ASMR für die Seele

10. Oktober 2021 • Text von

Ausstellung, Performance und Konzert. „ton not. not ton“ heißt die Akkumulation der Klänge, die in der Kunsthalle Münster objekthaft den Raum erfüllen. Irgendwo zwischen dem Jetzt, dem Davor und Danach lässt sich in akustischen Versuchsanordnungen Vergänglichkeit erfühlen. In einer Ausstellung, die über ihren Besuch hinaus nachklingt.

Tomoko Sauvage, WOS Festival 2018, Foto: Leo Lopez.

Eine Frau in eleganter Kleidung mit langem geflochtenem Zopf sitzt auf dem Boden. Es ist die japanische Musikerin Tomoko Sauvage. Vor ihr stehen mehrere mit unterschiedlichen Flüssigkeiten gefüllte Schalen, eine davon durchsichtig, von oben beleuchtet. Langsam wandern ihre Hände durch die Schalen. Mittels Unterwassermikrophone hören wir es blubbern, knacken und quietschen. Neben ihr eine Soundanlage, auf der sie die sich aus den Bewegungen ergebenden Töne abmischt. Immer wieder bedient sie sich Hilfsmitteln wie Styroporplatten oder Tüchern, die sie über den klingenden Schalen auswringt. Das Geräusch der auf die Wasseroberfläche treffenden Tropfen erinnert dabei an die hohen Töne eines Glockenspiels. Rundum sitzen die Besucher*innen der Ausstellungseröffnung „ton not. not ton“ in der Kunsthalle Münster. Sie lauschen der meditativen Symphonie aus Klängen, die sich aus dem Spiel auf den instrumentalen Schalen ergibt und sind gefangen im magisch anmutenden Augenblick.

Tomoko Sauvage, “Full of Noises”, Foto: Stephen Harvey.

Wenig später wechselt das Setting. Sven-Åke Johansson tritt in Anzug und mit Sonnenbrille wie ein Rockstar auf die Bühne. Das Publikum trägt nun Schutzbrillen, die an den Chemieunterricht erinnern und die folgende Performance wie ein Experiment wirken lassen. Innerhalb der Installation „Safe Crash“ von Florian Bräunlich tobt sich der Schlagzeuger aus, streichelt mit den Drumsticks das Trommelfell. Die Drumsticks aber sind aus Porzellan unterschiedlicher Stärke und je mehr Druck auf die Trommeln ausgeübt wird, desto leichter brechen die Stöcke, zerbersten am Rand der Trommeln in eine Vielzahl von Bruchstücken. Manchmal wirft Johansson sie auf am Boden liegende Becken, streicht damit über die gemauerten Wände oder lässt sie auf den Trommeln liegen, sodass sie beim nächsten Schlag auf und ab springen, selbst Töne erzeugen. Zuletzt wandert der Musiker umher und versetzt die am Boden liegenden Becken in Schwingung, lässt sie rotieren und tanzen bis sie unter lautem Krachen erneut zu Boden gehen. So arbeitet er sich an den Objekten ab, macht diese in allen Facetten hörbar und spürbar.

Florian Bräunlich, “Safe Crash” (2020), Performance Sven-Ake Johansson, Porzellan, Holzpodest, Lack, Beckenständer, Standtrommel, Scheinwerfer, Foto: Maik Gräf.

Eine letzte Pause bevor das dritte Konzert beginnt. Mona Steinwidder singt, setzt Synthesizer und Klarinette ein, erzeugt Töne, lässt sie sich wiederholen. Es sind Klänge, die wie ein Bumerang zurückkehren, sich sanft auf die Ohren legen, anschwellen, abschwellen bis sie leiser werden und gänzlich verklingen. Unter dem Namen “Museum Of No Art” schafft sie akustische Visionen fernab von klassischen Bildern.

Museum of No Art, Foto: Natalia Sidor.

was für künftige Besucher*innen der Ausstellung bleibt sind Relikte der Performances und Konzerte, die sich besichtigen lassen, aber auch skulpturale Objekte wie die Keramiken von Gesa Troch. Sie erinnern an Überbleibsel von Feuerwerkskörpern, leegeschossene Batterien, und erzeugen sogleich geräuschvolle Explosionen in den Köpfen der Betrachter*innen. Bei Betreten der Ausstellung werden diese aber zunächst von einer Wandarbeit von Hannah Weinberger empfangen, in der verschriftlichte Töne die Wände bedecken, ein langgezogenes Oh von einer rotierenden Lack-Dubplate abgespielt in der Ausstellungshalle erklingt. Weinberg widmet sich dabei der Onomatopoesie, der sprachlichen Lautmalerei und findet über 100 Worte, die den Klang der Sprache beschreiben. Das langgezogene Oh entstammt der Arbeit „OH“ von Saskia Senge aus dem Jahr 2012 und setzt sich aus den darauf enthaltenen Audiospuren „NULL“ und „OH“ zusammen. Je länger die Ausstellung läuft, desto undeutlicher sind die Worte abgrenzbar, fügen sie sich ineinander und werden nunmehr zu einem undeutlichen Rauschen.

Gesa Troch, “Cracker 1”, “Cracker 2”, beide 2017, Keramik, glasiert, Foto: Hubertus Huvermann.

„ton not. not ton“ ist Ausstellung, Performance und Konzert zugleich. Das Spiel mit dem Klang ist auch ein Spiel mit der Zeit, denn es gibt ein Davor, ein Währenddessen und ein Danach. Die akustischen Interventionen also sind vergänglich, allein die objekthaften Relikte zeugen von ihrer Existenz. Erfassen lassen sich die Werke ganz und gar sinnlich, nicht nur mit tastendem Auge, sondern auch mit empfindsamem Ohr. Eine Ausstellung wie eine synästhetische Versuchsanordnung, ein alchemistisches Experiment, das als immersives Raumerlebnis glückt.

WANN: Die Ausstellung „ton not. not ton“ läuft bis Sonntag, den 17. Oktober.
WO: Kunsthalle Münster, Hafenweg 28, 5. Stock, 48155 Münster.