Visueller Aktivismus mit Kamera
Zanele Muholis radikales Statement von Identität und Widerstand

6. September 2021 • Text von

Zanele Muholi ist die Ikone der zeitgenössischen afrikanischen Fotografie. Die fotografischen Arbeiten der Südafrikanerin, die sich zwischen Dokumentation und Kunst bewegen, strotzen vor Energie und Kraft. Nachdem ihre Werke in der Tate Modern London in einer umfangreichen Retrospektive gezeigt wurden, sind sie nun im Sprengel Museum Hannover zu sehen. Mit ihren ausdrucksstarken Fotografien fordert Muholi den heteronormativen Blick heraus. Zugleich lehrt sie einen neuen visuellen Code, wobei unsere Vorstellung von dem, was anschauenswert ist, verändert und erweitert wird. (Text: Sophie Louisa Reischies)

Zanele Muholi: “Independant”, from the series “Only half the picture”, 2005, Chromogener Farbabzug, 52 x 70 com. © Zanele Muholi. Courtesy of STEVENSON, Cape Town/Johannesburg and Yancey Richardson, New York.

Das Sprengel Museum Hannover zeigt Muholis Arbeiten aus über zwei Jahrzehnten unter dem Titel „Zazise“. In der Muttersprache der Künstlerin, dem isiZulu, bedeutet das so viel wie „mach dich bekannt“ oder „informiere dich“. Der Titel kommt einer Aufforderung gleich, in der sich der visuelle Aktivismus der 1972 geborenen Künstlerin widerspiegelt. Muholis Prägung aus dem Bereich der Reportage- und Dokumentarfotografie, mit der sie anfangs als junge Studentin Geld verdiente, ist deutlich sichtbar. Bis heute setzt sie mit ihren Fotografien politische Statements für die Diskriminierten, Ausgegrenzten und Entrechteten.

Seit den frühen 2000er Jahren dokumentiert Muholi das Leben von Mitgliedern und Mitstreitern der Schwarzen LGBTQ*-Community Südafrikas, eine Arbeit, die sie als ihr „lebenslanges Projekt“ bezeichnet. Es entstand die Serie „Faces and Phases“ mit über 500 Schwarz-Weiß-Fotografien, die in Südafrika und Ländern wie Kanada oder Großbritannien fotografiert wurden, da die Aktivistin Muholi aufgrund von Anfeindungen in ihrem Heimatland gezwungen ist, überwiegend im Ausland zu arbeiten. Die Fotoserie steht im Zeichen von Gleichberechtigung, Schönheit und Würde von LGBTQ*-Personen.

Zanele Muholi: “Miss Lesbian II, Amsterdam”, from the series “Miss (Black) Lesbian, 2009. Chromogener Farbabzug, 76,5 x 50,5 cm, © Zanele Muholi. Courtesy of STEVENSON, Cape Town/Johannesburg and Yancey Richardson, New York. // Zanele Muholi: “Zanele Muholi, Thembisa, Johannesburg”, from the Series “Faces and Phases”, 2014. Silbergelatineabzug. 76,5 x 50,5 cm. © Zanele Muholi. Courtesy of Courtesy of STEVENSON, Cape Town/Johannesburg and Yancey Richardson, New York.

Die nicht-binäre Muholi versteht sich als WSW und Teil des LGBTQ*-Kollektivs, das Hassverbrechen und Homophobie ausgesetzt ist und Hoffnungen hegt. Ihre Abschlussarbeit im Studiengang „Documentary Media“ an der Ryerson University Toronto widmete sie der visuellen Geschichte der Schwarzen lesbischen Identität und Politik im Südafrika nach der Apartheit. Seit ihrer Kindheit konnte Muholi verfolgen wie lesbische Frauen und schwule Männer in den 1970er Jahren um Sichtbarkeit und rechtliche Gleichstellung kämpften, eine für sie prägende Erfahrung. In Südafrika führte dies 1996 zu einem Schutz der Rechte von LGBTQ* durch die Verfassung.

Etwa zeitgleich zu Muholis Studienabschluss entstanden die im Sprengel Museum gezeigten Serien „Miss Lesbian“ und „Being (T)here“ von 2009 aus dem Amsterdamer Rotlichtviertel, die Sex, Geschlecht und Macht thematisieren. Vor allem kulturell dominante Bilder von Schwarzen Frauen, Stereotypen und Fremdzuschreibungen, mit denen White-Supremacy-Gesellschaften diese wahrnehmen, werden von ihr in Fotografie-Serien wie „Massah and Minah“ (2008) hinterfragt. Dort inszeniert Muholi das unfreie Leben von Schwarzen Angestellten in weißen Haushalten. Diese Serien zeigen, dass die Kamera für die gelernte Dokumentarfotografin zum Instrument wurde, in andere Realitäten einzutauchen. Das fotografische Bild ist für Muholi immer auch Dokument, Beweismittel und Illustration. Ein Beitrag zum sozialpolitischen Diskurs. Dies macht es schwierig, eine neutrale Lektüre von Muholis Bildern vorzunehmen oder diese als reine Kunstwerke zu betrachten. Jedes Bild scheint eine politische Botschaft zu senden.

Zanele Muholi: “Daveyton, Johannesburg, RAPE and MURDER II”, from the series “Blood Mandalas”, 2013, Tintenstrahldruck, ca. 50 x50 cm. © Zanele Muholi. Courtesy of STEVENSON, Cape Town/Johannesburg and Yancey Richardson, New York.

Im Zentrum ihrer fotografischen Arbeit steht jedoch Muholi selbst: Me, myself and I. In den Serien „Only Half the Picture“ (2002-2006) und „ZaVa“ holt die Künstlerin ihren Körper als Material vor die Kameralinse: nackte Schwarze Haut, Schwarzes Haar, Hände, Brustwarzen, gestyltes Schamhaar, Menstruationsblut auf einem Tampon. Die Fotografien konfrontieren mit Muholis Körperlichkeit, intimen Momenten zwischen Frauen und Tabus. Dabei verleiten sie zum Schmunzeln. In der Schwarz-Weiß-Serie „Somnyama Ngonyama“ (Heil der dunklen Löwin, seit 2012), aufgenommen auf verschiedenen Kontinenten, nimmt uns Muholi mit auf eine Reise zur Selbstdefinition.

Zentrale Themen sind Muhlis Schwarzsein und ihre Geschlechtsidentität. In ihrer performativen Selbstdarstellung bedient sie sich Requisiten wie Kleidung, Halsschmuck oder Kopfschmuck und schlüpft in verschiedene Charaktere und Rollen vor monochromen, meist hellen Hintergründen, womit sie ihre dunkle Hautfarbe – bewusst – noch stärker betont. Auf einigen der Selbstporträts erinnert Muholi an ägyptische Königinnen, Massaikriegerinnen oder afrikanische Skulpturen. Die fesselnden Fotografien, die im Sprengel Museum im Großformat präsentiert werden, verweisen auf die Ästhetik von Schwarz-Weiß Modefotografien eines F.C. Gundlach und die klassische Schwarz-Weiß Porträtfotografie, aber auch die Selfie-Kultur des 21. Jahrhunderts.

Installationsansicht Zanele Muholi: “Zasise”, Sprengel Museum Hannover, 2021. Foto: Sophia Louisa Reischies.

Einige Fotografien besitzen die Eindringlichkeit und schöne Ernsthaftigkeit großer Kunstwerke. Muholis kraftvolle, ermächtigende Selbstinszenierungen erinnern an die zahlreichen Selbstporträts der mexikanischen Surrealistin Frida Kahlo. Die Parallelen zwischen Kahlos gemalten Surrealismen und Muholis fotografisch-inszenierten, performativen Selbstbildnissen sind vielfältig. Beide Frauen arbeiten aus ihrer gesellschaftlichen Isolation aufgrund von Krankheit und Diskriminierung heraus und thematisieren ihre seelischen und körperlichen Traumata, wobei es ihnen gelingt, ihre Stärke zu betonen. Ihre Selbstporträts bekunden: Sie sind das Subjekt, das sie am besten kennen. Muholi zeigt das Gesicht einer starken, Schwarzen Frau, die ohne Scham vor die Kameralinse tritt und gelernt hat, sich mit der Kamera zu entdecken; eine Kämpferin, deren ausdrucksstarke Augen dem Blick des Betrachters standhalten. Einige Titel von Muholis ausgestellten Fotografien wie „Self“ oder„Independent“ sprechen in dieser Hinsicht für sich.

Muholis Werk führt vor Augen, was Gegenstand des Sehens werden darf – wen oder was ich sehe, ist abhängig von kulturellen Bedingungen. Das heißt, dass das Kulturelle visuell und unsere Sehvorgänge kulturell verfasst sind. In ihren fotografischen Inszenierungen gelingt es Muholi somit die Ethik des Sehens zu verändern. Sie zelebriert nicht-normative Schönheit, gleichgeschlechtliche Intimität und beeinflusst das kulturell dominante Bild von Schwarzen Frauen. Dass ihre Arbeiten insbesondere in Südafrika mit Sehgewohnheiten brechen, belegt die Aussage der südafrikanische Ministerin Lulu Xingwana, die Muholis Fotografien im Rahmen einer Ausstellung in Johannesburg als „immoral, offensive and going against nation-building“ deklarierte.

Zanele Muholi: “Untitled”, from the series “Only half the picture”, 2006, Chromogener Farbabzug, 41 x 55 cm. © Zanele Muholi. Courtesy of STEVENSON, Cape Town/Johannesburg and Yancey Richardson, New York.

Durch Muholis „visuellen Aktivismus“ sind fotografische Arbeiten mit einem ganz eigenen Stil und einer ausdrucksstarken Ästhetik entstanden, die Wiedererkennungswert besitzen. Die Stärke und Originalität der Südafrikanerin liegt in der von ihr praktizierten Form der Fotoerzählungen und (Selbst-)Erfahrungsweitergabe.  Ihre Serie von Acryl-Gemälden aus den Jahren 2020-2021 erinnert hingegen stark an die figurative Malerei von Amoako Boafo, der derzeit auf dem internationalen Kunstparkett gefeiert wird. Wie die Fotoarbeiten der Künstler Clifford Prince King, Derrick Woods-Morrow oder Emerson Ricard, tragen auch Muholis politisch aufgeladene, fotografische Arbeiten zu einem wachsenden visuellen Archiv von Schwarzen queeren und Trans-Identitäten bei. Im November 2021 holt der Gropius Bau das Werk der Südafrikanerin mit einer umfassenden Einzelausstellung nach Berlin.

WANN: Die Ausstellung läuft noch bis Sonntag, den 10. Oktober. 
WO: Sprengel Museum Hannover, Kurt-Schwitters-Platz 1, 30169 Hannover