Nachts im Museum
Einbruch ins Kunstmuseum Bochum mit Hofmann&Lindholm

29. März 2024 • Text von

Wer hat nicht schon mal davon geträumt, eine Nacht allein im Museum zu verbringen? Dank des Projekts „Keep the Cat in at Night“ von Hofmann&Lindholm ist der Traum am vergangenen Wochenende für einige wenige Auserwählte zwischen 18.30 Uhr und 4 Uhr morgens Realität geworden. Im Rahmen eines simulierten Einbruchs hatten die Teilnehmenden verfolgt von Objektschützern eine halbe Stunde Zeit allein im Kunstmuseum Bochum. Nur eins durften sie auf gar keinen Fall: sich umdrehen! 

GT Keep the Cat In at Night (c) Hannah Hofmann
Hofmann&Lindholm, Hannah Hofmann & Sven Lindholm, “KEEP THE CAT IN AT NIGHT”, © Hannah Hofmann.

Es ist Sonntag, der 24. März, 23.15 Uhr und ich sitze allein im McDonalds am Bochumer Hauptbahnhof. Während ich eine große Pommes mit Ketchup esse, warte ich auf den Start meines Einbruchs ins Kunstmuseum Bochum. Ob das professionelle Einbrecher auch so machen? Baumaßnahmen in Essen, Schienenersatzverkehr und zugegeben auch die Aufregung haben mich eine halbe Stunde vor Treffpunkt ankommen lassen. Pünktlich um 23.45 Uhr stehe ich dann wie vereinbart am düsteren Südausgang des Bahnhofs und warte auf meine Mitfahrgelegenheit. Wirklich sicher fühle ich mich hier nicht. Als ein schwarzer Transporter eintrifft, hoffe ich, dass es sich auch tatsächlich um das richtige Fahrzeug handelt. Der Transporter wendet und bleibt unmittelbar vor mir stehen. Die Tür öffnet sich und ich bin erleichtert, als mir zwei Frauen freundlich entgegenblicken. Ich steige ein, die Tür schließt sich hinter mir und die Aufführung beginnt.

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Hofmann&Lindholm, Hannah Hofmann & Sven Lindholm, “KEEP THE CAT IN AT NIGHT”, © Robin Junicke.

Das Innere des Transporters wird von bläulichem Licht illuminiert und ich werde verschwörerisch willkommen geheißen. So aufgeregt wie ich bin, entlarve mich als eher ungeeignete Einbrecherin. Letzteres muss ich aber auch gar nicht sein, handelt es sich hier doch um einen simulierten Einbruch im Rahmen der Kunstaktion “Keep the Cat in at Night” des Duos Hannah Hofmann und Sven Lindholm. Es folgt eine Einführung mit den wichtigsten Infos, obwohl ich schon im Vorhinein eine Selbsterklärung unterzeichnen musste. Die Alarmanlage sowie das Licht im Museum werden ausgeschaltet sein, ich werde in der Nähe des Museums abgesetzt und muss mir eigens Zutritt durch einen ungewöhnlichen Eingang verschaffen. Dazu soll ich bereits jetzt wählen, ob ich mich für eine versteckte Tür, die Sicherheitstreppe oder den Weg durchs Gestrüpp entscheide. 

Ich wähle die Treppe und meine Entscheidung wird umgehend weitergegeben. Im Museum selbst werden mir Objektschützer folgen, doch sobald ich mich umdrehe und ein Blickkontakt entsteht, ist die Aufführung sofort beendet. Kann ich jedoch dem Drang widerstehen, habe ich eine halbe Stunde Zeit, das Museum bei Nacht zu erkunden. Nach der kurzen Einführung fährt der Transporter durch die Nacht, nähert sich langsam dem Ort des Geschehens. Meine Tasche musste ich abgeben, mein Handy ausschalten. Endlich bleibt der Transporter stehen und mir wird der Weg zum Museum erläutert. Dann warten wir auf Zugangsbestätigung. Als diese erteilt ist, öffnet sich die Tür des Fahrzeugs und ich werde ausgestattet mit einer Taschenlampe entlassen in die kühle Nacht.

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Hofmann&Lindholm, Hannah Hofmann & Sven Lindholm, “KEEP THE CAT IN AT NIGHT”, © Robin Junicke.

Schnellen Schritts laufe ich die Bochumer Straßen entlang, auf denen außer mir niemand mehr unterwegs ist. Nach genau 150 Schritten erreiche ich den Parkplatz auf der Rückseite des Museums. Dort fällt mir auf, dass ich Kleidung mit Reflektoren trage. Ein Fehler, der bei einem professionellen Einbruch fatale Folgen hätte. Mir wurde mitgeteilt, dass Polizei in Zivil in der Umgebung unterwegs sei. Davon bemerke ich trotz erhöhter Aufmerksamkeit meinerseits nichts – Profis eben. Über die Nottreppe verschaffe ich mir Zugang in den zweiten Stock. Erst durch ein Gitter die Treppe hinauf, oben finde ich wie im Briefing beschrieben einen Griff vor, mit dem sich durch Druck die Nottür von außen öffnen lässt. Ich bringe den Griff auf Brusthöhe an, lasse die Klemmen einrasten und ziehe kräftig, bis sich die Tür langsam öffnet. Noch einmal blicke ich mich um, dann betrete ich das Museumsinnere.

Im Gebäude angekommen, erwartet mich ein seltsames Szenario, das direkt aus einem Horrorfilm stammen könnte. Mehrere Security-Mitarbeiter stehen mit den Gesichtern zu den Wänden im Flur. Als ich mich in die finsteren Räumlichkeiten des Museums vortaste, höre ich ihre Schritte hinter mir, spüre ihren Atem in meinem Nacken. Ich widerstehe dem Drang, mich instinktiv zu meinen Verfolgern umdrehen zu wollen. Der Lichtkegel der Taschenlampe fällt auf die Exponate der ständigen Sammlung. Gleich meinem Blick huscht er über Gemälde, Skulpturen und Installationen, verweilt manchmal, solange bis beide weitereilen. Je länger ich die Werke aber betrachte, desto mehr verliere ich mich in der seltsamen Atmosphäre. Lange verharre ich beispielsweise vor drei monochrom weißen Gemälden, die bei Nacht mehr als bei Tag preiszugeben scheinen. Ich schleiche um Skulpturen von Calder und Otto Gutfreund, bin fasziniert von den Schattenspielen auf den dahinter liegenden Wänden. Tatsächlich ist dieser besondere Besuch mein erster im Kunstmuseum Bochum. Angesichts der Kunst vergesse ich beinah die Entourage an Sicherheitspersonal hinter mir, bis ihre Schritte auf der Treppe nach unten laut widerhallen.

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Hofmann&Lindholm, Hannah Hofmann & Sven Lindholm, “KEEP THE CAT IN AT NIGHT”, © Robin Junicke.

Der Schein der Taschenlampe fällt in der Jubiläumsausstellung auf Pilzstrukturen. Ganz so, als würde ich durch nächtliche Wälder streifen. In der Soloschau von Theresa Weber fühle ich mich dagegen als wäre ich mitten in die Aufbau- oder Abbauphase einer Ausstellung eingedrungen. Ich bin mir unsicher, ob ich die raumgreifende Installation betreten darf. Das Wachpersonal wird schon eingreifen, denke ich mir und trete ein. Über Textilien, vorbei an Kissen, leuchte ich auf bemalte Stoffbahnen über meinem Kopf und dringe bis zu einem kleinen Altar vor. Die Architektur des Museums ist verwinkelt, so rutscht manchmal einer der Wachmänner in mein Sichtfeld. Dann wende ich meine Augen schnell zu Boden, um dem direkten Blickkontakt auszuweichen. Im Erdgeschoss wandele ich schließlich durch das verlassene Museumscafé und den Eingangsbereich. Ein wenig fühlt es sich an, wie durch eine Geisterstadt nach einer Zombieapokalypse zu streifen.

Plötzlich ertönt ein akustisches Signal und ich werde vom Chef des Sicherheitspersonals aus dem Museum geleitet. Er weist mir den Weg zu einem schräg gegenüberliegenden Gebäude. Als ich dort eintreffe, werde ich bereits vom Regieteam freudig erwartet. Es gibt Suppe, Wein und nette Gespräche. Zu meiner Überraschung blicke ich zudem neun Bildschirmen entgegen, welche in Echtzeit das Geschehen im Innern des Museums aus der Perspektive von acht Überwachungskameras sowie einer Bodycam übertragen. Wer beobachtet hier wen? Und wer beschützt wen? Die Infrarot-Bilder bringen die Reflektoren an der Kleidung des Wachpersonals zum Leuchten, lassen sie wie Sternenkrieger erscheinen. Ich setze mich und schaue der nächsten Teilnehmerin bei ihrem Einbruch zu. Sie bewegt sich viel schneller als ich durch die Räumlichkeiten.

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Hofmann&Lindholm, Hannah Hofmann & Sven Lindholm, “KEEP THE CAT IN AT NIGHT”, © Robin Junicke.

Währenddessen erzählt mir Sven Lindholm vom großen Interesse am Projekt und dass sie entgegen jeglicher Marktlogik trotzdem Einzelerlebnisse für wenige Auserwählte schaffen wollten. Lindholm berichtet zudem, wie unterschiedlich sich die Teilnehmenden verhalten, dass manche mehr an der Situation als an der Kunst interessiert sind, sich spielerisch bewegen, um die Reaktionen des Wachpersonals auszutesten. Auch Abbrüche gab es, beabsichtigt und unbeabsichtigt. Eine Frau sei gleich drei mal von oben nach unten durchs Museums geeilt und hätte das Personal ordentlich auf Trab gehalten. Bei mir wäre sofort klar gewesen, dass ich einen Kunsthintergrund habe, so wie mich die Exponate interessiert haben.

Hannah Hofmann und Sven Lindholm sind bekannt für ihre aufwendigen Projekte, die große gesellschaftliche Fragen anrühren. Ihre Aufführungen sind oftmals Grenzerfahrungen wie bei “NOBODY’S THERE”, als sich Teilnehmende in fremden Wohnungen verstecken mussten und schließlich 30 Minuten im Verborgenen bei Anwesenheit der Wohnungsbesitzer*innen ausharren sollten. Das Publikum steht bei Hofmann&Lindholm stets im Zentrum, wird selbst zum handelnden Akteur. “Keep the Cat in at Night” ist Teil ihrer am Kunstmuseum Bochum gegründeten einjährigen Programmreihe “Provisorische Gesellschaft”, stellt Fragen nach faktischer und gefühlter Sicherheit. Was bedeutet Sicherheit? Und was sind sichere Orte?

Sicherheit spielt in fast allen aktuellen Diskursen eine tragende Rolle, bei politischen Umwälzungen und Klimakatastrophe genauso wie bei gezielt in Umlauf gebrachten Szenarien von Überfremdung und Werteverfall. Der Startpunkt der Aktion ist streng genommen einer der sichersten Orte der Stadt angesichts der Präsenz von Sicherheitspersonal sowie zahlreicher Überwachungskameras. Gefühlt aber gehört der Hauptbahnhof zu den unsichersten Aufenthaltsorten. Auch das Museum ist ein zwiespältiger Ort. Höchstmöglicher Schutz der Objekte trifft auf Forderungen nach mehr Zugänglichkeit, Partizipation und Nähe. Der simulierte Einbruch findet in einer Grauzone statt, schafft eine äußerst fragile Situation. Es könnte schier alles passieren. Sicher aber ist, auch wenn ich eine lausige Einbrecherin wäre, ich diesen Museumsbesuch wohl nie mehr vergessen werde. 

WANN: “KEEP THE CAT IN AT NIGHT” von Hofmann&Lindholm fand vom 22. bis 24. März 2024 zwischen 18.30 Uhr und 4 Uhr morgens statt. Am Mittwoch, den 3. April 2024, findet um 18 Uhr ein öffentliches Gespräch zum Projekt im Kunstmuseum Bochum statt.
WO: Kunstmuseum Bochum, Kortumstraße 147, 44787 Bochum.