Die Anziehung des Abstoßenden Katy Stubbs über das Evozieren von Ekel
15. Mai 2020 • Text von Teresa Hantke
Auf sehr amüsante Weise gelingt es der Künstlerin Katy Stubbs, Alltägliches in ihren Keramiken gekonnt in Szene zu setzen. Absurdes wird glorifiziert, Sujets aus der Bibel mischen sich mit Darstellungen von abgestandenem Essen, das eher degoutiert als zum Verzehr einlädt. Mit gallerytalk.net sprach die Künstlerin über ihre Faszination für Abstoßendes, ihre Residency in Venedig und ihren Instagram-Filter „Which Katy Stubbs Pot are you?“.
Katy, ich habe dich und deine Kunst über eine Story deiner Galerie ALMA ZEVI auf Instagram entdeckt. Als ich mir dann deine Keramiken angesehen habe, bin ich sofort an den „Sweaty Meat!“-Tellern hängen geblieben, die mich vollkommen begeistert haben. Beim Anblick deiner Arbeiten musste ich an die Wurstserie des Künstlerduos Fischli & Weiss denken, die mich immer wieder amüsiert. Wie kam die Wurst bei dir auf den Porzellanteller?
Ich habe damals die Retrospektive von Fischli & Weiss im Guggenheim in New York gesehen und muss zugeben, dass mich ihre Arbeiten wirklich nachhaltig beeindruckt haben. Die Art und Weise, wie es ihnen gelingt, das Alltägliche in ihren Werken so humorvoll darzustellen, ist etwas, das ich auch in meiner Arbeit anstrebe. Ehrlicherweise bin ich seit vielen Jahren Vegetarierin. Es mag dann ein wenig seltsam erscheinen, Kunst über Fleisch zu machen, aber ich glaube, dass mir all die Jahre der Enthaltung eine fast kranke Faszination dafür gegeben haben. Es gefällt mir nicht nur Leuten dabei zuzusehen, wie sie Fleisch zerschneiden; auch wenn ich es angerichtet mit ein wenig Petersilie an der Feinkosttheke sehe, finde ich das wunderschön. Die Farbkombination aus Rosa und Grün ist meiner Meinung nach die schönste auf der Welt!
Es ist ja nicht so, dass die „Sweaty Meat!“-Teller einen dazu einladen, nach einer Scheibe Wurst zu greifen. Durch die glänzende Keramikästhetik und die auf dem Fleisch sitzenden Fliegen und Würmer erhält das Fleisch eher etwas leicht Abstoßendes. Hast du Gefallen, Gefühle wie Ekel zu evozieren?
Genau! Abscheu und Ekel. Wir durften in der Kunsthochschule in Amerika weder essen noch trinken, so dass bei all unseren Veranstaltungen und Shows diese enormen Platten mit geschnittener Wurst und Käse herumstanden. Während eines heißen New Yorker Sommertags kam das Essen dann ins Schwitzen woraufhin sich der ganze Raum mit Gestank füllte. Ich glaube, dass viele Menschen in ihrem Leben bereits mit Platten voller Wurst konfrontiert wurden. Am Ende greift man dann doch zu, da Höflichkeit den Ekel überwiegt. Ich stelle mir gerne vor, wie Menschen vorsichtig ein warmes Stück Fleisch in den Mund nehmen, während sie ein Glas Wein halten.
Viele deiner Arbeiten, die um die Thematiken des Essens kreisen – von einem überquellenden Shrimpscocktail, einem Teller voller Spaghetti mit Muscheln hin zu Russischen Eiern, in dem Zigarettenstummel stecken –, verbindest du humorvoll mit abstoßenden Elementen wie eben den Zigaretten oder Insekten. Was hat es damit auf sich?
Fliegen habe ich schon immer als eine Form des memento mori (lat. „gedenke des Todes“; Anm. d Red.) angesehen. Sie sind schlicht lästig, und auch wenn man im Laufe seines Lebens einige töten mag, triumphieren am Ende die Fliegen, wenn sie ihre Eier in deinen toten Körper legen. Ich liebe die Vorstellung, dass Insekten ihr Eigen zurückbekommen. Bei den Zigarettenstummeln hängt die Bedeutung ganz vom Betrachter ab. Entweder man findet sie ekelhaft, oder sie erinnern die Leute daran, dass sie sich beim Rauchen rebellisch oder nonchalant fühlen. Für viele Menschen beschwören sie eine Transformation ähnlich der von Sandy aus „Grease“. Ich liebe ihre Doppeldeutigkeit.
Ich finde es besonders amüsant, dass du Elemente wie das vielleicht Stinkende oder Klebrige der offen liegenden Wurst in deinen Keramiken verpackst. Das sind natürliche Prozesse, aber gleichzeitig Dinge, die wir in unserer nahezu perfekten Instagram-Welt in der alles nur verschönert wird und ein Filter drüber gelegt wird, kaum zulassen oder darstellen. Wird in unserer Welt die Faszination am Abstoßenden zu wenig zugelassen?
Ich bin nicht sicher, aber ich glaube, das hängt davon ab, nach was man schaut. Instagram ist voll mit ekelhaften Dingen, man muss nur gezielt danach suchen. Ich glaube aber, dass du Recht hast. Es existiert eine ungesunde Liebe für schöne Menschen, die schöne Dinge an schönen Orten tun; auch, wenn das völlig lächerlich und nicht einmal real ist! Ich denke, dass meine Anziehung für das Abstoßende genau im Gegenteil begründet liegt – nämlich dem Leben in einer banalen Perfektion. Das ist eindeutig schlimmer.
Die Insekten sitzen ja nicht nur auf den Meat-Plates, sondern auch auf den Rändern von Darstellungen der „Judith mit dem Kopf des Holofernes“. Welche Rolle spielen Sujets aus der Bibel oder antiken Mythologie in deinem Werk?
Beide spielen eine wichtige Rolle. Vor allem die dortige Darstellung der Frauen finde ich besonders interessant, weil sie einerseits den Männern untergeordnet, andererseits aber auch als extrem gefährlich präsentiert werden. In der griechischen Tragödie werden Kinder durch die bloßen Hände ihrer Mutter zerrissen, und die Bibel erzählt von Frauen, oft sogar Prostituierte, die mächtigen Männern die Köpfe abhacken. Ich liebe das!
Gleichzeitig musste ich bei den Insekten auf dem Fleisch oder aber der Spinne, die neben den Zitronenscheiben liegt auch an barocke Stillleben denken, auf denen Essen in gleicher Weise opulent und vergänglich dargestellt wird. Ziehst du Inspiration aus der Kunstgeschichte – wenn ja, woher?
Absolut! Beinahe alles, was ich mache, ist von irgendeinem Aspekt der Kunstgeschichte inspiriert; von den Griechen und ihren Amphoren bis zur Renaissance und ihrer Liebe zu Frauen mit weichen Körpern. Chinesisches Porzellan oder in Chelsea gefertigte Keramiken aus dem 18. Jahrhundert mit ihrem Faible für Insekten und Trompe-l’oeil inspirieren mich genauso. Mein Aufenthalt in Venedig mit meiner Galerie ALMA ZEVI war in dieser Hinsicht wirklich bedeutend. Meine Serie an Arbeiten, die ich für meine Einzelausstellung „Price Choppers“ geschaffen habe, ist sehr verbunden mit der Stadt und den Gemälden, die mir in der Accademia gefallen haben.
Das faszinierendste Kunstwerk in der Accademia?
Es gibt so viele unglaubliche Kunstwerke in Venedig, aber Cosmè Turas Gemälde der „Madonna des Tierkreises“, 1459, in der Accademia ist eines, das mich sehr berührt hat. Das starke, fleischige Jesuskind und daneben Marias helle, feine Haut. Ihre seltsamen Finger berühren ihn auf eine Weise, die fast wie eine Geheimsprache aussieht, und dann ruht sein Füßchen auf der Unterseite des Rahmens.
Was für weitere Inspirationen konntest du aus deiner Zeit in Venedig nehmen?
Mich haben die schönen Gebäude und Fassaden inspiriert und dass gleichzeitig ein so schönes Bauwerk einen Souvenirladen beherbergt. So überlebt die Stadt, aber ich liebe einen derartigen Kontrast. Es kann nichts zu kostbar sein. Das Kitschige vermischt sich hier mit dem Schönen.
Der beste Ort in der Serenissima?
Der beste Ort und gleichzeitig eine völlige Überraschung war für mich die Basilika „Santi Maria e Donato“ auf Murano. Sie wurde 1125 erbaut und hat den schönsten Mosaikboden, den ich je gesehen habe. Es war so farbenfroh. Jedes Mal, wenn ich in eine Kirche gehe, denke ich gewöhnlich an die vielen Stunden Arbeit, die man in ihre Fertigstellung investiert hat, aber bei dieser Basilika konnte ich richtig spüren, dass es Spaß gemacht haben muss!
Pasta o Pesce? Die Bandbreite an italienischen Köstlichkeiten hat sich augenscheinlich in deinem Werk manifestiert. Welche Eigenschaften schätzt du an der italienischen Kultur, Kulinarik, Kunst am meisten?
Ich bin sehr neidisch, wie die Italiener inmitten ihrer Geschichte leben. Venedig ist offensichtlich ein extremes Beispiel. Die Menschen leben in Gebäuden aus dem 13. Jahrhundert, schauen sich Gemälde aus dem 14. Jahrhundert an, auf denen Gondeln und der Markusplatz zu sehen sind, und treten heraus und dann ist alles noch genauso da. Alles unverändert, nur dass die Gondoliere heute Zigaretten rauchen, am Handy sind und Englisch sprechen.
Eigentlich wäre im März deine erste Einzelausstellung „Price Choppers“ eben bei ALMA ZEVI in Venedig losgegangen. Die Ausstellung ist nun verschoben. Aber stattdessen wurde ein Filter für Instagram erstellt, was ich ziemlich amüsant fand. Gab es noch andere Ergebnisse aus deiner Zeit im Lockdown?
Ja, meine guten Freunde Lara Johnson-Wheeler und Patrick Muller haben den „Which Katy Stubbs Pot are you?“- Filter erstellt. Es ist so schön zu sehen, dass ihn so viele Leute benutzen. Der Lockdown war außerdem die perfekte Zeit, um meine neuen Küken aufzuziehen. Ich wollte schon immer Hühner haben und jetzt sind sie groß und stark. Aber abgesehen davon war es eine großartige Zeit zum Experimentieren. Ich habe mich an Terrakotta und anderen Tonarten probiert. Und ich konnte mich darauf konzentrieren, Dinge herzustellen, die mir wirklich Spaß machen. Ich glaube, nachdem man so lange an einer Idee gearbeitet hat, wie ich es für meine Ausstellung getan habe, freut man sich über ein wenig Abwechslung.
Du lebst und arbeitest in Brixton. Soweit ich gelesen habe, gibt es in England immer noch einen Lockdown. Worauf freust du dich am meisten, wenn du dich wieder frei bewegen kannst?
Ich kann es kaum erwarten, meine Freunde zu sehen! Ich bin kein großer Umarmer, aber ich würde gerne zumindest in ihrer Nähe stehen können. Und ich freue mich aufs Gerichte, die ich nicht selber gekocht habe. Ach, das wird ein großartiger Tag!
Katys erste Einzelausstellung „Price Choppers“ in ihrer Galerie ALMA ZEVI in Venedig ist wegen der Corona-Pandemie bis auf Weiteres verschoben worden. Ihre Arbeiten lassen sich bis dahin aber sowohl auf ihrer Website als auch auf Katys Instagram Profil entdecken.