Zwischen Freiheit und Gewalt
Nele Jäger in der Bundeskunsthalle Bonn

10. Januar 2022 • Text von

Nele Jägers Skulpturen sind Form und Leerform zugleich. Linien, Flächen, Rahmungen sind in ihren Arbeiten formgebend, verweisen jedoch stets auch auf das, was außerhalb ihrer Grenzen liegt. Ein Gespräch mit der Preisträgerin des 25. Bundespreises für Kunststudierende über ihre aktuelle Ausstellung in der Bundeskunsthalle Bonn, über den Einfluss von prähistorischen Höhlenmalereien auf ihre künstlerische Praxis und über die Freiheit, sich zu verweigern. 

Porträt der Künstlerin Nele Jäger.
Nele Jäger, Foto: privat.

gallerytalk.net: Nele, du zeigst in der Bundeskunsthalle in Bonn derzeit eine Arbeit aus alten und neuen Fragmenten mit dem Titel „Bevor die Blumen Namen hatten“ (2021). Es handelt sich dabei um eine mehrteilige Installation. Im Innenraum eine gegossene Bodenarbeit, eine Stahlskulptur, Stühle und eine Fotografie. Im Außenraum die Bespielung der Fahnenmasten der Bundeskunsthalle. 

Was ist das für ein Raum, den du mit deiner ortsspezifischen Arbeit bespielst und welche Wirkung hatte er auf dich bei der Produktion?

Nele Jäger: Sowohl die Ambitionen zur Historizität als auch die großen Gesten künstlerischer Selbstsicherheit sind dem (Um-)Raum der Bundeskunsthalle in Bonn eigen. Und das Gleiche gilt wohl auch für den Anlass der Ausstellung: Der 25. Bundespreis für Kunststudierende, eine Leistungsschau der 24 deutschen Kunsthochschulen. In der Vorbereitung der Installation „Bevor die Blumen Namen hatten“ ging es zunächst darum, die Ausstellungsfläche im Zentralkabinett als institutionelle Bühne voller Referenzen, Rahmungen, Diskurse und Schichtungen zu akzeptieren, um dann Fragen nach den anzutreffenden Rezeptionsmustern und dem Spannungsfeld von Virtuosität und Auftragsarbeit zu stellen.

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Nele Jäger, „Bevor die Blumen Namen hatten“, 2021, Installation, Foto: Peter-Paul Weiler, 2021 © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH.

Es gibt in deinen Arbeiten stets wiederkehrende Elemente, wie beispielsweise die Stahlskulptur, und gleichzeitig scheinst du an einer formal stringenten künstlerischen Handschrift nicht interessiert zu sein. Warum?

Weil sich die Subjektform in meiner Arbeit als eine Leerform versteht, die von der Vorstellung des Künstler*innen-Seins diskursiviert und somit „vernutzt“ wird. Diese Formen der Vernutzung speisen sich aus der Vermeidung einer künstlerischen Selbstverständlichkeit und kehren als Hindernis der eigenen Praxis als Künstlerin wieder. Die Stahlskulptur zum Beispiel, die sich in der Installation „Bevor die Blumen Namen hatten“ in den Rachen der Bodenfigur spießt, markiert die Zäsur einer fortgesetzt angesetzten, aber künstlerisch letztlich immer unrealisierbaren Selbstverneinung.

In dieser Haltung gegenüber dem persönlichen Künstler*innen-Subjekt und auch in verschiedenen deiner Arbeiten tritt immer wieder der Topos der Verweigerung hervor. Wessen verweigerst du dich in der Kunst?

Einer künstlerischen Auflösung impliziter Gewalten und metaphorisch geschlossenen Sinnbildern.

Ist diese Verweigerung der einzige Weg heraus aus der systemischen Gewalt, hinein in die Freiheit? Und wie passt das für dich zusammen mit der produktiven künstlerischen Arbeit, die Verweigerung zwar zeigt aber nicht lebt?

Die Freiheit zur Form taucht in meinen Bildern nicht als eine Anmaßung überzogener ästhetischer Eigenwilligkeit auf. Vielmehr zeigt sie sich als ein Umgang, durch den Gewaltformen im Auf- und Abbau historischer Referenzen der Moderne freilegt werden und damit die eigenen Gewalten sichtbar werden. Die Antwort auf deine Frage findet sich deshalb weniger in der Suche nach der Freiheit in der ästhetischen Form als vielmehr im Vorschlag eines möglichen Formverlustes der Kunst.

Mit deinem Weg von einer Arbeit wie „Nein Nele“ (2018) hin zu deiner Abschlussarbeit an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg „Becoming Graphic“ (2019) beschreibst du einen Weg von der, so hast du es selbst einmal genannt, „Selbstgenügsamkeit dreidimensionaler Skulpturen“ hin zur Suche des Skulpturalen im Zweidimensionalen. Was verstehst du darunter?

Dieser Gedanke stammt vor allem aus der Auseinandersetzung mit der Figur des Ornaments als eine Verbindungsstruktur unterschiedlicher Temporalitäten und Lokalitäten innerhalb meines Handelns. Das Ornament unterliegt keiner Skalierung auf der Oberfläche, sondern greift ins Objekt selbst ein. Es wuchert, verliert die Form und ermöglicht dem Zweidimensionalen skulptural zu sein. Auf diese Weise verliert sich die Selbstgenügsamkeit, die das dreidimensionale, skulpturale, autonome Kunstwerk suggeriert, in einer lebendigen Wucherung immaterieller Ungleichzeitigkeit, deren materielle Verortungen vielmehr Herausforderung als Erfüllung ist.

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Nele Jäger, „Bevor die Blumen Namen hatten“, 2021, Detailansicht, Foto: Peter-Paul Weiler, 2021 © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH.[AK1] 

In den Texten zu deinen Arbeiten erwähnst du immer wieder prähistorische Höhlenmalereien als Referenz und nennst deinen Besuch der Chauvet-Grotte bei Les Crozes in Frankreich eine große Inspiration für deine künstlerische Praxis. Was genau hat dich daran so fasziniert?

Mich haben vor allem die mit Pigment gesprühten Negativbilder menschlicher Hände in der Chauvet-Grotte bei Les Crozes beeindruckt. Diese Graffiti speichern die unmittelbare Präsenz jener Menschen und überbrücken damit eine Zeitspanne von fast 35.000 Jahren. Sie durchdringen über eine zarte Spur auf dem Fels der Höhle die Chronologie des mentalen und physischen Raums und zeigen sich als eine Bruchstelle gegenwärtiger Endlosschleifen. Das macht die Figur des wuchernden Ornaments dort sehr greifbar. Denn als eine Art ornamentale Signatur offenbaren die Handnegative und deren Rezeption die Ungleichzeitigkeit einer losen Gemeinschaft der Menschen.

Die Höhlenmalereien können in dem von dir erklärten Sinne nicht nur als Zeichen, sondern auch als Kommunikationsmedien verstanden werden, die eine Interaktion über Jahrtausende hinweg auslösen. Steckt in deinen Arbeiten ein ähnlicher Wunsch nach einer solchen Form der Interaktion?

Ja, und vor allem auch jener nach einer kollektiven Form der Interaktion. Denn darin eröffnet sich dieselbe Formstruktur der Ungleichzeitigkeit und der Untrennbarkeit der Freiheit von ihren Gewalten im gemeinsamen Arbeiten. Die Handnegative in den prähistorischen Höhlen sind beispielhaft für die Überlagerung der Zeithorizonte von Rezeption und Produktion und ermöglichen eine Kommunikationsform zwischen jenen Instanzen im Medium des Grafischen.

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Nele Jäger, „Bevor die Blumen Namen hatten“, 2021, Installation, Foto: Peter-Paul Weiler, 2021 © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH.

Du studierst derzeit im Master Bildhauerei am Bard College in New York. Inwiefern ist die Skulptur als Mittel deiner künstlerischen Praxis für dich überhaupt interessant geworden und wie hat sich dein Verständnis durch dein Masterstudium verändert?

Ich habe zunächst in Klassen für Freie Malerei und Freie Kunst mit Schwerpunkt Malerei an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg studiert, dann Medienkunst an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe und dann Bildhauerei am Bard College in New York. All das sind Disziplinen, die in meiner künstlerischen Arbeit Eingang gefunden haben, aber nicht zwangsläufig in ihr illustriert werden. Vielmehr folgt sie der Zusammensetzung des Begriffs der „Bild-Hauerei“ – das Bild eines sich andauernd formenden und zu formenden Körpers. Das Masterstudium am Bard College ermöglicht es mir, über ein breiteres Verständnis von Skulptur nachzudenken, das sich seiner Lesarten und seiner zugrundeliegenden Subjektformen bewusst ist.

Du machst das Künstler*innen-Subjekt in Arbeiten und Arbeitstiteln wie „Nein Nele“ (2018) oder in der Andeutung einer Seinsentwicklung in „Becoming Graphic“ (2019) teilweise sehr explizit. Ist diese Auseinandersetzung mit dir als Künstlerinnen-Subjekt eher Ausgangspunkt oder notwendiger Endpunkt deiner künstlerischen Praxis?

Im optimalen Fall wäre es weder Anfang noch Ende, sondern bleibt eine Organisationsform, die sich ineinander verschränkt. Bevor klar beschrieben ist, was es ist oder wird, hat es sich bereits selbst überholt. Die Stahlskulptur „Nein Nele“ (2018), als das Monogram einer sich verneinenden Wiedererkennbarkeit, taucht beispielsweise in unterschiedlichen Installationen, Richtungen und Mitteilungsformen auf. Sie wird stetig neu ins Feld geworfen und agiert als eine Überarbeitung ihrer selbst. 

WANN: Die Ausstellung läuft noch bis Montag, den 31. Januar.
WO: Bundeskunsthalle, Helmut-Kohl-Allee 4, 53113 Bonn.

Nele Jäger hat vom 25. Januar bis zum 27. Februar außerdem eine Ausstellung in der Galerie der Künstler*innen in der Galerie der Künstler*innen, Maximilianstraße 42, 80538 München.