Fabres fabelhafte Fantasie La Biennale di Venezia
15. Mai 2017 • Text von Lea Pfeiffer
Auch Friedenstauben müssen scheißen. Das klingt nicht klassisch fabelhaft, doch eigentlich ist es das sehr. Jan Fabre begibt sich mit seiner Kunst seit rund 40 Jahren schön tabubefreit auf die Suche nach dem Grund der Dinge – auf der ganzen Welt und jetzt in Venedig. Wir waren zu Gast auf der Biennale. Auf einen Espresso mit Jan Fabre.
Die 57. Biennale di Venezia ruft seit dieser Woche und noch bis zum 26. November die Kunstwelt in die Stadt der glasgeblasenen Träume, die durch Wasserstraßen gondeln. Unter dem Titel “Viva Arte Viva” dreht sich der Diskurs um Humanismus – Leben, Kunst und Mensch. Große Worte sind das und auch die Themen des kreativ besessenen Künstlers Jan Fabre sind groß. Fabre verhandelt die Dialektik des Seins, die stetige Metamorphose von Mensch-, Tier- und Pflanzenwelt, das Leben und den Tod. Er verteidigt die menschliche Verletzlichkeit und die darin enthaltene Schönheit. Die Natur ist hier das Fundament in dem alles gründet und Fabre geht organisch vor. Der Hauptdarsteller in seinen Arbeiten ist immer der Körper, in Performance und Skulptur – denn “Körper können nicht lügen”
Neben Jan Fabre steht in Venedig ein Dreigestirn der hohen Kunst: Giancinto di Pietrantonio, Direktor des GAMeC in Bergamo, Katerina Koskina, Direktorin des EMST in Athen und Dimitri Ozerkov, Direktor des Contemporary Art Department des State Hermitage Museum in St. Petersburg. Die Ausstellung bringt rund 40 Werke in Hof und Räume der Abtei im Herzen Venedigs. Und sie bestehen nur aus zwei alten Materialien: Glas und Knochen – stabil und fragil, beides.
Zurück zu den Tauben, denn die waren gar nicht nur ein Eyecatcher am Textanfang, sondern auch der Beginn unseres Gangs durch die Abbazia di San Gregorio und die Ausstellung “Glass and Bone Sculptures 1977-2017”. Mit “Shitting Doves of Peace and Flying Rats” begrüßen uns lilafarbene Friedenstauben aus Glas und deren böse Brüder, die Flugratten – Stadttauben, die eher Krankheit als Frieden übertragen. Der gläsern schimmernde Dreck von beiden natürlich auch. Die Arbeit verdreckte bereits 2008 in der Solo Ausstellung “L’ange de la métamorphose” die Hallen des Louvre in Paris und nun den Säulengang der Abtei direkt am Canal Grande. Geschichtsträchtige Orte wie Kirchen, Museen und Kloster sind oft Fabres Spielstätten, denn “ohne Tradition kann keine Avantgarde entstehen”. Ganz früh schon beginnt Fabre flämische Meister wie Ruben, van Heek, van Dyke oder Breugel zu studieren. Die Alten Meister inspirieren ihn mehr als alle zeitgenössische Kunst und so greift er die Symbolsprache der Lehrmeister immer wieder in seiner Kunst auf.
Im ersten Stock des Gebäudes feiert Fabre mit “The Catacombs of the Dead Streetdogs” den schaurig schönen Schein des Karnevals unserer Gesellschaft. Zwischen gläsernen Girlanden liegen und hängen die Skelette von Straßenhunden mit bunten Partyhüten. Es sind tote Künstler, ausgezehrt durch die vergnügungssüchtige Gesellschaft mit böse bunter Maske. Erfolg kann töten, der schöne Schein auch. Und die Gesellschaft saugt Blut.
Die Vanitas ist ein großes Thema der flämischen Tradition. Verbildlicht wird die Eitelkeit, der Schein, durch Insekten und die dominieren bei Fabre das Geschehen. Viele Arbeiten bestehen aus den bunt schillernden Flügeln des prächtigen Prachtkäfers und im sonnigen Innenhof der Abbazia schaut uns glücklicherweise der Glückskäfer mit grünen Augen entgegen. Aus grünem Glas ist er gearbeitet und ein Lebensbaum sprießt aus seinem Rücken. “The Holy Dung Beetle with Laurel Tree” ist die jüngste Arbeit der Ausstellung. Grün ist für Fabre die Farbe des Gifts im pharmakologischen Sinne der Alten Griechen: Es kann dich heilen oder krank machen, genau wie Schönheit und die Kunst. Nimm ruhig zu viel, dann hast du ein Problem.
Knochen sind stabil und das Gerüst, das uns trägt. Die weise Schildkröte hält es mit ihrem Knochengerüst klüger als der Mensch: Sie trägt es gleichsam als Schutzpanzer nach außen. Die Tiere sind geschützt, wie Ritter in ihren Rüstungen. Die alte und langsame Schildkröte steht in der griechischen Mythologie, bei Michael Ende und auch bei Peter Maffay immer für Weisheit. Fabre setzt die Schildkröte in “Greek Gods in a Body-Landscape” als Göttersymbol ein, lässt sie in einer Landschaft aus gläsernen Blutkörperchen still stehen und stellt die Frage nach der Vergöttlichung des Menschen und der Vermenschlichung der Götter.
Neben mythischen und spirituellen Fragestellungen verhandelt er auch politische Themen und verarbeitet die koloniale Vergangenheit Belgiens in “Canoe” mit einem aus zerstückelten Knochen zusammensetzten Boot. Die sechs Ruder greifen an ihren Enden mit Händen aus Glas ins imaginäre Wasser und erinnern an die Verbrechen im belgischen Kongo. Das Ganze steht vor großen Fenstern, die auf den Canal Grande blicken und erinnert uns an die Tagesaktualität des Themas.
Die Ausstellung in der Abbazia di San Gregorio provoziert Imagination und Fantasie, denn es gibt keinen Leitfaden oder vorgeschriebene Gänge durch die Ausstellung. Fabres Faszination liegt in der Einfachheit und wer kann sich dafür besser begeistern als das Kind? Während der Ausstellung “Knight of Despair/Warrior of Beauty” im State Hermitage Museum in St. Petersburg bot er gezielt Führungen für Kinder an. Die kindliche Neugierde und Imaginationskraft sind der Motor aus dem Wissen und Kunst entstehen. Apropos Neugierde: Eine gläserne Hand umfasst einen an die Wand gehaltenen Becher. Das Bild kennt ja jeder. Die Hand der Skulptur “Listen” ist Fabres eigene und die Geschichte dahinter stammt aus seiner Kindheit: Seine Mutter hatte großen Spaß die Nachbarn beim Sex zu belauschen.
Man stelle sich dann auch direkt den jungen Fabre vor, wie er im Garten seiner Eltern wie ein junger Dr. Frankenstein Pflanzen und Tiere auseinandernahm und untersuchte – um später alles neu zusammenzusetzen. Viele seiner Arbeiten bestehen aus den bunt schimmernden Flügeln des Prachtkäfers, das muss noch einmal gesagt werden. Denn der Käfer ist seit jeher Sinnbild der Metamorphose und die ist Sinnbild der Arbeit von Jan Fabre. Er liebt die Zerstörung, den Klang von brechendem Glas – denn die Zerstörung bedeutet gleichzeitig Entstehung von Neuem. Ende und Anfang geben sich ja die Hand.
Der Anfang schwingt mit und so schwingt Fabres Heimat, sein Ursprung im belgischen Antwerpen, auch in seiner Kunst. Wenn 16 Glasschädel 16 Tierskelette verspeisen, spielt er auf die mittelalterlichen Gilden seiner Stadt an, die zwischen den gläsernen Zähnen der Totenköpfe kurz vor’m zermalmt werden sind. “Als Künstler must du wissen woher du kommst, um etwas Neues zu kreieren.” Und da ist sie wieder, die Tradition, ohne die bei Fabre nichts geht.
Zurück zum Anfang allen menschlichen Seins, zurück zum Schoß: “The Future Merciful Vagina and Phallus”. Zwei aus gläsernen Knochen aufgestapelte Altare mit Geschlechtsteilen, die aus Knochen gefertigt sind, stehen sich in zwei Ecken im Raum gegenüber. Sein oder nicht Sein muss bei Fabre nicht zwangsläufig beantwortet werden. Und auch wenn Spermien in neun Skulpturen neun Planeten befallen, handelt die Arbeit vom permanenten Wandel und vom Ursprung des Seins. “Kunst ist die Schönheit der Sonne. Kunst ist die Freiheit der Gedanken” Es bleibt uns die Imagination. Fabrehaftig.
WANN: Zu sehen ist die Ausstellung im Rahmen der Biennale di Venezia noch bis zum 26. November 2017 – immer von 11 bis 19 Uhr. Der Eintritt ist glücklicherweise frei.
WO: Abbazia di San Gregorio, Dorsoduro 172, Venezia.