Work of Art Verwertungsstrategien von Kunst
28. Juli 2017 • Text von Leonie Huber
Wenn man Kunst doch nur abwiegen, einschweißen und bei Bedarf aus der Dose löffeln könnte. Eine Ware unter vielen, ein Anlageobjekt für manche und der Lebensunterhalt für wenige. Doch welchen Wert hat künstlerische Arbeit?
Im Titel „Transaktionen – Über den Wert künstlerischer Arbeit“ der aktuellen Ausstellung im Haus am Lützowplatz ist bereits die doppelte Fragestellung vorweggenommen. Auf der einen Seite steht der allgemeine Wert von Arbeit als die finanzielle Entlohnung von Leistung im Form einer Transaktion von Geld, auf der Anderen der ideelle Wert von künstlerischem Schaffen im Sinn der gesellschaftlichen Wirkungskraft von Kunst.
Zunächst zur Entlohnung von künstlerischer Arbeit: Einer der häufigsten Vorbehalte, der gegenüber zeitgenössischer Kunst geäußert wird, ist das Fehlen von handwerklichem Können und „harter Arbeit“ bei der Herstellung eines Kunstwerks. Diesen Zusammenhang konterkariert Nadine Fecht in der großformatigen Wandarbeit „ohneTitel (Phantomschmerz)“. Auf einer Länge von über fünf Metern lesen wir immer wieder denselben Satz: „I’m feeling blue“, in roter Schrift auf weißem Grund. Diesen, nicht adäquat ins Deutsche übersetzbaren, Ausdruck von absoluter Innerlichkeit und leidvollem Weltschmerz verbindet die Künstlerin mit der Ästhetik von Strafarbeiten in repressiven Schulsystemen. Die emotionale Qualität des Werkes wird durch arbeitsaufwändige und stumpfsinnige Wiederholung zu einer künstlerischen Arbeit. Ohne die Ausdauer und den Aufwand, der sich durch die Papierarbeit vermittelt, würde der Betrachter „I’m feeling blue“ ausschließlich als den Seelenschmerz einer jungen Dame abtun.
Einen Raum weiter schlägt Christian Jankowski eine andere Richtung ein. Die Arbeit „The finest Art on water“ wurde erstmals auf der Londoner Kunstmesse Frieze gezeigt: Zum Verkauf stand ein Boot und eine Yacht, jeweils in zwei verschiedenen und doch gleichen Ausführungen. Interessierte Käufer konnten sich entscheiden, ob sie einfach nur ein Boot erwerben wollten, oder gegen einen beträchtlichen Aufpreis dasselbe funktionale Objekt als zertifiziertes Kunstwerk von Christian Jankowski. Jankowski geht es dabei nicht mehr um die Ästhetisierung eines industriell gefertigten Gegenstandes, sondern um durch die Überzeichnung der kapitalistische Verwertungslogik im Zusammenhang mit Ready-Mades Kritik am Kunstmarkt zu üben.
Während die beiden beschriebenen Werke sich auf die Arbeit des Künstlers im Atelier, sowie auf die Mechanismen des Kunstmarktes beziehen, wird die Ausstellung um andere Positionen erweitert, welche sich mit der Frage auseinandersetzen, welche Rolle Kunst in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem einnehmen kann. So ließ Santiago Sierra eine 2,50 Meter lange Linie auf die Rücken von sechs namenlosen jungen Männern tätowieren. Die Aktion fand 1999 in Havanna, Kuba, statt und wurde seitdem vielfach als Videodokumentation präsentiert. Für eine Summe von 30$, die dem üblichen Tageslohn eines Wanderarbeiters entsprach, verkauften die Männer ihre Körper für die provokante Aktion des spanischen Konzeptkünstlers. Das Video zeigt die Arbeiter mit dem Rücken zur Wand stehend, wartend. Die flirrenden Schwarz-Weiß Bilder und Körperhaltung der Männer werden sofort mit Verhaftungen, Gefängnissen und Polizeigewalt assoziiert. Die schonungslose Geradlinigkeit, mit der Sierra in seinen Aktionen gesellschaftliche Missstände wie Armut und Entlohnung vorführt, versetzt den Betrachter oftmals in eine Abwehrhaltung. Für Sierra ist Kunst Kritik und Kritik Aktion. Ein Zweischritt, der die Schmerzgrenze der Akteure und Rezipienten strapaziert und zum Nachdenken anregt.
Auch Pilvi Takala verortet ihre Kritik an dem Arbeitsmarkt außerhalb des Kunstkontextes. 2008 kooperierte die finnische Künstlerin mit einer Unternehmensberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in Helsinki, wo sie für einen Monat als Praktikantin in der Marketing Abteilung arbeitete. Anstatt sich mit stupiden Praktikantentätigkeiten zu beschäftigten, widmete sich Takala einen Monat lang gedanklichen Übungen, sehr zum Missfallen ihrer Kollegen. In dem entstandenen Film ist beispielsweise zu sehen wie sie einen Tag im Aufzug verbringt und in immer abstrusere Gespräche mit den Kollegen verwickelt wird, die sie fragen, was sie denn mache. Die Verweigerung einer produktiven Tätigkeit, einer greifbaren Geschäftigkeit wie sie in beinahe jedem Job verlangt wird, stößt einigen Mitarbeitern so sehr auf, dass sie sich beim Chef beschweren und die Praktikantin Takala anschwärzen. Die mit versteckter Kamera gefilmten Aufnahmen erinnern nur auf den ersten Blick an Slap Stick. Das Unverständnis und die gesellschaftliche Ablehnung gegenüber künstlerisch-geistigen Tätigkeiten ist nur vordergründig das Thema des Werkes; der Film „The Trainee“ von Pilvi Takala charakterisiert künstlerische Arbeit als Verweigerung sich in bestehende Machtstrukturen zu intergieren und erkennt in Kunst einen Ort des Widerstandes innerhalb dieser.
Der Wert eines Kunstwerks ist im Gegensatz zu den meisten anderen Waren in höchstem Maße subjektiv. Obwohl sich die unterschiedlichen Preisvorstellungen durch den individuellen Geschmack des Rezipienten erklären lassen, ist es nicht der persönliche gusto, der die Bewertung von Kunst so schwierig macht. Die Ursache liegt viel tiefer: Ein Kunstwerk ist nicht funktional, es ist nicht darauf ausgelegt ein Bedürfnis zu befriedigen und kann deshalb auch nicht nach den gängigen Kategorien bewertet werden. Künstler wie Santiago Sierra und Pilvi Takala benennen in den beschriebenen Werken eine mögliche Funktion von Kunst: Widerstand. Doch disruptive Momente kann man in der Regel nicht ersteigern, lagern und immer wieder ausstellen.
Die Notwendigkeit, Ausstellungen wie die aktuelle im Haus am Lützowplatz zu veranstalten, ist nicht in den exorbitanten Preisen für zeitgenössische Kunstwerke zu suchen, von denen wir seit einigen Jahren in Zeitungen lesen. Kunst als Investment in Zeiten von fehlenden Anlagemöglichkeiten ist ein langweiliges Thema; derartige Diskussionen mit Kulturschaffenden sind eine Einbahnstraße. Eine große Stärke der Ausstellung „Transaktionen – Über den Wert künstlerischer Arbeit“ ist es, dass diese Debatte nicht im Mittelpunkt der Schau steht, die noch bis zum 20. August im Haus am Lützowplatz zu sehen ist. Die von Kurator Marc Wellmann durch lediglich 12 künstlerische Positionen differenziert dargestellte Reflektion über den doppelten Wert von Kunst beleuchtet die Schwierigkeiten einer Bewertungs- und Verwertungslogik ohne den Flutlichtstrahler der Kapitalismuskritik anzuwerfen.
WANN: Die Ausstellung ist bis zum 20. August von Dienstag bis Sonntag, jeweils von 11 bis 18 Uhr, zu sehen.
WO: Haus am Lützowplatz, Lützowplatz 9, 10785. Alles weitere online.