Ästhetische Grenzverschiebung Anika Meier und Manuel Rossner über Kunst in der digitalen Sphäre
16. April 2020 • Text von Quirin Brunnmeier
Um das kulturelle Vakuum zu füllen, versuchen sich manche Institutionen an neuen digitalen Formaten, andere bauen ihr bereits bestehendes Angebot aus. Der Schwenk ins Digitale scheint für manche Neuland, andere sind dort schon länger zu Hause. Wir sprachen mit der Kuratorin und Autorin Anika Meier und dem Künstler Manuel Rossner über Kunst in der digitalen Sphäre und ihr Ausstellungs-Game-App-Projekt, das sie gemeinsam mit Johann König für die KÖNIG GALERIE realisiert haben.
gallerytalk.net: In der aktuellen Situation stehen digitale Kunst und Kunst im digitalen Raum im Fokus. Glaubt ihr, dass sich die Rezeptionsgewohnheiten in Bezug auf digitale Kunst nachhaltig verändern werden?
Anika Meier: Im digitalen Raum sind Dinge möglich, die im realen Raum nicht möglich sind. Architektonische Eingriffe in der Realität beispielsweise sind oft gar nicht denkbar oder realisierbar etwa aus Kosten- oder Zeitgründen. Es wird immer Leute geben, die sagen, dass alles, was im Digitalen passiert, keine richtige Kunst ist, dass das nicht in ein Museum oder in eine Galerie gehört. Aber endlich stehen Künstler, die schon viele Jahre mit den sozialen Medien oder dem Internet arbeiten, medial erhöht im Fokus. Man sollte das Digitale nicht gegen das Analoge ausspielen. Das Eine soll und will nicht das Andere ersetzen.
Wie nimmst du das wahr, Manuel?
Manuel Rossner: Es gab natürlich vorher schon institutionelles Interesse an meiner Arbeit, über die Jahre ist das gewachsen. Im MdbK Leipzig hatte ich vergangenes Jahr eine Einzelausstellung. Für das NRW-Forum in Düsseldorf habe ich 2017 einen digitalen Erweiterungsbau entworfen und schon 2012 habe ich die Float Gallery gegründet, eine Plattform für digitale Kunst. Aber ja, plötzlich ist das Interesse an digitaler Kunst auch bei einem größeren Publikum da. Das wird vielleicht wieder abebben. Vielleicht wird es eine neue Sehnsucht nach dem Ausstellungsraum geben. Ich freue mich ja auch drauf, wieder in Ausstellungen gehen zu können.
Du arbeitest in deiner Praxis schon lange mit virtuellen Räumen. Wie gehst du da vor?
Manuel Rossner: Sehr wichtig ist mir der Übergang zwischen dem realen und dem virtuellen Raum. Das war zum Beispiel bei unserem gemeinsamen Ausstellungs-Projekt „Surprisingly This Rather Works“ für die KÖNIG GALERIE aufgrund der besonderen Räumlichkeiten eine Herausforderung. Ich versuche, die ästhetische Grenze zwischen Betrachter*innen und einem Bild so zu verschieben, dass der Bildschirm nicht wie der „Rahmen“ des Kunstwerkes wirkt. Es soll um die Objekte und Bilder gehen, die in der „virtuellen Galerie“ hängen. Da hilft es, dass die Technologie immer näher an uns heranrückt.
Wie meinst du das?
Manuel Rossner: Historisch betrachtet rückt die Technologie immer näher an den Menschen heran. Vor hundert Jahren saß man mit vielen Menschen im Kino. Es folgten das Fernsehen mit wenigen Metern Abstand, das Smartphone mit einer Armlänge, und nun gibt es Virtual Reality, wo der Bildschirm nur einige Zentimeter von der Retina entfernt ist. Nach und nach kommt man dem Geschehen näher. Mit Blick auf VR ist viel von immersiven Erlebnissen die Rede. Ich nutze die VR als eine Art Zwischenraum, der das Analoge und Digitale verbindet, deshalb bespiele ich in der KÖNIG GALERIE den Galerieraum und erweitere die Architektur im Digitalen.
Eure digitale Ausstellung sticht unter den neuen Online-Angeboten deutlich heraus. Woher kam die Idee, die Navigation ähnlich einem Art Jump ‘n‘ Run Game zu gestalten?
Anika Meier: Es steht die Frage im Zentrum, wie man digitale Kunst im genuinen Medium präsentieren kann. Ein Kunsterlebnis kann im Digitalen anders sein, als im musealen Kontext oder in einer Galerie. Es wird schon lange in der Kunstwelt die Frage diskutiert, welche Bedürfnisse Museums- und Galeriebesucher im digitalen Zeitalter haben, mit der Kunst zu interagieren. Es gibt den Wunsch, anders mit Kunst umzugehen, weil wir es durch die sozialen Medien gewohnt sind, selbst präsent zu sein. Hier setzt Manuel mit seiner Arbeit an. Vor einem Jahr haben Johann König und ich begonnen, an einer großen Gruppenausstellung zu arbeiten, die am 9. April in der KÖNIG GALERIE eröffnet hätte.
Um was sollte es in dieser Ausstellung gehen?
Unser Thema war die Zukunft der Kunst, die plötzlich da ist. Manuel hatten wir im November eingeladen, eine VR-Arbeit für den Turm der Kirche St. Agnes zu entwickeln. Der Besucher hätte sich also zuerst die Ausstellung im Hauptraum der Galerie angesehen mit Gemälden, Skulpturen, Videos und Installationen und wäre dann hinauf in den Turm. Von dort aus wäre es dann in der virtuellen Realität zurück in den Galerieraum gegangen. Und das Kunsterlebnis wäre plötzlich ein ganz anderes gewesen. Schon lange vor dem Lockdown hatte Manuel die Idee, die Arbeit für ein breiteres Publikum zugänglich zu machen, da es immer nur einer begrenzten Anzahl von Besuchern möglich ist, solch eine VR-Arbeit zu erleben. Jetzt kann jeder der möchte, die Ausstellung 24/7 besuchen.
Ist da gerade ein Lernprozess in Bezug auf die digitale Präsentation und auch Rezeption von Kunst im Gange?
Anika Meier: Bei Museen werden gerade durch Verschiebungen von Ausstellungen Kapazitäten für digitale Vermittlung frei. Jetzt hat vielleicht sogar der Direktor Zeit für einen Live-Stream. In den Medien wurde die Kritik laut, dass im Moment viel Unausgegorenes „rausgeblasen“ wird, so dass die Bestrebungen Online oft wie Verzweiflungstaten wirken. Früher hat es digitale Kunst aber oft einfach nicht bis ins Feuilleton geschafft. Es wurde auch nur sehr bedingt über die digitalen Angebote und Strategien von Museen gesprochen.
Stört dich die kritische Berichterstattung?
Anika Meier: Nein, warum? Für viele Journalist*innen ist das jetzt einfach „Neuland“. Der YouTuber Rezo hat in seiner Kolumne für Die Zeit über „Corona-Kulturpioniere“ geschrieben, also Menschen, die das Internet und dessen Möglichkeiten jetzt für sich entdecken. Wenn man sich mit einem neuen Themenbereich auseinandersetzt, ist erst einmal alles neu. Und dann wirken eben virtuelle Museumsrundgänge wie die Neuerfindung des Rades und werden erst einmal euphorisch rezipiert. Ich freue mich über das neue Interesse. Und so geht es, glaube ich, auch vielen Künstler*innen. Das ist eine Chance. Man kann nur hoffen, dass dieses Interesse bleibt.
WO: Die Ausstellung kann im Apple App Store heruntergeladen werden und hier für Geräte mit Android.