Zwischen Tragik und Humor Die Gemälde von Xinyi Cheng in der Fondation Galeries Lafayette
12. April 2022 • Text von Teresa Hantke
Gehörnte Pferde, Menschen, die in Truthahnkeulen beißen, und im Strudel verschwindende Körper: Die chinesische Malerin Xinyi Cheng beeindruckt, provoziert und gibt in humorvollen wie tragischen Bildinhalten intime Einblicke in ihr Umfeld. Neue Werke sind in den dreistöckigen Räumen der Fondation Galeries Lafayette ausgestellt.

Mit stahlblauen Augen in einem fahl und blass aussehenden Gesicht blickt sie aus dem Gemälde. Fixiert uns Betrachtende und blickt gleichzeitig durch uns hindurch. Die Frau mit dem grell blonden Bob wirkt gelangweilt von dem Geschehen um sie, in der rechten Hand hält sie eine Zigarette, in der linken greift sie das schwarze Hündchen, das kaum zu erkennen auf ihrem Schoß und dem ebenfalls schwarzen Pelzmantel liegt. Ein Schoßhündchen, das schon seit Jahrhunderten in der Kunstgeschichte vornehmen Damen zur Zierde und als Symbol von Treue, zur Seite gesetzt wird. Das sonst eher als Accessoire, zu den Füßen der Damen ruhende Hündchen, wird in Chengs Gemälde „The Smoker“ fest umklammert – die rauchende Protagonistin scheint sich mit ihrer in ebenfalls fahlen Violett-Ton gehaltenen linken Hand an dem Körper des Tieres regelrecht festzuhalten.

Der Hund als Halt gebendes Element lässt die blonde Frau einmal mehr verloren, orientierungslos, melancholisch erscheinen. Dabei ist sie nicht allein. Alle der gemalten Personen in Chengs Gemälden wirken seltsam deplatziert, wie die beiden Gestalten auf dem tristen Balkon, oder gedankenversunken, wie der Mann, der emotionslos in eine Truthahnkeule beißt. Sie starren ins Leere, wirken nicht präsent, aktiv am Leben teilhabend, so auch der nackt auf der Couch liegende Mann mit weißem Kragen in „White Turtleneck“. Abgelenkt, vor Öde fast erstickend und dem Dasein mit einer großen Langweile entgegentretend. Auf der Suche nach dauernder Ablenkung, nach Unterhaltung, in der Hoffnung sich möglichst bald vom Handybildschirm berieseln zu lassen.

Es ist jedoch gerade diese Unbeholfenheit, die die Figuren in Chengs Gemälden gleichzeitig so nahbar macht und menschlich erscheinen lässt. Es ist durchaus menschlich, sich hängen zu lassen, sich in den Schoß von Freunden fallen zu lassen, rumzuhängen, sich treiben zu lassen – auch mal von Bord zu fliegen, wie der blonde Mann, der von einem roten Kayak fällt. Xinyi Cheng schafft es die abgebildeten Personen in intimen Momenten zu zeigen und durch lebhafte Mimik wie es ein Courbet konnte, sprechen zu lassen. Es sind erstaunte Blicke, Emotionen, die sich nachvollziehen lassen und die in uns allen stecken und damit den Rundgang durch Chengs Einzelausstellung zu einer Konfrontation mit sich selbst werden lassen.

Nicht zuletzt gelingt es Cheng diese Nahbarkeit durch einen starken Einsatz von Licht und Schatten und eine gekonnte Inszenierung von Hell und Dunkel wie in Gemälden wie „Lighter I“ und „Lighter II“ zu verstärken. Einen Einsatz, der an Gemälde von Caravaggio denken lässt und den Bildern eine fast bühnenhafte Dramatik verleiht. Nicht zuletzt ein Einfluss, der durch Paris, der Stadt in der Xinyi Cheng, die ursprünglich aus Wuhan stammt, lebt und hierdurch eindeutig beeinflusst worden sei.

Was der Künstlerin, deren Werke im letzten Jahr in der Pariser Pinault Collection zum ersten Mal einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden in den Darstellungen der Menschen so gelingt, flacht in den Stillleben leider ab. Die Gegenstände wirken verzogen, plakativ flach. Trotzdem ist mit Recht zu sagen, dass Cheng gerade durch ihre Vielfalt und gekonnte Darstellungsweise in ihren Porträts durchaus als neuer Shootingstar der zeitgenössischen Malereiszene – das ihr seit der Ausstellung in der Pinault Collection vor einem Jahr nachgesagt wird – bezeichnet werden kann.
WANN: Die Ausstellung “Seen Trough Others” ist noch bis Samstag, den 28. Mai, zu besichtigen.
WO: Lafayette Anticipations – Fondation Galeries Lafayette, 9 Rue du Plâtre, 75004 Paris.