Die Sehnsucht nach Erlösung
Yael Bartana im Jüdischen Museum Berlin

23. Juni 2021 • Text von

Die Werkschau „Redemption Now“ der Künstlerin Yael Bartana im Jüdischen Museum Berlin ist beeindruckend groß. Doch alle reden nur über eine Arbeit: „Malka Germania“. Die utopische Heilsbringer-Geschichte einer androgynen Messias-Gestalt ist eine Antwort auf die Erzählung von kollektiver Sehnsucht nach Erlösung. Die besondere Stärke von Yael Bartanas künstlerischen Arbeiten findet sich jedoch auch abseits der großen Heilserzählung.

Yael Bartana, “Malka Germania” (Filmstill), 2021, 3-Kanal-Videoinstallation mit Ton, 43 Min. © Auftragsarbeit für das Jüdische Museum Berlin


Die vom Jüdischen Museum Berlin in Auftrag gegebene 3-Kanal-Videoinstallation „Malka Germania“ der Künstlerin Yael Bartana ist in vielerlei Weise überwältigend. Schon allein die Größe der Installation haut einen um: Drei große Bildschirme nehmen nahezu den gesamten Ausstellungsraum ein und machen es unmöglich, die Arbeit als Ganzes wahrzunehmen. Und auch der Plot und die filmischen Bilder reihen sich ein in diese gigantische Dramatik: Es beginnt mit der Erscheinung der weiß-leuchtenden Messias-Gestalt mit Patronen-Gürtel und Cape, die aus dem Wannsee aufsteigt, um die Menschheit zu erlösen.

Es folgen Aufnahmen der androgynen Figur vor der Kulisse der Berliner Siegessäule mit Friedensengel und die bedeutungsschwangeren Worte „Be ready. Sei bereit“. Und sie enden mit einer Computeranimation vom Aufsteigen von Albert Speers NS-Entwurf einer ‚Halle des Volkes‘, die in Yael Bartanas filmischer Utopie das heilsgeschichtliche Jerusalem ersetzt. Referenzen einer realen wie fiktiven Vergangenheit und Gegenwart treffen sich in diesen inszenierten Zukunftsbildern wieder. Die Ästhetik des Films folgt der Propaganda des NS-Regimes in Teilen ebenso wie der von Science-Fiction-Filmen. 

Yael Bartana, “Malka Germania” (Filmstill), 2021, 3-Kanal-Videoinstallation mit Ton, 43 Min. © Auftragsarbeit für das Jüdische Museum Berlin

43 Minuten lang ist diese Antwort auf die Erzählung von kollektiver Sehnsucht nach Erlösung. „Malka Germania“ ist Hebräisch und bedeutet „Königin Germania“. Der Titel der neuesten Produktion der in Berlin und Amsterdam lebenden Künstlerin geht zurück auf eine unübliche weibliche Bezeichnung für den Messias: „Malka Meschicha“ – „die gesalbte Königin“. Mit der Wahl einer androgynen Erscheinung als Heilsfigur positioniert sich die Künstlerin offen geschlechterpolitisch. Wie viele frühere Arbeiten Yael Bartanas reagiert auch „Malka Germania“ auf ein Gedankenspiel, dessen Frage lautet: „Was wäre, wenn?“ Die Antwort darauf ist gleichsam wuchtig und uneindeutig. Wer wird hier eigentlich genau von wem wovon erlöst? Yael Bartana lässt Spielraum für Fantasie und Interpretation.

Raumansicht „Yael Bartana Redemption Now“ © Jüdisches Museum Berlin, Foto: Yves Sucksdorff

Auf welche Weise sich dieses besondere Werk einreiht in das Oeuvre der 50-jährigen Künstlerin, wird jedoch erst mit einem Blick auf die anderen Arbeiten Yael Bartanas deutlich, die sich den Besucher*innen der Ausstellung von Raum zu Raum eröffnen. Angefangen von der Animationsarbeit „Entartete Kunst lebt“ (2010), in der Yael Bartana die Figuren aus Otto Dix‘ Gemälde „Kriegskrüppel“ (1920) auferstehen lässt, über so wunderbare und einfühlsame filmische Beobachtungen wie „Wild Seeds“ (2005), die noch vielmehr als das neueste Werk Bartanas ihre filmische Qualität offenbaren. Bis hin zu kritisch-humorvollen Arbeiten wie „Kings of the Hill“ (2003), die die männliche Freude am Fahren von Geländewagen derart romantisch-dokumentarisch aufzeichnen, dass sie die Absurdität dieser Freizeitaktivität geradezu offenkundig werden lassen.

Raumansicht „Yael Bartana Redemption Now“ © Jüdisches Museum Berlin, Foto: Yves Sucksdorff

Um die Person der Künstlerin Yael Bartana, die 2011 mit ihrer Arbeit „And Europe will be stunned“ für den Polnischen Pavillon auf der Biennale in Venedig bekannt wurde, dreht sich die Ausstellung insgesamt wenig. „Redemption Now“ ist eine Werk-konzentrierte Schau mit mehr als 50 Arbeiten. Neben Filmen zeigt die Ausstellung auch Sound-Installationen, Fotografien und Neonarbeiten. Ein Studienzimmer lädt gar zum Verweilen und Studieren von Theorie ein. Wer sich vom Werk der Künstlerin Yael Bartana einen umfassenden Eindruck verschaffen will hat im Jüdischen Museum Berlin die Chance. Meine Empfehlung lautet: Nutzt sie – und bringt am besten gleich einen ganzen Tag mit.

WANN: Die Ausstellung „Redemption now“ läuft noch bis 10. Oktober
WO: Jüdisches Museum Berlin, Lindenstraße 9 – 14, 10969 Berlin

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