The Avatar is present
Computerspiele als Kunst

23. Dezember 2020 • Text von

Nicht erst seit diesem pandemischen Jahr haben Künstler*innen sich mit dem Medium Computerspiel reflexiv auseinandergesetzt. Seit es digitale Spiele gibt, wurden diese ge-crackt, umprogrammiert und es wurde ihre Ästhetik aufgegriffen. Wenn alle Museen und Galerien geschlossen sind, kann man auch gute Kunst in den digitalen Arkaden des Internets finden.

Hunter Jonakin: Jeff Koons Must Die!!!, 2011, Gameplay.

Die Prämisse des kleinen Spiels ist schnell erklärt: Die zu spielende Figur befindet sich nachts in einem Museum, der Ausgang ist verschlossen. Gezeigt wird eine Retrospektive von Jeff Koons. Und man hat einen Raketenwerfer dabei. Der amerikanische Medienkünstler Hunter Jonakin kreiert in “Jeff Koons Must Die!!!” einen virtuellen Ausstellungsraum, in dem sich der/die Spieler*in, im Stil eines Ego-Shooters, frei bewegen kann. Nutzt man seine Waffe, um Skulpturen in kleine Teile zu sprengen, wird man zunächst von Museumsaufsichten, dann von den Kuratoren und schließlich vom Meister selbst attackiert. Im Original ist das Spiel im Gehäuse einer klassischen Arcade-Konsole untergebracht, der Künstler bietet seine Arbeit aber auch als Download an. Jonakin nutzt das Medium Computerspiel für einen klugen Kommentar auf die Kunstwelt, deren brutale Mechanismen und Ausschlussprinzipien. Außerdem ist es durchaus unterhaltsam, die glänzen Oberflächen Koons brennen zu lassen.

Nicht lange nachdem Computerspiele erst den Weg in urbane Freizeithallen, in die Kinderzimmer und schließlich in die Hosentaschen eines jeden Smartphone-Besitzers gefunden hatten, haben sich Künstler*innen mit dem Medium befasst – meistens abstrakt und konzeptionell. Sie eigneten sich Spiele und deren Mechanismen an, bedienten sich ihrer Funktionsweisen und ästhetischen Qualitäten. Spiele werden gehackt, Modifikationen geschrieben, das Spiel ist Medium und Plattform für Reflexionen gleichermaßen.

Orhan Kipcak and Reini Urban: Ars Doom, 1995, Gameplay, Ars Electronica.

Als eine der ersten künstlerischen Aneignungen und Manipulationen eines Spiels gilt das von Orhan Kipcak and Reini Urban 1995 auf der Ars Electronica in Linz präsentierte “Ars Doom”. Dem Konzept von “Jeff Koons Must Die!!!” recht nahe, erstellten Kipcak und Urban im klassischen Ego-Shooter Doom eine digitale architektonische Kopie der Ausstellungsräume im Linzer Brucknerhaus, die von Avataren der ausstellenden Künstler und deren Arbeiten bevölkert sind. Der/die Spieler*in kann sich frei in den Räumen bewegen und mit den Künstler*innen kämpfen und deren Arbeiten zerstören. Beliebtestes Opfer war laut SPIEGEL der Festivalleiter, Medienprofessor und Künstler Peter Weibel.

Theo Triantafyllidis: Pastoral, 2019, Gameplay.

Wie eine betretbare Landschaftsmalerei kommt Theo Triantafyllidis‘ “Pastoral” daher. Über seine Seite kann man es gratis herunterladen. Man findet sich in der Figur eines muskulösen Orks inmitten einer sich ausdehnenden Weite, goldene Felder werden vom Sonnenlicht durchflutet. Zum melodischen Klang einer Laute kann man durch dieses Idyll schreiten und gewissermaßen wie ein/e Hirt*in die pixelige Ruhe genießen und über seinen Platz in der digitalen Welt reflektieren.

Cory Arcangel: SUPER MARIO CLOUDS, 2002.

Auf ihre eigene, humoristische Art kann auch die Postion “Super Mario Clouds” von Cory Arcangel als kontemplativ gesehen werden. Für diese Arbeite hackte der amerikanische Medienkünstler die Datenträger des Spiels aus den 1990er Jahren und beraubte es eines großen Teils seines Inhaltes. Bei “Super Mario Clouds” bleiben vom bekannten Computerspiel um den italienischen Klempner nur der blaue Himmel und die vorbeiziehenden Wollen. Jegliche Handlung, alle Figuren und Hindernisse wurden entfernt. Das Spiel ist nicht mehr spielbar. Einzig der Himmel bleibt. Gezeigt wird die Arbeit als Projektion, sie ist jedoch kein Video, im Hintergrund läuft das gehackte Programm. Dieses stellt der Künstler auf seiner Seite zum Download zur Verfügung, man muss es nur auf dem Super Nintendo installieren. Arcangel nutzt die Mittel des Hacks, der gewaltsamen Öffnung und Manipulation von Software. Seine Haltung ist geprägt durch die Traditionen der Open-Source-Formate und des digitalen Do-It-Yourself, sein Ansatz ist ein offener, fast anarchischer. Gekonnt spielt er mit Fragestellungen des Copyrights, der Autor*innenschaft und der Konnektivität.

Ian Cheng: Emissary Forks At Perfection, live simulation and story, infinite duration, 2015-2016. Images courtesy of the artist, Pilar Corrias, Standard (Oslo), Gladstone Gallery.

Algorithmen und Codes werden auch bei Ian Cheng zu Bausteinen seines künstlerischen Konzeptes. Er kreiert Systeme, in denen digitale Akteur*innen selbstständig agieren. Die zwischen den Jahren 2015 und 2017 entstandene “Emissary Trilogy” besteht aus drei aufeinander aufbauende “live Simulationen”, die sich mit Entwicklungsstufen kognitiver Prozesse und künstlicher Intelligenz auseinandersetzen. In der Emissary Trilogy laufen keine vorher bestimmten Erzählungen ab. Die Protagonist*innen treten mittels ihrer eigenen künstlichen Intelligenz selbstständig zueinander in Beziehung und erschaffen so eine Narrative, die sich selbst erzählt. Auch die Kamera agiert autonom. Einmal in Gang gesetzt, entwickelt sich das Gefüge der Akteure automatisch weiter, wie ein Computerspiel, das sich selbst spielt.

Schon seit Jahren haben Künstler*innen die technischen Rahmenbedingungen und ästhetischen Qualitäten von Computerspielen für ihre eigene künstlerische Praxis genutzt. Computerspiele werden so zu interaktiven und partizipativen Werken zeitgenössischer Kunst, Rezipient*innen sind Betrachter*innen und Spieler*innen gleichermaßen. In Zeiten von digitalen Show-Rooms und virtuellen Museumsrundgängen kann es durchaus sinnvoll sein, sich der Verschränkung von Kunst und Game nochmals zu widmen.

WO: Im Internet.