Nazi-Memes als kritische Kunst? Der Tannhäuser Kreis auf Instagram
22. Mai 2021 • Text von Gast
Der Instagram-Account Tannhäuser Kreis sorgt für Ärger. Jetzt nicht direkt landesweit, aber doch innerhalb einer bestimmten Bubble des Kunstbetriebs. Das Projekt wirft Fragen über die Legitimität eines spielerischen Umgangs mit rechten Bilderwelten auf. (Text: Thomas Dierkes)
Wir leben in grellen Zeiten. Während der internationale Rechtsruck im Windschatten der Pandemie weiter Fahrt aufnimmt und rechte Aktivist*innen gemeinsam mit Wursthaar-Hippies den Reichstag stürmen, verheddert sich die sogenannte Zivilgesellschaft in Disskussionen um Cancel Culture. Doch wenn der Siegeszug von Esoterikern, Nazis und Eso-Nazis sich weiter fortsetzt, bleiben uns diese Diskussionen bald erspart, weil dann ohnehin die Meinungsfreiheit zusammen mit den Restbeständen der Demokratie weggecancelt wird. So weit, so schlecht. Aber was schlecht für die Menschen ist, ist oft gut für die Kunst, die ja bekanntlich von Konflikten lebt. Grelle Zeiten, könnte man sagen, verlangen nach greller Kunst. Womit wir beim Tannhäuser Kreis wären. Ich erfuhr davon durch die Instagramstory eines Freundes, der sich über den Tannhäuser Kreis aufregte. Sinngemäß: Junge Kunstschnösel machen ironische Nazi-Memes, wie zynisch und platt. Mich machte das erstmal neugierig.
Der Account @tannhauserkreis hat rund 650 Follower, darunter ein paar Kunstvereine und namhafte Kurator*innen. Er selbst folgt etwa zwanzig Konten, soweit erkennbar alles junge Künstler*innen. In der Profil-Info steht: “Art but make it STAHLHART”. Es gibt bislang gut siebzig Posts, der erste davon datiert auf Februar 2021. Die Beiträge sind zum einen Fotos von Arbeiten der Künstler*innen des Tannhäuser Kreises; alles irgendwie deutsch. Zum anderen Schnappschüsse, die eben jene Künstler*innen selbst zeigen; zumeist performen sie auf diesen Bildern ein Handsign, das wohl eine Lebensrune darstellen soll – ein altnordisches Symbol, das auch die Nationalsozialisten mit Vorliebe verwendeten. Es findet sich an diversen Stellen auf dem Account. Und zum dritten also die Nazi-Memes. Ich möchte diese nicht im einzelnen beschreiben. Nicht weil sie so geschmacklos wären, sondern vor allem weil Memes erklären in etwa so reizvoll ist wie Witze erklären. Vielleicht nur so viel: Alle Memes verbindet, dass sie sich auf Kunst im weiteren Sinne beziehen, also zum Beispiel auf Architektur, Performances oder Bands. Die Architektur ist dann natürlich von Albert Speer, die Performance ein Hitlergruß von Jonathan Meese und die Band die Böhsen Onkelz.
Was auf den ersten Blick in der Häufung und Direktheit rechter Motive tatsächlich zynisch und platt wirkt, erweist sich bei genauerem Hinsehen im Einzelnen, wie in der Zusammenschau, als ambivalent. Gerade die Mischung der Memes mit Repros und Exhibition Views der Künstler*innen irritiert. Nicht nur, weil das Nebeneinander von gut ausgeleuchteter Gegenwartskunst und digitalen Witz- und Wegwerfbildchen sich wie ein Kontrast anfühlt. Sondern mehr noch, weil beide, Kunst und Memes, hier das gleiche Ziel verfolgen: eine deutschtümelnde Ästhetik affirmieren. Aber während ich mich dabei beobachte, wie ich die Kunst automatisch mit Vertrauensvorschuss, gar einer Unschuldsvermutung betrachte, sind mir die Memes erstmal suspekt (nach Jahrzehnten popkultureller Sehübungen sollte man es kaum glauben). Doch auch sie treiben das Spiel mit ihrem jeweiligen Gegenstand auf so nuancierte, ja hintersinnige Art und Weise, dass es schwerfällt, die unmittelbare Ablehnung aufrecht zu erhalten. Vielleicht muss ich hier und da sogar schmunzeln. Dennoch bleibt ein Unbehagen.
Was soll das alles? Vor allem, warum kokettieren junge Künstler*innen, die – ein Blick auf die einzelnen Profile macht es schnell deutlich – sicher keine Rechten sind, mit diesen Bilderwelten, Symboliken, Sujets? Oder wäre die richtigere Frage: warum gerade jetzt? Poppen momentan nicht wahrlich genug echte Nazis wie Pilze aus dem deutschen Mutterboden? Oder habe ich mir damit schon selber die Antwort gegeben? Der Reihe nach: Kunst ist immer kontextabhängig. Was dürfen wir hier also als Kontext annehmen?
Weltweit erleben wir neue faschistische Formierungen. Während der Corona-Pandemie zeigte und zeigt sich ein internationaler Schulterschluss zwischen Impfgegnern, Esoterikern, Wutbürgern, organisierten Neonazis und Parteien wie der AfD oder gar Regierungsoberhäuptern wie Donald Trump, Jair Bolsonaro oder John Magufuli. Diese Bewegung nutzt Mittel wie Verschwörungstheorien und Fake News und schöpft immer wieder aus dem historischen Reservoir faschistischer Regimes. Sie eignet sich aber auch Symbole und historische Persönlichkeiten, die eher als links und progressiv gelten an, und deutet diese für ihre eigene Sache um. Sophie Scholl oder Anne Frank werden von ihr herbeizitiert und beim “Sturm auf den Reichstag” im Spätsommer 2020 waren etwa Ghandi-Banner neben Reichkriegsflaggen zu sehen. Wenige Monate später gingen Fotos von einem als Schamanen verkleideten Aktivisten mit Fell und Hörnern im Washingtoner Kapitol um die Welt.
Derartige Selbstinszenierungen zeugen nicht zuletzt von der Aneignung künstlerischer Formen, der Ironiefähigkeit und Gamification der Alt-Right, Reichsbürger, Querdenker, und anderer Protagonist*innen der Neuen Rechten. Will der Tannhäuser Kreis den Spieß umdrehen, also Humor mit Nazis gegen Nazis mit Humor in Stellung bringen? Geht es den jungen Künstler*innen um Affirmation als kritische Strategie, also darum, das gesellschaftlich “Böse” in ihrer Kunst zu wiederholen, um es zu zeigen?
Wir können in Deutschland eine Linie der Parteinahme und Propaganda für die Nazis in der Kunst ziehen: von Leni Riefenstahl und Arno Breker, Ernst Jünger oder Gottfried Benn, weiter zu mehr oder weniger unheilvollen Flirts mit faschistischer Ästhetik und Denkfiguren bei Jürgen Syberberg, Anselm Kiefer, Salomé, Martin Walser, Rammstein, Uwe Tellkamp oder Neo Rauch. Aber kann der “Widerschein des Nazismus” (Saul Friedländer) in der Kunst zwangsläufig nur reaktionäre Affekte reproduzieren? Oder besteht eine Möglichkeit der kritischen Intervention?
Slavoj Žižek schrieb 1993 über das Kollektiv Neue Slowenische Kunst und ihr bekanntestes Projekt, die Band Laibach. Er spricht hier von einem beklemmenden Gefühl, was bei den Zuschauenden durch die affirmative Verwendung totalitärer Symbole durch NSK und Laibach ausgelöst werde. Dies führt er darauf zurück, dass hier das Mittel der eindeutigen ironischen Abgrenzung suspendiert sei. Könne es in Zeiten, in denen eine zynische Distanz gegenüber gesellschaftlichen Werten ohnehin zur dominanten Haltung geworden ist, nicht ungleich subversiver sein, sich mit der herrschenden Ideologie zu überidentifizieren?
“Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken” benannte Kippenberger 1984 eines seiner Bilder, dessen verschränkte, eckige Formen und tendenziöse Farbgebung die Betrachtenden überall Hakenkreuze erkennen lassen; ein listig wie lustig verpackter Kommentar auf personelle und ideologische Kontinuitäten zwischen NS-Staat und BRD. Wenn wir den Stand der Dinge im heutigen Deutschland anschauen, in dem weiterhin keine wirkliche Aufarbeitung von Nazi-Verbrechen und der Mitschuld der deutschen Bevölkerung stattfindet und die AfD langsam aber sicher zur Machtergreifung hofiert wird, erscheint eine künstlerische Bewegung wie der Tannhäuser Kreis dann nicht als aufklärerisches Projekt? Kann man sie als eine Art Reenactment von Kippenbergers Bild begreifen? Das heißt, hat es nicht eine gewisse Folgerichtigkeit, ja Berechtigung, wenn in einer Zeit, in der sich dieses Land und die Welt einer galoppierenden Faschisierung ergeben, auch Künstler*innen anfangen mit Hakenkreuzen um sich werfen?
Heute bekommt man, gerade auf Instagram, schnell das Gefühl, es sei das höchste Ziel einer jungen Generation, persönlich unschuldig zu sein und es der ganzen Welt mitzuteilen. Zahllose digitale Finger zeigen auf die neuesten rassistischen, sexistischen oder transfeindlichen Äußerungen von Promis, B-Promis oder komplett Unbekannten. Das ist gut so und ein gesellschaftlicher Fortschritt. Aber es ist auch ein psychologischer Mechanismus, der einsetzt, um sich selbst und seiner Bubble zu versichern, dass man auf der richtigen Seite steht und kein Teil dieser bösen Welt ist.
Die Künstler*innen des Tannhäuser Kreises gehen einen anderen Weg. Sie scheinen eher von ihrer Mitverwicklung in diverse Übel der Geschichte und Gegenwart auszugehen, von einer unverschuldeten Schuldigkeit. Diese Haltung ist ansteckend. Als Betrachter*in hat man das Gefühl, mit hineingezogen zu werden, sich abgrenzen zu wollen. Aber könnte man jenes Unbehagen, das wir angesichts ihrer Bilder verspüren, nicht als produktiven Affekt werten, um den heiklen Umgang Deutschlands mit seiner Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft fühlbar zu machen? Ist dieses Unbehagen nicht weit mehr eines mit unserer eigenen Untätigkeit im Angesicht einer absehbaren Katastrophe als eines mit “jungen Kunstschnöseln, die ironische Nazi-Memes machen”?
Die Antwort des Tannhäuser Kreises, den ich möglicherweise um ein Statement gebeten habe, wäre wohl: “Das weiß Odin allein.”
Gastautor Thomas Dierkes promoviert an der Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main in Kunst- und Medienwissenschaft und schreibt über Kunst, Literatur und Film, u. a. für DIE ZEIT.