Melodien des Aufbegehrens Biennale für Freiburg
28. Juni 2023 • Text von Katrin Krumm
Unter dem Motto “Das Lied der Straße” erkundet die Biennale für Freiburg den öffentlichen Raum als politischen Ort der Zusammenkunft. Kuratiert von Paula Kommoss zeigt sie 34 internationale Positionen und verwebt deren Perspektiven und Kämpfe mit denen von Künstler*innen aus der Stadt. Dabei bezieht die Biennale bereits bekannte Institutionen und Orte ein, erweitert aber auch ihr Wirkungsfeld.
Auf den schmalen Treppen des Amphitheaters im Freiburger Seepark scheint gleich etwas zu beginnen: Dort stehen zwei in schwarz gekleidete Performer*innen, die sich in dehnenden Bewegungen aufzuwärmen scheinen. Das angeregte Plaudern der Zuschauer*innen verstummt erst langsam. Wann beginnt die Performance? Das spekulative Warten auf den Anfang ist Teil des Konzepts des schweizer Performance-Duos “lo.me”.
Sie bilden den Auftakt zur diesjährigen Biennale für Freiburg. Im Laufe der Performance beginnen sie, mit zwei minimalistischen Stahlkonstruktionen zu interagieren, die sich auf überraschende Weise ganz natürlich in die Parklandschaft einfügen. Mal scheint das Metall ihre Bewegungen einzuengen, ein anderes Mal scheinen sie das Material zu beherrschen. Jede ihrer Bewegungen verändert die Gesamtwirkung der Szenerie. Es geht um die Beziehung von Subjekt und Raum – wie Menschen mit ihm interagieren und ihn dadurch verändern, wo und wie er sie einschränkt und wie sie diese Grenzen ausloten können.
In der diesjährigen Biennale für Freiburg geht es auch um das Motiv des Widerstands, der in den öffentlichen Raum getragen wird. Das findet sich bereits im Titel “Das Lied der Straße” wieder, welcher sich auf Fellinis “La Strada” bezieht. Es erzählt die Geschichte der Zirkus-Assistentin Gelsomina, die gegen ihren Willen auf die Reise mit einem Schausteller geschickt wird. Sie summt eine leise Melodie, die zum Sinnbild ihres Aufbegehrens wird. Ähnlich spielte auch die Freiburger Bildhauerin Eva Eisenlohr in einem öffentlichen Akt des Widerstands “When the walls come tumbling down”, als die Alliierten 1944 einen Bombenangriff auf Freiburg starteten.
Die Ausstellung im Kunstverein Freiburg führt in die Geschichte Eisenlohrs ein. Zu sehen sind einige ihrer Originalskizzen zu Skulpturen, die sich auch heute noch im Freiburger Stadtraum befinden. Viele ihrer Arbeiten wurden in der Zeit des Nationalsozialismus aus der städtischen Sammlung entfernt und zerstört. Ausgehend von ihrem Leben und Handeln zeigt Maximiliane Baumgartner ebenfalls im Kunstverein die “Wandzeitung”, eine Sammlung an Dokumenten aus NS-Akten aus dem Stadtarchiv, die die Beschlagnahmung von Eisenlohrs, sowie weiteren künstlerischen Werken aus Freiburger Museen dokumentieren. Durch die Sichtbarmachung der Akten zeigt Baumgartner, dass die Entnazifizierung Deutschlands nach wie vor kein abgeschlossener Vorgang ist.
Eine weitere Arbeit Baumgartners ist im Musikpavillon des Stadtgartens zu sehen. Ihre Serie aus malerischen Interventionen “Von einem Punkt aus der Vergangenheit, einen Punkt aus der Gegenwart malen.” imaginiert einen Raum, in dem Eisenlohrs widerständige Praxis Nachhall findet. Angelegt als fiktionale Reportage zeigt sie unter anderem Eisenlohrs Figurengruppe “Wenn einer fällt, muss man nach vorne blicken”, sowie schemenhaft angedeutete NS-Akten.
Als Intervention motiviert “Von einem Punkt aus der Vergangenheit, einen Punkt aus der Gegenwart malen.” dazu, sich Zuschreibungen zu widersetzen. Baumgartners Praxis wird außerdem durch performative Spaziergänge erweitert, in denen sie Eisenlohrs Wirkungsraum nachempfindet. So lief sie beispielsweise den Weg einer künstlerischen Aktion nach, während der die Künstlerin eine ihrer Skulpturen mit Hilfe einer Schubkarre eigenmächtig auf dem Alten Friedhof in Freiburg platzierte.
Von der Geschichte des Schwarzen Widerstands im öffentlichen Raum erzählt die Arbeit des afro-deutschen Künstlers James Gregory Atkinson im Pförtnerhaus. Der Titel “Friedrichstr. 24” bezieht sich auf den Gründungsort eines Netzwerks aus Schwarzen Aktivist*innen, die aus dem 1920 aufgelösten “Afrikanischen Hilfsverein” hervorgingen. Sein großformatiger Print, der sich hinter dem gebogenen Glas befindet, zeigt eine Illustration aus einer Zeitschrift, welche die Gruppierung publizierte. Weiter hinten im Ausstellungsraum befindet sich außerdem eine schlichte Box, in der sich gesammelte historische Auszüge aus den Gründungsdokumenten der Gruppierung befinden.
Mit seinen Arbeiten im Pförtnerhaus untersucht Atkinson verschiedene Aspekte der afroamerikanisch-deutschen Geschichte auf politischer, sowie persönlicher Ebene und verknüpft Vergangenes mit Gegenwärtigem. So sind an einer Wand zwei Uhren mit je unterschiedlichen Zeiten positioniert: Dabei handelt es sich um Atkinsons autobiographische Arbeit “6 Friedberg-Chicago”. Chicago ist der Geburtsort von Atkinsons Vater; in der deutschen Stadt Friedberg befand sich eine Kaserne der US-Army, in der dieser als Soldat stationiert war.
Mit seiner Arbeit “Untitled (Schwarzwaldhof)” wirft Matt Welch einen historischen Blick auf die kulturaktivistische Hausbesetzerszene Freiburgs. Seine Arbeit untersucht den Abriss des ab 1980 besetzten Schwarzwaldhof-Geländes als autonom-kulturelles Zentrum der Stadt. Den Besetzer*innen ging es damals um das Schaffen nicht-kommerzieller Räume, in denen sich Menschen treffen und gemeinsam über ihre Nutzung entscheiden konnten. Ein aktuelles Thema, scheint die Stadt gerade in letzter Zeit mit Nachdruck gegen öffentlich gelebtes Nachtleben vorzugehen.
Sein Film zeigt eine nachgedrehte Szene aus “Nachrichten über eine Veränderung” des Kollektivs Medienwerkstatt Freiburg, das die gewaltsame Räumung und Abriss des Geländes dokumentierte und erinnert an den gemeinschaftlichen Gedanken der damaligen Aktivist*innen und ihrer Wiederaneignung des öffentlichen Raums.
Zwischen den repräsentativen Utopien einer Landesgartenschau, gelebter autonomer Kulturszenen und historischen Bezügen zu künstlerischen Positionen verhandelt die diesjährige Biennale für Freiburg die politischen und gesellschaftlichen Dimensionen des öffentlichen Raums. Durch die großflächige Verteilung im Innenstadtraum macht sie die Strukturen sichtbar, die im Alltag untergehen und motiviert zu einer bewussteren Positionierung der Betrachter*innen innerhalb dieser.
Sie fördert alternative Blickwinkel und eine Erkundung der Stadtgeschichte, wie in der Skulptur “Untitled (Escort)” von Yong Xiang Li und François Pisapia, die sich auf die unterschiedlichen Nutzungen des Seeparks bezieht und Betrachter*innen in zwei Modi erscheint – je nach Tageszeit. Gleichzeitig bietet sie Praxen zur Gegenöffentlichkeit, zeigt Geschichten des internationalen Widerstands wie die der chilenischen Aktionskünstlerin Lotty Rosenfeld, die mit ihren aktivistischen Interventionen im öffentlichen Raum ein politisches Zeichen gegen die Militärregierung Pinochets setzte.
Das umfangreiche Begleitprogramm, das bei der diesjährigen Biennale bereits im Februar begann, wird in den kommenden Wochen weitergeführt. Begleitend zu den vielen Ausstellungen und Arbeiten, sowie Interventionen im öffentlichen Raum ermöglicht sie Listening Sessions, Symposien sowie eine Flugblattwerkstatt. Sie lädt Besucher*innen sowie Bürger*innen ein zu einem offenen Austausch und dazu, den bekannten Orten und Straßen der Stadt mit neuem Wissen zu begegnen.
WANN: Die Biennale für Freiburg “Das Lied der Straße” läuft bis Sonntag, den 30. Juli.
WO: Freiburg.