Spielerisch decodieren
Natacha Donzé in der Galerie max goelitz

8. September 2021 • Text von

Chaos, Apokalypse, Populärkultur sowie Sci-Fi-Filme – es ist ein breites Themenrepertoire, das der schweizerischen Künstlerin Natacha Donzé als Inspiration für ihre Malerei dient. Spielerisch verwandelt Donzé bekannte Elemente in rätselhafte Symbolik und schafft dabei eine eigene Formensprache, die intensive Farbigkeit, Abstraktion, Farbfeldmalerei sowie christliche Ikonographie verbindet. Anlässlich ihrer Teilhabe in der Gruppenausstellung „inventing the past“, die im Rahmen von Various Others in der Galerie max goelitz eröffnet, sprach gallerytalk.net mit Donzé über ihr Faible für Insekten, Anziehungskraft und manipulative Bildsprache.

Eine große orangefarbene Leinwand in einem Museum
Installation view Festins, Musée des beaux-arts de La Chaux-de-Fonds, 2021, Photo: Julien Gremaud.

gallerytalk.net: In deinen Werken kommt es mir teilweise vor, als ob etwas sehr Unangenehmes passiert oder die Apokalypse unmittelbar bevorsteht. Einige der Szenen in deinen Gemälden erinnern mich an das, was der amerikanische Künstler Robert Smithson mit dem Begriff der Entropie beschrieb. Dabei geht es um einen irreversiblen Energieprozess: Verschiedene Energiezustände erreichen durch Wärmeaustausch ein Gleichgewicht und können nicht mehr umgekehrt werden. Unsere Existenz endet mit dem Wärmetod. Ist das auch für dich ein Ausgangspunkt oder was passiert auf deinen Gemälden?
Natacha Donzé: So in etwa! Ich setze mich mit Themen auseinander, die mit dem Chaos, dem Zusammenbruch von Systemen und ganz klar der Apokalypse zusammenhängen. Das sind Sujets, die mich interessieren und die im Mittelpunkt meiner Malerei stehen. Chaos ist etwas, das mich schon immer fasziniert hat, weil es ein undefinierbares Thema ist, auf das es letztendlich keine Antwort gibt. Das sind Fragen, die in der Kunstgeschichte immer wieder bearbeitet wurden und die jede Epoche und Gesellschaft anders beschäftigt haben. Meine konkreten Inspirationen speisen sich allerdings aus sehr verschiedenen Eindrücken – diese können aus dem politischen und sozialen Kontext oder aus der Populärkultur stammen. In meiner letzten Ausstellung im Musée des Beaux-Arts in La Chaux-de-Fonds gab es viele Bezüge zu Science-Fiction. In meinen Gemälden geht es viel um Block-Buster-Filme.

Welche Filme sind das beispielweise?
In La Chaux-de-Fonds waren Werke ausgestellt, die von Ridley Scotts “Blade Runner” von 1982 inspiriert wurden. Ich mag die alte Version gerne, wohingegen der neue Film, “Blade Runner 2049”, der 2017 erschienen ist, ein echt schlechter Film ist. Allerdings hat mich die Idee eines Remakes des ersten Films sehr interessiert. Bei beiden Filmen geht es um die Auseinandersetzung der Gesellschaft mit Technologie und darum, dass diese oder die technologischen Fortschritte die Menschen in ihr selbstgewähltes Chaos katapultieren. Ich finde es spannend, diverse Bilder aus den Filmen in einem neuen Kontext zu verwenden. Aber mich interessieren auch Bilder, die aus der Wissenschaft, der digitalen Bildgebung oder Technologie stammen, wie beispielweise Nachtsichtbilder oder Aufnahmen von Wärmebildkameras. In diesen suche ich bestimmte Motive, die ich für meine Gemälde verwende.

Eine bohnenartiges Gebilde vor grünem Hintergrund.
Natacha Donzé, Digestive Rug, 2020 bzw. Natacha Donzé, Digestive Rug (Detail), 2020 Courtesy: the artist and max goelitz, Photo: Dirk Tacke.

Apropos Motive – in deinen Gemälden, wie beispielsweise in “Digestive rug” (2020), wimmelt es nur so von zahlreichen kleinen organischen Elementen wie Bakterien, Insekten oder Muscheln. Was fasziniert dich daran?
Das ist richtig, es tauchen viele organische Elemente auf. Das können allerhand Dinge wie Insekten oder Blumen sein. Menschliche Figuren tauchen allerdings nie auf. Mir geht es viel eher darum, dass der Mensch ersetzt wird. Im Mittelpunkt stehen all diese Elemente, die uns zwar bekannt sind, aber die ich doch verändere und die dadurch rätselhaft und abstrakt wirken. Es ist wie ein Spiel, etwas wiederzuerkennen! Aber die Tatsache, dass man von Zeit zu Zeit Elemente oder Symbole verwendet, die dann eindeutig identifizierbar sind, erlauben es mir, eine Erzählung zu manipulieren. Dann macht man wieder Bilder mit sehr präzisem Inhalt und schafft es auf diese Weise die Gedanken des Betrachters und der Betrachterin eindeutig in eine Richtung zu lenken.

Inwieweit möchtest du mit deinen Bildern manipulieren? Oder gibt es ein Gefühl, das du gerne auslösen möchtest, wenn man deine Gemälde ansieht?
Mir gefällt die Idee, einerseits ein abstoßendes Gefühl und gleichzeitig etwas sehr Anziehendes bei den Betrachtenden hervorzurufen. In meinen Gemälden gibt es eben diese Motive, die sowohl als Muscheln als auch als Insekteneier fungieren können – vielleicht denken manche auch an Perlen oder eben an etwas anderes sehr Attraktives. Und trotzdem existiert gleichzeitig diese abstoßende Seite mit der Vorstellung eines Insekts, das möglicherweise gerade Eier gelegt hat. Oft behaupten die Leute, dass die Darstellungen in meinen Bildern etwas sehr Rätselhaftes in sich tragen oder dass die Dinge codiert sind.

Blick in die Galerie max goelitz
Installation view max goelitz, chasing another tomorrow 2021, Courtesy: the artist and max goelitz, Photo: Dirk Tacke.

Rätselhaft trifft es gut! In der eben in der Galerie max goelitz zu Ende gegangenen Ausstellung “chasing another tomorrow” warst du unter anderem mit “Shields” (2021), einem großformatigen dreigeteilten Werk ausgestellt, welches ich ziemlich faszinierend finde. Um was geht es da?
“Shields” besteht aus drei Tafeln, deren Format fast der Größe eines Menschen entspricht. Die Komposition der Bilder nimmt auf die Schutzschilder der französischen Gendarmerie, die aus hartem Plastik sind, Bezug. Allerdings ist diese Information auch verschlüsselt – denn betrachtet man “Shields”, wird einem das nicht bewusst. Aber in jedem Fall versucht man unterbewusst Elemente des Bildes zu verbinden. Mich interessiert diese kognitive Idee eines Bildes – es ist voller Informationen, die man täglich sieht und die ein Teil des täglichen Lebens sind. Auch die abgerundeten Ecken findet man in Alltagsgegenständen, wie beispielsweise dem iPhone.

Natacha Donzé in ihrem Atelier
Natacha Donzé, Photo: Mathilda Olmi.

Mich hat das an ein Triptychon, ein dreigeteiltes Gemälde, das oft als Altarbild fungiert, erinnert!
Absolut! Diese dreigeteilte Spaltung verleiht dem Motiv etwas Sakrales. Wie eine Verherrlichung des Objekts – eine Heiligsprechung allerdings völlig ohne Grund. Es ist etwas, was man sich rein einbildet. Vielmehr sind es Bilder von Macht und Struktur.

Inventing the past Groupshow bei max goelitz.
Installation view max goelitz, inventing the past 2021 Courtesy: the artist and max goelitz, Photo: Dirk Tacke.

Am kommenden Samstag eröffnet “inventing the past”, der zweite Teil der Gruppenausstellung, wo du bei max goelitz gemeinsam mit Neïl Beloufa, Lou Jaworski, Haroon Mirza und Keith Sonnier ausstellen wirst. Was wirst du zeigen?
Bei “inventing the past” geht es um die Auseinandersetzung mit der Zukunft. Ich habe zwei Gemälde gemacht, die an Säulen erinnern und gleichzeitig ein Muster in sich tragen, auf das ich durch Abbildungen von Eisbohrkernen gekommen bin. Die Oberfläche sieht gefroren aus, Assoziationen zum Schmelzen der Arktis kommen da in den Sinn. In dem Moment, in dem man so etwas ausspricht und eine gewisse Assoziation weckt, ist sie automatisch da. Wenn man sich die Bilder jedoch einfach ohne das Wissen ansieht, verrät nur der Titel etwas über den Inhalt. Auf den ersten Blick erinnern sie möglicherweise eher an Parfümflakons, etwas durchaus Attraktives. Die Idee der Verführung, der Schönheit oder der Anziehung ist etwas, das wir geerbt haben und immer wieder in Abbildungen suchen. Das historische Erbe schafft eine emotionale Verbindung zur Malerei – das begeistert mich!

Zwei Gemälde von Natacha Donzé vor weißer Wand.
Natacha Donzé, Blissful blue (persuasive), 2021 Courtesy: the artist and max goelitz | Photo: Dirk Tacke. // Natacha Donzé, Untitled, 2021 Courtesy: the artist and max goelitz | Photo: Dirk Tacke.

Dann bin ich gespannt! Du wirst am Eröffnungs-Wochenende in München sein. Freust du dich schon auf deinen Besuch?
Ja, ich kann es kaum erwarten. Und da es ja ein Galerie-Wochenende ist, freue ich mich auch darauf, die ganzen Galerien und Projekträume zu entdecken. München sieht toll aus!

WANN: Die Gruppenausstellung “inventing the past” eröffnet im Rahmen des Various Others Opening Weekend 2021 am Freitag, den 10. September, von 18 bis 21 Uhr.
WO: max goelitz, Maximilianstraße 35, Eingang Herzog-Rudolf-Straße, 80539 München.

In freundlicher Zusammenarbeit mit der Galerie max goelitz.

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