Gesichter der Ukraine-Krise Wiktoria Wojciechowskas "Sparks"
17. Januar 2022 • Text von Christina-Marie Lümen
Wiktoria Wojciechowkas Projekt “Sparks” dokumentiert den Krieg im Donbass aus der Perspektive ukrainischer Freiwilligensoldaten. In Fotografien, Videos, Zeichnungen und Collagen zeigt die Künstlerin Geschichten, Gesichter und Gefühle, welche der medialen Berichterstattung des Konfliktes fernbleiben. Nach fünf Jahren wird das Projekt nun erstmals an seinem Entstehungsort in Lviv in der Ukraine gezeigt.
Männliche Portraits, überlebensgroß, dreiviertel Profil; einige von ihnen wenden sich ab, andere blicken in die Kamera. Face the world. Die Bilder sind zwischen 2014 und 2016 entstanden, zu Beginn der bewaffneten Auseinandersetzung zwischen Russland und der Ukraine. Wiktoria Wojciechowska hat freiwillige ukrainische Soldaten an die Frontlinie begleitet und sie in Fotografie und Video porträtiert. Die Portraits bilden den Kern des Projekts “Sparks”. In Fotografien, Videos, Collagen und Zeichnungen wird hier ein anderes Bild des Krieges sichtbar, näher, unaufgeregter und zugleich eindringlicher.
Der Titel “Sparks” geht zurück auf die russische Bezeichnung für die herunterfallenden Geschosse und Raketen, “ickri” – “sparks”. Während sie die Männer für ihre Portraits interviewte, schien es der Künstlerin, dass mit der Erinnerung die Explosionen, “sparks”, in den Augen der Männer wieder aufleuchteten. Den anhaltenden Schock, die Ungläubigkeit, Abwesenheit und Leere in ihren Bildern festzuhalten, war ein Anliegen der Künstlerin. Seit 2016 wurde das Projekt international ausgestellt, China, Frankreich, Island, Polen, die Schweiz. Nach fünf Jahren ist es nun erstmals an seinem Entstehungsort Lviv in der Ukraine zu sehen und wird so für die Protagonisten und Angehörigen zugänglich. Die Ausstellung ist ein Gemeinschaftsprojekt des Städtischen Kunstzentrum Lviv und der Krupa Gallery + Foundation, Polen. Dank der hervorragenden Online-Dokumentation des Projektes und einer digitale Führung ist das Projekt auch auf Distanz erlebbar.
Die Titel der Portraits heben die berufliche Herkunft der Männer hervor: Philosophie-Student, DJ, Tischler, Sales Manager. Wiktoria Wojciechowska begleitete die Männer einderthalb Jahre, einige von ihnen sind mehrfach in den fotografischen Portraits festgehalten. Garry, 34, DJ, nach drei, sechs, zehn Monaten in der Kriegszone. Das Video “Exercise” (2015) zeigt eine Gruppe junger Männer bei der Übung mit Maschinengewehren. Sie alle sind “Newcomer”, zwei Wochen vor ihrem Antritt an die Front. Von einem auf den anderen Tag haben sie sich entschieden – wurden entschieden ? – für ihr Land an die Front zu gehen.
Andriy, 27, Astronomie-Absolvent, beschloss, seinen Bart über die gesamte Zeit seines Fronteinsatzes nicht zu schneiden. “Beard grows as an experience” zeigt ihn nach zwölf Monaten vor dem heimischen Spiegel, die Schere in der Hand. Mit dem Bart, so sagt er, möchte er die Erfahrungen und Erinnerungen an die letzten zwölf Monate ablegen. Sein Blick ist gleichzeitig versunken und determiniert: “Ich werde alles vergessen.”
Bei den Videos handelt es sich sowohl um solche, die Wojciechowska selbst gedreht hat, als auch um private Videos der Soldaten, aufgenommen mit ihren Handy-Kameras und anschließend von der Künstlerin editiert. In “This is Mine, this is Grad” (2015) sortieren die Soldaten Geschossteile, welche sie auf einem Feld gefunden haben. Für die Außenstehende scheinen alle dieser Fragmente gleich; die Soldaten unterscheiden sorgfältig in Mine (“Mine”) und Rakete des Typen “Grad” (“Grad”).
“Minds directing” (2015) verbindet Essay- und Autorenfilm mit Aufnahmen von der Front. Die eingeblendeten Zitate erzählen abstrakt die Geschichte zweier Brüder: einer geht an die Front, der andere folgt. Die Doppelpräsentation stellt Landschaftsbilder mit Körper-Close-ups gegenüber, unterbrochen durch unbestimmte Kreislinien ähnlich jenen Cy Twomblys. “Waiting for the disaster. … Then you have to survive at all costs but if you die it won’t change anything.” In seiner Anspannung, Ungewissheit und scheinbaren Inkohärenz mag der Film auf Gefühle hinter dem Krieg anspielen.
Durch die Gegenüberstellung der Portraits mit den Videos, Collagen und landschaftlichen Fotografien finden verschiedene Ebenen Einzug in die Ausstellung: Künstlerisch, dokumentarisch, fiktiv, real. In Bildausschnitt, Konzentration und Würde gleichen die fotografischen Portraits Ikonen und zugleich den Soldatenportraits des Ersten und Zweiten Weltkrieges. Der farblich wechselnde, jedoch stets gedämpfte Hintergrund verleiht ihnen etwas Zeitloses, nüchtern Fokussiertes, und schafft eine Art Aura um die Köpfe der Männer herum. Heldenbild, Version 21. Jahrhundert.
Der Gedanke des Heldentums findet sich auch an anderer Stelle in der Ausstellung: “o.T.” (2016) zeigt eine Gruppe von Soldaten in Tarnkleidung vor einem Stadt- oder Wegmal. Circa die Hälfte von ihnen ist mit Blattgold bedeckt und so der Identifizierung entzogen. Das Gold hebt hervor, macht gleich, löscht aus. Die Trauer, Ernüchterung und Leere in den Blicken der Männer scheinen diesen Gedanken zu bestätigen, “…but if you die it won’t change anything.” Die Bilder in “Sparks” sind eine Lektion, die andere noch zu lernen haben.
WANN: Die Ausstellung “Sparks” ist noch bis Freitag, den 28. Januar zu sehen.
WO: Kulturzentrum Lviv, Stefanyk 11, Lviv 79005, Ukraine.
Eine Onlineführung mit der Künstlerin findet ihr auf der Webseite des Städtischen Kunstzentrum Lviv. Alle Videos der Ausstellung findet ihr hier. Eine vollständige Dokumentation des Projektes bietet die Webseite der Künstlerin.