Berührung auf Distanz VALIE EXPORT in der Kunsthalle Baden-Baden
18. November 2020 • Text von Madeleine Freund
Eine Remote Review oder Ausstellungsbesprechung auf Meta-Ebene: Die Staatliche Kunsthalle Baden-Baden ehrt VALIE EXPORT mit einer Einzelausstellung zu ihrem 80. Geburtstag. Unter dem Motiv der „Berührung“, das sowohl körperlich als auch im Sinne medialer Grenzen zu verstehen ist, sind Werke aus fünf Jahrzehnten präsentiert.
Als einer der wichtigsten internationalen Pionierinnen feministischer Kunst seit den 1960er Jahren dient der Körper VALIE EXPORT in Performances, konzeptuellen Fotografien und Videos, um die Rolle der Frau in patriarchal-kapitalistischen Systemen zu analysieren. Ihre Werke liefern durch die kritische Beschäftigung mit sozialen Machtstrukturen, Repräsentationsformen und zwischengeschlechtlicher Kommunikation einen bedeutenden feministischen Gegenentwurf zur traditionellen Gesellschaftsordnung, indem sie Strategien der Subversion und Sichtbarmachung entwickelt. Die Ausstellung in Baden-Baden versammelt unter dem Motiv der „Berührung“, das sowohl körperlich als auch im Sinne medialer Grenzen zu verstehen ist, Installationen, Videos und Fotografien von EXPORT aus fünf Jahrzehnten.
VALIE EXPORT ist im Mai 80 Jahre alt geworden, weshalb sowohl die Staatliche Kunsthalle Baden-Baden als auch das Lentos Kunstmuseum Linz je eine Retrospektive zu Ehren der Künstlerin ausrichten. Beide Ausstellungshäuser mussten die geplanten Eröffnungen aufgrund des Lockdowns im Frühjahr verschieben, nun sind sie zwar eröffnet, aber beide Museen wieder geschlossen. Das ist eine bedauerliche Tatsache, die gerade viele Künstler*innen betrifft, deren Ausstellungen – seien sie noch so wichtig, relevant, überfällig – aufgrund der Schließungen zur Eindämmung der Covid-19 Pandemie nur wenige Besucher haben werden.
In dieser Zeit kommt also in Hinblick auf Vermittlung und Nachhaltigkeit medialen Berichterstattungen eine besondere Bedeutung zu, aber auch der Journalismus steht vor Herausforderungen, wenn Ausstellungsbesprechungen nicht mehr auf der realen Erfahrung des Ausstellungsbesuches beruhen. Diese „Remote Review“ basiert auf einem persönlich kommentierten Video-Rundgang des Kurators Hendrik Bündge durch die Ausstellung „Fragmente einer Berührung“ in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden. Das Wegfallen eines multisensorischen Ausstellungserlebnisses, das innerhalb eines individuellen Zeitrahmens stattfindet, wie es insbesondere für EXPORTs raumgreifende, kinetische Installationen und Räume mit mehreren Video-Arbeiten notwendig wäre, verändert die Erfahrung und Rezeption der Werke.
Die Ausstellung zentriert sich um die titelgebende Installation „Fragmente der Bilder einer Berührung“ aus motorbetriebenen Glühbirnen, die in dem großen verdunkelten Hauptraum abwechselnd von der Decke in Glaszylinder befüllt mit Altöl, Milch und Wasser eintauchen. In einem Interview sagte EXPORT: „Fragmente der Bilder einer Berührung ist eine filmische Arbeit, ein reiner Schwarzweißfilm. Das war der Ausgangspunkt: Schwarz ist das Öl, Weiß ist die Milch und das Durchsichtige ist die Perforation, das Wasser. Für mich ist das ein Film, es gibt eine Bewegung und die (…) berühmten Filmkader, und die gehen immer auf und machen das filmische Bild.“ Die 18 Glaszylinder beziehen sich auf die Fragmente eines Super-8 Films, der 18 Bilder pro Sekunde braucht, um den Augen eine vollständige Bewegung zu suggerieren. Das raumgreifende Werk bildet den Auftakt sowie das Ende des Rundgangs und legt den Fokus besonders auf EXPORTs medienreflexive Arbeitsweise.
Neben einem eigens für die Ausstellung konzipierten Kino in dem vier Spielfilme der Künstlerin gezeigt werden und einem Raum mit mehreren frühen Video-Arbeiten, wie ihrem berühmten “TAPP und TASTKINO” (1968), ist auch der Expanded Movie „Splitscreen – Solipsismus“ von 1968 zu sehen, in dem ein Boxer vermeintlich gegen sich selbst ankämpft, und welches beispielhaft für EXPORTs Expanded Cinema steht, mit dem sie den klassischen Begriff und die Grenzen des Kinos revolutionär erweiterte.
Eine weitere Rauminstallation besteht aus drei riesigen Nadeln, die von der Decke bis kurz über den Boden schießen und deren lautes, mechanisches Rattern eine bedrohliche Wirkung hat. EXPORTs Nadeln nähen allerdings nicht, sondern stehen als Metapher für die vielen als stumpfsinnig empfundenen Arbeiten, die überwiegend von Frauen ausgeführt werden. Das ständige Auf und Ab kann als die niemals endenden Versuche von Frauen aus aller Welt, aus ihren sozialen Grenzen auszubrechen, verstanden werden und als eigenständige Subjekte in ihrer Gesellschaft wahrgenommen zu werden.
Die Ausstellung zeigt auch einige ikonische Fotografien von EXPORT, darunter „BODY SIGN ACTION“ (1970), in der sich die Künstlerin einen Strumpfhalter auf den Oberschenkel tätowieren ließ, und ihre bekannte Serie der „Körperkonfigurationen“ (1976-1982), in der sie Machtstrukturen im urbanen Raum mithilfe ihres Körpers im Kontrast zur Architektur offenlegte, und die sie bereits 1980 im Österreichischen Pavillon auf der Venedig Biennale zeigte. Zu EXPORTs konzeptuellen Arbeiten zählt „Ontologischer Sprung/Arm“ (1974), in der sie die Abbildhaftigkeit der Fotografie innerhalb mehrerer Bildebenen untersuchte. In der Philosophie bezeichnet die Ontologie die Lehre vom Seienden, die sich mit den Grundstrukturen der Wirklichkeit beschäftigt. Die Frage nach der Wirklichkeit wird anhand der verschiedenen Bildebenen und durch den abbildenden Apparat offenbart.
EXPORT beschäftigte sich fortwährend mit dem Körper und seinem Abbild, formal oft wiedergegeben als Fragmentierung oder Verdoppelung, um der Bedeutung von Wirklichkeit, Repräsentation, Identität und den Verschiebungen innerhalb dieser Ebenen der Berührung nachzugehen.
WANN: Die Ausstellung ist bis Donnerstag, 31. Dezember zu sehen.
WO: Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, Lichtentaler Allee 8a, 76530 Baden-Baden