr ja sogar eine*n Farbseelenverwandte*n?
Der Tipp kommt von Julia Meyer-Brehm.
Auch in “Phantom Limb”, einer wirklich gelungenen 3D-Tour der Epoch Gallery lässt es sich in den weiten Fluren einer verlassenen Ruine verlieren. Das von Künstlern und Künstlerinnen organisierte digitale Projekt zeigt in der neuen Ausstellung, die bis 8. Januar zu besuchen sein wird, die Werke der neun teilhabenden KünstlerInnen wie Mohamed Bourouissa, Malisa Humphrey oder Kang Seung Lee. Mit dem Geräusch rauschenden Wassers klickt man sich durch die monumentalen, sowie zerstörten Räumlichkeiten einer Industrieruine und wird dabei durch die kuratorisch sehr gelungen platzierten Kunstwerke fortwährend ästhetisch überrascht.
Der Tipp kommt von Teresa Hantke.
Im letzten Winter, noch vor den virulenten realen Einschränkungen und den folgenden Verlagerungen ins Digitale, präsentierte das Museum der bildenden Künste in Leipzig unter dem Titel “Link in Bio” Kunst nach den sozialen Medien. Zusammengestellt von der Kuratorin und Autorin Anika Meier verhandelte die Ausstellung mit über 50 Arbeiten, wie sich Produktion und Rezeption von Kunst im Zeitalter digitaler Medien verändern. Von der frühen Netzkunst der 1990er-Jahre und der Post-Internet-Art schlug die Ausstellung einen Bogen zu einer Generation von Künstler*innen, die explizit mit und in sozialen Medien agieren. Im Kehrer Verlag ist, ganz traditionell haptisch, ein ausgiebiger Katalog zur Ausstellung erschienen, der Dokumentation und Texte verbindet. Genau das richtige für besinnliche Herbstabende, digital aber ohne Screen. Mit der Kuratorin Anika Meier haben wir im Frühling, anlässlich eines anderen Projekts bereits über die Verknüpfung der realen und virtuellen Kunstwelt gesprochen.
Der Tipp kommt von Quirin Brunnmeier.
Liest man sich durch das Programm des in der kommenden Woche stattfindenden digitalen Symposiums der Galerie Wedding wird sehr schnell deutlich, welches thematische Ziel angestrebt wird – es geht um neue Formen kultureller Tätigkeit, Vernetzung und Bottom-Up Ansätze, politisches Engagement zu diskutieren, um eine gemeinsame Zukunft zu gestalten. Mit dabei sind spannende Panels wie “Wie man die Distanzen überbrückt: Strategien der Solidarität in Zeiten der Notwendigkeit” sowie Lectures “keeping oneself knotted” der Künstlerin Natascha Sadr Haghighian. Das Sos (Soft Solidarity) Assembly findet von Donnerstag, den 12. November, bis Samstag, den 14. November, statt. Mehr hier.
Der Tipp kommt von Teresa Hantke.
Die Liste der teilhabenden Künstler und Künstlerinnen liest sich wie die Crème de la Crème der Video-Kunst: Yoko Ono, Lee Bul, William Kentridge oder Kara Walker. Alle sind sie vertreten bei der diesjährigen Online-Version des legendären Kunstfestivals Performa Arts. Gegründet von der New Yorker Kunstkritikerin und Kuratorin RoseLee Goldberg gilt Perfoma als eine der führenden Initiativen, die sich der Erforschung von Live-Performances im Laufe des 20. Jahrhunderts verschrieben hat. Da wir in diesen Zeiten verpflichtet sind auf Live-Veranstaltungen aller Art zu verzichten, gibt es in diesem Jahr auf der Website der Organisatoren bis Ende November durchgehend grandiose politische Videokunst zu sehen. Das Programm und weitere Informationen sind hier zu finden.
Der Tipp kommt von Teresa Hantke.