Kämpfe im virtuellen Raum
Li Yi-Fan im Eigen + Art Lab

30. Juli 2025 • Text von Carolin Kralapp

Sieht so die Zukunft digitaler Räume aus? Yi-Fan Li lässt Game-Engines auf Gesellschaftstheorie treffen – absurd und verstörend präzise. Seine Videoarbeiten machen digitale Tools zu philosophischen Bühnen. Wer erleben will, wie Emojis, Avatare und Echtzeit-Räume unsere Vorstellung von Wirklichkeit verschieben, kann im Eigen + Art Lab genauer hinsehen.

In der Videoarbeit “What Is Your Favorite Primitive?” entwirft Yi-Fan Li eine dystopisch-surreale Szenencollage, die als satirische Tech-Keynote mit dem ironisch vertrauten Satz “An apple a day keeps the doc away” beginnt. Der Schauplatz ist zu Beginn ein dunkles Wohnzimmer, in dem eine geisterhafte Figur mit grün leuchtender Kontur Avatare unterschiedlicher Größe durch den Raum dirigiert. In dieser seltsamen Umgebung, die sich später in einen Theatersaal verlagert, verschmelzen Selbstinszenierung, Kontrolle und digitale Schöpfung zu einer kritischen Reflexion über Machtverhältnisse bei der digitalen Bilderzeugung.

Das Video wirft grundlegende Fragen zur Rolle von Technologie in der Content-Produktion auf. Wer bestimmt, was sichtbar wird? Was bedeutet Kreativität in einer Welt, in der Software, Abo-Modelle und Benutzeroberflächen den Rahmen setzen? Li kombiniert dokumentarische Passagen mit Szenen aus 3D-Programmen, schnellen Schnitten und verspiegelten Bild-in-Bild-Kompositionen. Der gesamte kreative Prozess wird offengelegt und gleichzeitig in Frage gestellt – technisch komplex umgesetzt, aber nie ganz frei von Widersprüchen.

Ohne Musik, nur von Sprache und Hintergrundrauschen begleitet, entsteht eine Atmosphäre zwischen Überforderung und Faszination. Selfies auf Polaroid, nackte Spielfiguren, virtuelle Räume und eine Spielzeugpistole, die Klaviertöne erzeugt, entfalten im Zusammenspiel ein absurd-poetisches Techno-Universum. Die Videoarbeit “What Is Your Favorite Primitive?” hinterfragt, wie Bilder heute entstehen, was sie über unser Selbstbild verraten und wie sehr unsere digitale Wirklichkeit längst von den Tools geprägt ist, die wir täglich benutzen.

Wer “What Is Your Favorite Primitive?” in voller Länge sehen möchte, hat derzeit im Eigen + Art Lab die Gelegenheit dazu. Im Rahmen der gleichnamigen Ausstellung von Yi-Fan Li wird die rund 37 Minuten lange Videoarbeit auf eine Wand des Galerieraums projiziert – im Wechsel mit der weiteren, kürzeren Videoarbeit “How Do You Turn This On?”. In diesem etwa 16 Minuten langen Video führt Li durch weitere Erkundungen digitaler Identitäten.

In “How Do You Turn This On?” liegt der Fokus auf der Metaphorik des Körpers im Zeitalter der “Digital Humans”. Eine grün umrandete Figur bringt erneut die Avatare in Position, diesmal weniger geisterhaft, dafür physisch präsenter im Bild. Inmitten popkultureller Anspielungen auf “Terminator”, “Macintosh” und Science-Fiction-Visionen entsteht ein irritierendes Wechselspiel zwischen Virtualität und Realität, zwischen Animiertem und Fleischlichem. Die Grenzen von Mensch und Maschine, Original und Simulation scheinen zu verschwimmen.

Die Arbeit spielt auf Konzepte wie das Metaverse, Muskel- und Bewegungsdaten sowie das technologische Design von Körpern an. Fragen wie “Wenn ein Mensch 640 Muskeln hat – wie viele braucht ein digitaler Mensch?” oder “Braucht ein digitaler Mensch überhaupt eine Zunge?”, die übrigens immer gleich aussehen, werden performativ und zugleich humorvoll verhandelt. Eine Figur of Color tritt ins Bild, wirkt lebensecht, bleibt aber passiv. In ihrem Kopf sitzt eine Miniaturversion des Protagonisten – auf einem Stuhl umgeben von Aschenbechern, Kippen und Bierdosen, dabei regungslos. Solche vielschichtigen Bilder tragen dazu bei, Macht, Kontrolle und Repräsentation in virtuellen Welten zu hinterfragen.

Begleitet von Hintergrundrauschen, Monologen und mechanisch klingenden Sounds entfaltet sich ein fragmentarisches Narrativ, das eher zum Beobachten und Nachdenken als zum linearen Verstehen einlädt. Es ist ein visuelles Experimentierfeld, das Fragen stellt, ohne eindeutige Antworten zu liefern. Mit einem augenzwinkernden Zungen-Check und direktem Blick in die Kamera endet das Video selbstreflexiv, was sich wie eine Aufforderung an das Publikum deuten lässt, den eigenen digitalen Blick zu hinterfragen: Wer beobachtet hier eigentlich wen?

Mit feinem Gespür für digitale Ästhetik und subversivem Humor seziert Yi-Fan Li in beiden Videoarbeiten die Bedingungen heutiger Bilderzeugung. Er zeigt, wie der Umgang mit virtuellen Körpern, Software-Interfaces und popkulturellen Zitaten neue Perspektiven auf Identität, Realität und Kreativität eröffnet. Seine Werke liefern keine fertigen Antworten, sondern eröffnen Versuchsanordnungen, die den Weg ebnen für zukünftige Auseinandersetzungen mit Technologien, die schon heute das menschliche Leben prägen und uns in Abhängigkeiten versetzen.

WANN: Die Ausstellung “What Is Your Favorite Primitive” läuft bis zum 16. August.
WO: EIGEN + ART Lab, Torstraße 220, 10115 Berlin.