Gemeinsam einsam
Doug Aitken im Schauwerk Sindelfingen

20. Oktober 2023 • Text von

Die Menschen in Doug Aitkens Arbeiten sind in Gemeinschaft und doch wirken sie allein. Leere Blicke verlaufen sich in leuchtenden Bildschirmen. Die Einzelausstellung “Doug Aitken. Return to the Real” im Schauwerk Sindelfingen versammelt multimediale Werke des US-amerikanischen Künstlers, in denen er sich mit Isolation, Einsamkeit und der Beziehung zwischen Mensch, Technologie und Natur auseinandersetzt. 

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Doug Aitken, migration (empire), 2008, Film still, © Doug Aitken, Courtesy of the artist; 303 Gallery, New York; Galerie Eva Presenhuber, Zürich; Victoria Miro, London; Regen Projects, Los Angeles.

Immer wieder leuchten vier transparente, lebensgroße Figuren auf. In ihren Körpern pulsieren bunte, bläuliche Lichter, die an die Oberflächen von digitalen Bildschirmen erinnern. Die Lichtsubjekte befinden sich im Ausstellungsraum verteilt, nah beieinander und doch für sich. Sie verbindet die unmittelbare Andeutung bzw. Anwesenheit eines Smartphones. Die Personen scheinen erschöpft und ausgelaugt, die Hand am Ohr oder den Kopf auf den Tisch gelegt, der leuchtende Bildschirm direkt neben dem Kopf. Ein überspitztes Abbild unserer Gesellschaft oder die Beobachtung der Realität?

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Doug Aitken, All doors open, 2019, © Doug Aitken, Courtesy the artist; Galerie Eva Presenhuber, Zürich / Wien und 303 Gallery, New York, Foto: Frank Kleinbach.

In seinen Skulpturen und Videoarbeiten beschäftigt sich Doug Aitken immer wieder mit der komplexen Beziehung zwischen Mensch, Technologie und Natur. Die Ausstellung “Doug Aitken. Return to the Real” versammelt zahlreiche Objekte und zwei raumgreifende Videoinstallationen im Schauwerk Sindelfingen. Zum ersten Mal zu sehen ist die Videoarbeit “Wilderness”, die über den Zeitraum von zweieinhalb Jahren während der Covid-19-Pandemie an der kalifornischen Küste entstand. Die kreisförmig angeordnete 360° Grad Projektion umgibt Betrachter*innen gänzlich und lässt sie förmlich in das Geschehen eintauchen.

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Doug Aitken, Wilderness, 2022, © Doug Aitken, Courtesy of the artist; 303 Gallery, New York; Galerie Eva Presenhuber, Zürich; Victoria Miro, London; Regen Projects, Los Angeles, Foto: Frank Kleinbach.

Sonnenlicht erstreckt sich über das Meer. Irgendwo zwischen Dokumentation und fiktionalem Narrativ erscheinen Menschen unterschiedlichster sozialer Schichten auf der Leinwand – jung, alt, arm und reich. Sie alle sind an den Strand gepilgert, angezogen vom warmen Licht der Sonne. Als wären Sie Teil einer geheimen Choreografie, beginnen die Individuen melodisch zu singen, einfache Sätze, die in Bezug zum Sonnenauf- und Untergang stehen. Eingehüllt in atmosphärischem Sound starten Sie zu tanzen, jede*r für sich und doch irgendwie gemeinsam.

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Doug Aitken, Wilderness, 2022, © Doug Aitken, Courtesy of the artist; 303 Gallery, New York; Galerie Eva Presenhuber, Zürich; Victoria Miro, London; Regen Projects, Los Angeles, Foto: Frank Kleinbach.

Die raumfüllende Musik und ein schneller werdender Schnitt lassen die Spannung steigen. Feuer verdichtet die Luft mit Rauch. Jedes Jahr bedrohen Waldbrände Mensch und Natur in Kalifornien. Davon unberührt und als wären sie Teil eines gemeinsamen Rituals, ziehen die Akteur*innen auf den Leinwänden ihre Smartphones aus den Taschen. Leere, leuchtende Bildschirme ziehen die Blicke der Menschen auf sich, während die Sonne langsam untergeht. Den Betrachter*innen im Ausstellungsraum wird ein Spiegel vorgehalten sobald sie mit dem eigenen Handy bewaffnet das Geschehen auf den Leinwänden filmen.

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Doug Aitken, migration (empire), 2008, © Doug Aitken, Courtesy of the artist; 303 Gallery, New York; Galerie Eva Presenhuber, Zürich; Victoria Miro, London; Regen Projects, Los Angeles, Foto: Frank Kleinbach.

Während in “Wilderness” die Menschen in den Mittelpunkt der Betrachtung rücken, ist es in Doug Aitkens Videoarbeit “migration (empire)” ihre Abwesenheit, die irritiert. Drei an amerikanische Billboards erinnernde, hintereinander geschaltete Videoprojektionen zeigen Szenen eines Roadtrips von der Westküste zur Ostküste Nordamerikas. Brücken, Flüsse und Highways reihen sich aneinander. Generische Motels erscheinen an den Straßen, in deren Zimmer sich surreale Szenen abspielen.

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Doug Aitken, migration (empire), 2008, Film still, © Doug Aitken, Courtesy of the artist; 303 Gallery, New York; Galerie Eva Presenhuber, Zurich; Victoria Miro, London; Regen Projects, Los Angeles.

Zwei Pfauen, zahlreiche Hasen, ein Stier, ein Pferd, eine Eule – wilde Tiere bevölkern die sonst leeren Motelzimmer. Sie scharren mit den Hufen, rempeln gegen das Mobiliar und sitzen im Waschbecken. Das Geschehen auf den Leinwänden irritiert auf subtile Art und Weise. Von Menschen fehlt jede Spur, die Überbleibsel ihrer Zivilisation werden von deplatziert wirkenden Tieren übernommen, deren Lebensraum kein Motel sein sollte.

Doug Aitken wirft mit seinen poetischen Arbeiten große Fragen über unser Zusammenleben auf: Wie kommunizieren wir miteinander? Wie leben wir als Gesellschaft zusammen? Was ist unser Verhältnis zur Natur? Was passiert, wenn die Menschheit verschwindet? Antworten darauf muss jede*r selbst finden. Am Ende des Ausstellungsbesuches wird das Handy jedoch vielleicht erst mal weggepackt.

WANN: Die Ausstellung “Doug Aitken. Return to the Real” ist bis zum 01. April zu sehen.
WO: Schauwerk Sindelfingen, Eschenbrünnlestraße 15, 71065 Sindelfingen.

Vielen Dank für die Presse-Einladung nach Sindelfingen und die Übernahme der Reisekosten.