Verflochtene Identitäten
Theresa Weber im Dortmunder Kunstverein

15. Juli 2021 • Text von

Künstliche Nägel, verflochtene Haarteile, Perlen, Schmuck, Textilien, Prothesen und vor allem viel Silikon. Was erzählen uns diese Dinge über den Menschen? Was kennzeichnet Individuen und Gesellschaften und was bedeutet der Begriff der Identität – ist dieser klar definierbar oder lässt er sich unterschiedlich auslegen? In ihrer ersten institutionellen Einzelausstellung geht die Künstlerin Theresa Weber, die gerade erst im Juni ihre Ausbildung an der Düsseldorfer Kunstakademie abgeschlossen hat, im Dortmunder Kunstverein diesen Fragen nach. (Text: Stella Baßenhoff)

Theresa Weber: “Woven Memories”, Installationsansicht, Dortmunder Kunstverein. Foto: Jens Franke. Courtesy: the artist & Dortmunder Kunstverein, 2021.

Theresa Weber zeigt in Dortmund ein Zusammenspiel von installativen und malerischen Arbeiten mit immer wiederkehrenden Materialien wie Silikon, Seilen, Kunsthaar, künstlichen Nägeln, Perlen, aber auch Textilien, Schmuck oder Prothesen. Webers Arbeiten lassen sich dabei in drei Werkgruppen einteilen: die „Lianen“, die Bildcollagen und die „Woven Memories“. Bei den titelgebenden „Woven Memories“ handelt es sich um Fund- und Erinnerungsstücke die von der Künstlerin im Arbeitsprozess liegend angeordnet mit Silikon überzogen und so festgehalten werden. In der Ausstellung fungieren nicht nur die Wände als Präsentationsfläche, sondern auch an Ruinen erinnernde Ziegelsteine oder Metallkonstruktionen.

In ihren Arbeiten setzt sich Weber vor allem mit kultureller Hybridisierung, Schönheitsidealen und vielfach codierten Symbolen von Zugehörigkeit auseinander. Die Künstlerin stellt sich die Frage, durch welches soziale System der Mensch Gesehenes einordnet. Dieses versucht sie in ihren Arbeiten umzusetzen und zu verarbeiten. Dabei verwendet sie häufig die oben genannten prothetischen Materialien. Diese haben gemein, dass sie als Körpererweiterungen funktionieren und in ihren unterschiedlichen Funktionen identitätsstiftend agieren, die mit unterschiedlichen Assoziationen einhergehen. Der menschliche Körper aber fehlt, sodass nur die Materialien übrigbleiben. Für die Künstlerin werden sie daher zu einer kulturellen, organischen Spur. Die historischen Assoziationen und sozialen Hierarchien werden durch sie auf materieller Ebene dekodiert und neu kombiniert.

Theresa Weber: “Woven Memories”, Installationsansicht, Dortmunder Kunstverein. Foto: Jens Franke. Courtesy: the artist & Dortmunder Kunstverein, 2021.

„Woven“ steht für die Künstlerin daher vor allem für das Zusammenbringen von Narrativen, die nicht zusammengehören, durch ihre Arbeiten aber miteinander verflochten werden.  Webers Überlegungen sind vor allem von den Theorien des Dichters und Schriftstellers Édouard Glissant, der in seinen Essay zur „Kultur und Identität. Ansätze zu einer Poetik der Vielheit“ von 2005, von einer Spur des Denkens spricht, geprägt. Auch die Künstlerin selbst hinterlässt ihre Spuren, wenn sie zum Beispiel Porträts von sich in ihre Arbeiten miteinbezieht oder ihre Fingerabdrücke im Silikon aneinandergereiht hinterlässt.

Die in ihren Arbeiten verwendeten Materialien wie zum Beispiel das Kunsthaar können unterschiedlich wahrgenommen werden und sind daher bewusst gewählt. Die Künstlerin ist durch ihren deutsch-jamaikanisch-griechischen Hintergrund geprägt von verschiedenen Einflüssen. Geflochtene Zöpfe (Braids) aus Kunsthaar (Weaves) beispielsweise stellen in afrodiasporischen Kulturen eine jahrhundertalte Kulturpraxis dar, die identitätsstiftend und ein Symbol des Widerstands ist. Gleichzeitig bezieht sich die Künstlerin aber auch auf eine Tradition des Flechtens aus der Antike, die in Athen entstanden ist. 

Theresa Weber: “Woven Memories”, Installationsansicht, Dortmunder Kunstverein. Foto: Jens Franke. Courtesy: the artist & Dortmunder Kunstverein, 2021.

Sie nehme mit ihren Arbeiten eine in die Zukunft blickende Position ein, erzählt Weber im Gespräch mit gallerytalk.net. Für sie stellt sich die Frage, wie in unserer Zeit mit kultureller Hybridisierung umgegangen wird. Eine Veränderung unseres Blicks, der in vielerlei Hinsicht eurozentristisch geprägt ist, ist daher notwendig. Auch hier ist ein Verweis zu Édouard Glissant zu erkennen. Dieser spricht davon, dass Identitäten sich nicht aus einer „einzigen starren und intoleranten Wurzel“ ergeben, sondern nur ein „Wurzelgeflecht, ein Rhizom“ dazu beitragen kann. Durch die Ausstellung im Dortmunder Kunstverein wird ein Kommunikationsraum geschaffen, der es zulässt, in Dialog mit sich selbst oder miteinander zu treten.

WANN: Die Ausstellung „Woven Memories“ läuft bis zum 5. September. Am Donnerstag, den 12. August, sowie am Samstag, den 14. August, zeigt Theresa Weber mit der Künstlerin Anys Reimann die Performance „FLUIDITY“.
WO: Dortmunder Kunstverein, Park der Partnerstädte 2, 44137 Dortmund.

Wir empfehlen die zur Ausstellung von der Künstlerin gestaltete Broschüre, die Zeichnungen und eigene Texte mit den Texten des Dichters, Schriftstellers und Philosophen Édouard Glissant verbindet. (Schutzgebühr: 0,50 Euro)

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