Hautschicht für Hautschicht
"Ed Atkins. Corpsing" im MMK1

8. Februar 2017 • Text von

Die Welt ohne Internet existiert nicht mehr und der Mensch muss in ihr eine Menge erdulden. In abstoßend realistischen Bildern geht der britische Künstler Ed Atkins seinem animierten alter ego unter die Haut. Im MMK1 sehen Besucher ihn scheitern – exemplarisch für eine Generation.

Filmstill, Courtesy the artist, Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin, Cabinet Gallery, London, Gavin Brown’s Enterprise, New York and dépendance, Brussels.

Filmstill, Courtesy the artist, Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin, Cabinet Gallery, London, Gavin Brown’s Enterprise, New York and dépendance, Brussels.

„No Fear“. Die Botschaft wirkt wie für diese Tage gemacht. Keine Angst vor dem Fremden, keine Angst vor dem, was kommt, und auch keine Angst, vor dem, der droht die Errungenschaften der internationalen Menschenrechtsbewegung mal kurz außer Kraft zu setzen. Bevor der Besucher des Frankfurter MMK1 zwei Video-Installationen des derzeit dezent gehypten Briten Ed Atkins zu sehen bekommt, muss er dem Wolf in die photoshopblauen Augen blicken.

Besagter Wolf ziert ein Poster. Es ist beschriftet mit diesem einen Zitat der Aktivistin Helen Keller, das sich online gern mal halb ambitionierte Instagram-Models aneignen: „Life is either a daring adventure or nothing.“ Und obgleich der populäre Satz mittlerweile einen faden Beigeschmack bekommen hat (die Southwark-Episode „Helen Keller! The Musical“ hilft auch nicht): Irgendwie stimmt’s ja.

Ausstellungsansicht MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main 2017, Filmstill, Courtesy the artist, Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin, Cabinet Gallery, London, Gavin Brown’s Enterprise, New York and dépendance, Brussels; Foto: Axel Schneider.

Ausstellungsansicht MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main 2017, Filmstill, Courtesy the artist, Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin, Cabinet Gallery, London, Gavin Brown’s Enterprise, New York and dépendance, Brussels; Foto: Axel Schneider.

Wer sein Zimmer nicht verlässt, wird so schnell eben kein Tageslicht sehen. Atkins Fünfkanal-Installation „Hissing“ verpflanzt eine Art alter ego in einen Ikea-bemöbelten Raum voller Schnittblumen. Der Wolf ist nicht mehr als ein Poster an der Wand, ein anderes zeigt ein Kätzchen einen Ast umklammernd. „Hang in there“. Auf dem Nachttisch ruht ein Ohr, dass auch Cécile B. Evans Arbeit mit den wispernden Lauschern, „What the Heart Wants“, entliehen sein könnte. Draußen Geräusche der Nacht, drinnen atmet es schwer – bis der Boden sich auftut.

Atkins Bilder bereiten vor auf den tiefen Fall. Fünf Blumenvasen im Schlafzimmer? Da muss doch jemand sterben oder wenigstens sterbenskrank sein! Atkins’ Protagonist kommt dann auch tatsächlich nicht aus dem Bett, er sieht übel aus, wie angeschimmelt. Doch wie er sich auf dem Perserteppich leere Fotos durch die Finger gleiten lässt, da scheint er vor allem wie einer, der – wenn er denn einmal geht – nichts mitnimmt. Plötzlich geht es nicht mehr um ein Ende, sondern um ein verschenktes Jetzt. „Es tut mir leid“, sagt er. Und: „Ich wusste das nicht.“

Ausstellungsansicht MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main 2017, Filmstill, Courtesy the artist, Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin, Cabinet Gallery, London and Gavin Brown's Enterprise, New York; Foto: Axel Schneider.

Ausstellungsansicht MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main 2017, Filmstill, Courtesy the artist, Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin, Cabinet Gallery, London and Gavin Brown’s Enterprise, New York; Foto: Axel Schneider.

Verrotten ist keine Option. Gleiches gilt für die Selbstaufgabe. Wie sehr sich der Mensch zerlegen kann, illustriert Atkins’ zweite Arbeit „Safe Conduct“. Bei einer Sicherheitskontrolle am Flughafen muss der Protagonist nicht einfach nur die Pistole abgeben. In der typischen Plastikschale kommen aufs Rollband ein Macbook, ein Sack voll Teppichcutter, ein Brathähnchen und Körperteile. Seine Hände muss der animierte Mann ablegen, sein Hirn auch. Er hat alles gegeben. Nun ist er wund und leer, aber Atkins jagt ihn weiter. Auf Bildschirmen hängt sein Gesicht an Ketten von einem freisteheden Aluminiumgerüst herab. Der Kopf zuckt nur noch verstörend. Hektisch lässt Atkins den Geschundenen Maurice Ravels „Boléro“ mitbrummen.

Für den Besucher ist es ein ganz schönes Gedröhne und, dass Atkins’ Figur sich schmatzend häutet, trägt auch nicht unbedingt zur angenehmeren Gestaltung des Aufenthalts bei. Es soll auch gar nicht angenehm sein. Atkins zeigt Animationen, die offensichtlich digital entstanden sind, aber doch sehr echt aussehen. Seine Bildwelten verorten den Menschen neu in einer technologisierten Lebensrealität, die vieles möglich macht und doch wenig Optionen lässt. Atkins stürzt seine Protagonisten in die Krise. Nur lose bettet er sie ein in eine Handlung, deren fragmentarische Natur ablenkt von etwas wie Verlauf und stattdessen das Gefühl einer fremden Welt hinterlässt, die sich vertraut anfüht. Am Ende sind seine Menschen nackt. Um sie herum die Eskalation, sie selbst ganz ruhig: fremdbestimmt, abgekämpft und ohne Hoffnung.

WANN: „Ed Atkins. Corpsing“ läuft bis zum 14. Mai.
WO: Museum für Moderne Kunst, MMK1, Domstraße 10, 60311 Frankfurt am Main