Videopremiere: Sexual Healers TV #2
Nayare Soledad Otorongx "La Entrevista"

17. Oktober 2021 • Text von

In „La Entrevista“ spricht Nayare Soledad Otorongx mit fünf Transfrauen. Die gesungenen Interviews brechen mit Mainstream-Erwartungen darüber, was Trans*frauen untereinander besprechen. Ihr Austausch eröffnet eine unterrepräsentierte Perspektive auf die Welt. Die Videoarbeit„La Entrevista“ ist im Auftrag von Sexual Healers TV entstanden und feiert Premiere auf gallerytalk.net. (Text: Will Fredo & Nayare Soledad Otorongx)

Nayare Soledad Otorongx: “La Entrevista”, 2021. Commisioned by Sexual Healers TV. Courtesy of the artist.

Auch wenn das Freisetzen von Gefühlen eine wichtige Rolle spielt, ergibt sich aus neurowissenschaftlicher Sicht Heilung nicht aus Katharsis, sondern eher aus Mikrodosen positiver Interaktionen und Verbundenheitsgefühl. Eine Interview-Situation kann diese Verbindung herstellen. Versucht jedoch die interviewende Person die interviewte Person auszufragen und übertritt dabei Grenzen, hat der Austausch eine gegenteilige Wirkung. Beide Seiten kommen einander nicht näher, sondern werden sich ihrer Distanz erst bewusst.

Die Videoarbeit „La Entrevista“ (Das Interview) von Nayare Soledad Otorongx setzt sich mit diesen Ideen auseinander, indem sie mehrere Momente der Verbindung zwischen migrantischen Trans*Frauen in Spanien zeigt. Gefilmt im Auftrag von Sexual Healers TV (SHTV) während einer Residency im Matadero Madrid nutzt „La Entrevista“ Transtechnologien und Epistemologien, um der cis-weißen Norm zu entkommen. In dem Video führt uns Nayare durch fünf verschiedene Szenen, in denen sie zusammen mit Antonella, Alex, Carol, Ángel und Fabby La Diosa de Europa singt. Gemeinsam durchbrechen sie die lineare Zeitlichkeit des technokapitalistischen Patriarchats, indem sie seinen Erwartungen entgegenwirken.

Anlässlich der Videopremiere auf gallerytalk.net ergänzt den obigen Text von SHTV-Initiator Will Fredo ein Interview, das Nayare Soledad Otorongx mit sich selbst geführt hat.

Nayare Soledad Otorongx: “La Entrevista”, 2021. Commisioned by Sexual Healers TV. Courtesy of the artist.

Nayare Soledad Otorongx: Was sind deiner Meinung nach die Transkräfte, die durch Begegnungen und Momente des Teilens erzeugt werden?
Nayare Soledad Otorongx: Nur Trans*Frauen wissen, wie man liebevoll mit anderen Trans*Frauen umgeht. Die Begegnung mit der Fragilität dieser Körper ist wertvoll und mächtig. Ihre Verletzlichkeit mag von außen als grausam, oberflächlich oder unwahr verstanden werden. Doch nur die, die es wagen, sich verletzlich zu zeigen, können aus der Asche, aus den gefallenen Blütenblättern oder aus den Wellen lesen. Es ist die Voraussetzung für Selbsterhaltung und Unsterblichkeit, ohne die Wege unserer Vorfahren zu vergessen.

Auf welche anderen Narrative sollten wir uns in Bezug auf Transkörper konzentrieren?
Wir sollten über Freude, über Erinnerung und über Geheimnisse sprechen – über letztere, ohne sie mit den Cis zu teilen. All diese Geschichten, Träume, Wünsche, Erfindungen und Ratschläge der Transepistemologie sind meiner Ansicht nach heilige Techniken, um uns zu schützen, um nicht zu vergessen – und dabei geht es nicht notwendigerweise um Sichtbarkeit. Das Erzählen kann ein Flüstern sein, so leise, dass es nur von Transkörpern wahrgenommen werden kann. Ein Flüstern oder sogar Telepathie.

Nayare Soledad Otorongx: “La Entrevista”, 2021. Commisioned by Sexual Healers TV. Courtesy of the artist.

Wie können wir Interviews mit Transpersonen so gestalten, dass kein übergriffiger Erkenntnisgewinn zulasten der befragten Körper provoziert wird?
Vielleicht ist es unmöglich, vor dem cis-hetero-Blick zu fliehen. Daher wäre es interessant, ein unmögliches Interview zu generieren: ein Interview, bei dem nicht bekannt ist, wer der Interviewende ist, ein Interview, das Fragen in Form von Antworten bietet – durch eine Transhexerei-Methode. Es wäre ein Interview, das sich der Erzählung entzieht, dessen Zweck nicht darin besteht, zu lernen, zu erforschen oder neue Daten zu sammeln, ein Interview, das Reflexionen hervorruft, in denen Transmenschen sich selbst und einander betrachten können.

Wie viele Transmenschen leben in dem Körper einer Transperson?
Ich glaube, eine Transperson ist alle Transmenschen, die vor ihr gestorben sind, alle diejenigen, die sie liebt, um die sie sich kümmert, die sie küsst, die sie begleiten wird, alle diejenigen, die sie segnen wird. Trans*Frauen sind der Spiegel mit goldenem Rahmen, Trans*Frauen sind der Rosenstrauch, der dem Garten Bedeutung verleiht, ein Virus, gegen das jede*r glaubt, den Impfstoff zu haben, ein Lied, um eine Narbe zu heilen, die nicht heilen kann.

Nayare Soledad Otorongx: “La Entrevista”, 2021. Commisioned by Sexual Healers TV. Courtesy of the artist.

Nayare Soledad Otorongx ist eine in Spanien lebende transdisziplinäre Transkünstlerin peruanischer Herkunft. Sie hat unter anderem mit Expo Haus Vienna und Camera Austria zusammengearbeitet.

SHTV ist ein Kunstprojekt über Biopolitik und Sexarbeit. Initiiert von dem nicht-binären KünstlerIn, AutorIn und RedakteurIn Will Fredo in Kolumbien, beschäftigt sich das multidisziplinäre Projekt mit Geschichten von Sexualitäten und ihren politischen Dimensionen, insbesondere im Globalen Süden. SHTV arbeitet in Kollaborationen an der Entwicklung von kollektiven Kunstwerken, Theorien und Ausstellungen. SHTV Commissions unterstützt junge Künstler*innen bei der Entwicklung neuer Werke, die die Schnittstellen von Sex, Arbeit und Politik erkunden. SHTV Commission #1 wurde von der in Berlin lebenden simbabwischen Künstlerin Mandhla realisiert, die kommende Commission #3 wird von den in São Paulo lebenden Künstlern Bruna Kury und Gil Porto Pyrata realisiert.