Internet Explorer: Kunst online #14
Die Welt ist eine Scheibe

8. Februar 2022 • Text von

Hier kommen neue Tipps für die Realitätsflucht: Im neuen Video von Sol Calero und Early Labyrinth rebellieren die Roboter und die Virginia Bianchi Gallery lässt euch ins posthumane Zeitalter eintauchen. Außerdem zeigt die Halle für Kunst Steiermark eine Ausstellung zum Thema „Zuhause“, die ihr passend dazu in den eigenen vier Wänden erkunden könnt. Auf der digitalen Plattform des Centre d’Art Contemporain Genève wird die Rasur zur surrealen Performance.

Sol Calero & Early Labyrinth, Set von „Severed Heads Can’t Sing”, 2022, CAN Centre d’art Neuchâtel, Schweiz, Video. Foto: Sebastian Verdon.

Wer sich bei diesem grauen und tristen Februarwetter nach ein wenig Farbe sehnt, schaut sich am besten das neue Video zur Debütsingle von Early Labyrinth an, das in Zusammenarbeit mit der Künstlerin Sol Calero entstanden ist. Das Musikvideo mutet auf den ersten Blick wie ein futuristisches Puppentheater an. Blecherne Roboter und bunt kostümierte Marionetten bewegen sich zu vielschichtigen Rhythmen in einem farbenreichen Setting, das mitunter an Sofia Coppolas Film „Marie Antoinette“ erinnern könnte. Doch Vorsicht, der Schein trügt. Trotz der verspielten Ästhetik und den soulig bis funkigen Rhythmen wird schnell die Hierarchie zwischen Mensch und Maschine klar. Die Roboter bereiten für die Menschen Frühstück vor, kümmern sich um den Haushalt und massieren die Füße der undankbaren Oberschicht. Diese entspannen auf der Yacht und schlürfen Sekt oder bereichern sich selbst durch falsche Philanthropie. Doch schon bald kippt die Stimmung. Die Roboter beginnen zu rebellieren und es wird blutig in der bonbonbunten Welt. „Severed Heads Can’t Sing“ ist während einer mehrwöchigen Residency im Centre d’art Neuchâtel in der Schweiz entstanden. Dort wurden im Rahmen der Ausstellungsreihe „Indice Ultraviolet: Décalage vers le rouge“ Sets, Requisiten und Kostüme im Ausstellungsraum gebaut. Diese erinnern an Sol Caleros immersive Environments mit ihren farbenreichen malerischen Elementen und bilden einen Gegenpol zu den gesellschaftskritischen Songtexten von Early Labyrinth.

Ausstellungsansicht „Rechannelled Corporealities” von Sofia Braga und Martina Menegon in der Virginia Bianchi Gallery, 2022.

Die Virginia Bianchi Gallery ist ein experimenteller digitaler Kunstraum, der sich in seinem Programm auf aufstrebende Medienkünstler*innen fokussiert. Die Dialogausstellung „Rechannelled Corporealities“ mit aktuellen Arbeiten der Künstlerinnen Sofia Braga & Martina Menegon kann seit Ende Januar in einem neuen virtuellen Raum auf Mozilla Hubs besucht werden. Die Arbeiten der beiden Künstlerinnen kreisen thematisch um den weiblichen Körper im posthumanen Zeitalter, in dem cleane Technologie und weiche Körper immer mehr miteinander verschmelzen. Nachdem man seinen Benutzernamen eigegeben und seinen Avatar für den Online-Rundgang ausgewählt hat, wird man vor ein graues Ausstellungshaus weitergeleitet. Dieses befindet sich in einer düsteren Umgebung, wo weiße Quadrate wie Schneekugeln von oben herabfallen und geheimnisvolle Sounds eine dystopische Atmosphäre erzeugen. Den Auftakt der Ausstellung bilden die virtuellen Skulpturen von Martina Menegon aus ihrer Serie untouched“. In den grotesk anmutenden anthropomorphen Gebilden verhandelt die Künstlerin das Verhältnis zwischen physischer und virtueller Körperlichkeit. Im zweiten Raum trifft man auf die Installation Forehead Vulva Channel Research“ von Sofia Braga. Die Künstlerin betrachtet darin die sozialen Auswirkungen von Webinterfaces und stellt Fragen zum subversiven Charakter zentralisierter Social-Media-Plattformen. Neben einem Video findet man hier auch zwei QR-Codes, die einen zu Gesichtsfiltern auf Instagram weiterleiten, mit denen man sich selbst in einen Cyborg verwandeln kann.

Larry Achiampong, „The Expulsion“, 2019, HD-Film, Farbe, Ton, 15:45 Min. Courtesy der Künstler und LUXDistribution, London. Foto: kunst​-doku​men​ta​ti​on​.com

Noch bis 20. Februar 2022 zeigt die Halle für Kunst Steiermark die multimediale Gruppenausstellung „Domestic Drama“. Im Zentrum steht die universelle Bedeutung des Begriffs „Zuhause“. Dort offenbaren sich soziale, kulturelle und ökonomische Gegebenheiten sowie persönliche Lebensverhältnisse. Die eigenen vier Wände gewannen zu Beginn der Corona-Pandemie schlagartig an Bedeutung, als sich die Grenze zwischen Rückzugsort und Außenwelt zunehmend auflöste und sich unser privates sowie berufliches Leben vorwiegend daheim abspielte. Umso passender also, dass die Halle für Kunst Steiermark begleitend zu ihrer Ausstellung einen digitalen Rundgang konzipierte, mit dem jedes Werk von Zuhause aus besichtigt werden kann. Die Online-Tour funktioniert hier ähnlich wie ein Audioguide. Man findet zu jeder künstlerischen Position Werksabbildungen und dazu detaillierte Beschreibungen, die man sich parallel zum Betrachten anhören kann. 

Gezeigt werden Arbeiten der Künstler*innen Larry Achiampong, Ayo Akingbade, Aram Bartholl, Camille Blatrix, Oscar Enberg, Vera Frenkel, Nigel Gavus & İlkin Beste Çırak, Antony Gormley, Mona Hatoum, Kaarel Kurismaa, Nicola L., Bertrand Lavier, Olu Ogunnaike, Laura Põld, Bruno Zhu. 

Roxymore, Josh Johnson „DE Centered [Rework]”, 2021-2022, HD video file, 5 Minuten, 38 Sekunden. Courtesy die Künstler*innen, REIF & Centre d’Art Contemporain Genève. © REIF, 202, 2022. Film-Still © rRoxymore, Josh Johnson, REIF.

Die „5e étage“ ist ein virtueller Raum für audiovisuelle Gegenwartskunst des Centre d’Art Contemporain Genève. Derzeit kuratiert das Kollektiv REIF mit seinem Projekt „Sonic Catharsis“ den digitalen Space. Das Hauptinteresse von REIF liegt in Veranstaltungen und Happenings, die verschiedene Ausdrucksformen des Denkens, der Wahrnehmung und der Identität umfassen. Für die Januarausgabe haben sich die Produzentin rRoxymore und der Choreograf Josh Johnson zusammengetan und gemeinsam eine Videoarbeit realisiert, die uns sowohl musikalisch als auch visuell in einen repetitiven Sog ziehen will. Die Musik in „DE CENTERED [Rework]“ verweigert sich bewusst der Kick-Drum, die in der elektronischen Musik das Publikum lenkt. Stattdessen zerstreut sich die Musik in atmosphärische Rhythmen, während man Johnson dabei beobachtet, wie er sich in einem scheinbar unendlichen Prozess die Haare abrasiert, die immer wieder nachwachsen, um erneut abgeschnitten zu werden. Seine Augen sind dabei übertrieben vergrößert und die Bewegungen seiner Choreografie überbetont, wodurch die alltägliche Prozedur einen surrealen Charakter erhält.