Wie viel ist zu viel?
Die TV-Gameshow von Pope.L im Portikus

16. Oktober 2021 • Text von

Für die erste Video-Einzelausstellung des amerikanischen Künstlers Pope.L wurde der Portikus in Frankfurt in ein Film-Set verwandelt. Über mehrere Wochen hinweg produzierte er dort gemeinsam mit einem Team aus Städelstudierenden eine TV-Gameshow, die mit einem ironischen und satirischen Duktus auf tiefverankerte stereotypisierende Strukturen aufmerksam machen will. 

Pope.L, Missverständnisse, 2021, Courtesy der Künstler, Mitchell-Innes & Nash, New York und Vielmetter Los Angeles. Foto: Ian Waelder.

Beim Betreten des Portikus schallt den Besucher*innen eine Polyphonie an Stimmen entgegen – so vielseitig, wie die Meinungen der Teilnehmenden der Show „Missverständnisse“. So lautet der Titel des Spielformats, das der Künstler Pope.L für seine Ausstellung inszeniert hat. Der amerikanische Film- und Performancekünstler arbeitete in Vergangenheit schon oft mit Interventionen im öffentlichen Raum, wie zum Beispiel bei der Performance „Tompkins Square Crawl“ (1991) ­– eine Videoausstellung daraus zu machen ist allerdings eine Neuheit. Die Gameshow, die in der Ausstellung gezeigt wird, funktioniert nach den gängigen Mustern eines solchen TV-Formats, die Samstagabend um 20.15 Uhr in einem privaten Sender laufen würde: es gibt konkurrierende Teams oder eben konkurrierende Einzelpersonen, die sich von Runde zu Runde bewähren müssen und entweder ausscheiden oder weiterkommen. Am Ende gibt es eine*n Sieger*in. Einige der Runden wurden im Filmset gedreht, das extra dafür im Portikus aufgebaut wurde und dessen Überreste noch in der Ausstellung zu sehen sind, andere Runden wurden beispielsweise auf dem Römer in der Frankfurter Neuen Altstadt gedreht.

Pope.L, Missverständnisse, 2021, Courtesy der Künstler, Mitchell-Innes & Nash, New York und Vielmetter Los Angeles. Foto: Ian Waelder.

Auf Tischen, die sich mittig die gesamte Länge der Kunsthalle entlang erstrecken, stehen weiße, eigens für die darin befindlichen Bildschirme gefertigte Boxen. Teilweise sind sie mit Bluetooth-Kopfhörern verbunden, meistens allerdings ertönen die Tonspuren des Videomaterials aus Lautsprechern oder aus Soundduschen. Der erste Höreindruck wirkt, als vermischten sich verschiedene Sounds – nähert man sich den Bildschirmen revidiert sich dieser Eindruck und die zu den Videos gehörigen Gespräche können klar identifiziert werden. Unter den Tischen befindet sich eine kreisrunde, rot-orangefarbene Matte, an den Wänden Teppichausschnitte und zwei blecherne Dosen mit der diskriminierenden Aufschrift „KA NA KEN“. Es handelt sich bei den Objekten um die Requisiten aus der TV-Gameshow und bei den Dosen um den „Trostpreis“. Die Videos im Erdgeschoss des Portikus sind quasi das, was früher bei DVDs die „CD 2“ war – dort, wo das Backstage-Material, die B-Rolle und Interviews mit den Darsteller*innen, den Regisseur*innen und dem Team zu finden war. Es macht Sinn im Untergeschoss zu beginnen und sich vor dem extra Filmmaterial erst die fertigen Episoden anzusehen. Dann werden die Zusammenhänge und der Prozess des Filmens und Kreierens der Episoden deutlich.

Pope.L, Missverständnisse, 2021, Courtesy der Künstler, Mitchell-Innes & Nash, New York und Vielmetter Los Angeles. Foto: Ian Waelder.

Was genau sind aber diese „Misconceptions“ oder „Missverständnisse“? Pope.L inszeniert verschiedene Charaktere und konfrontiert sie während des Spiels mit misogynen oder rassistischen Vorurteilen und lässt sie raten, welche Aussage wohl von wem stammt – moralisch fragwürdig, aber genau darum geht es dem Künstler. Denn da gibt es als Teilnehmende den reichen Banker, die alleinerziehende Mutter oder den Politikwissenschaftsstudent. Welche Klischees und Stereotypisierungen werden wem angedichtet? Es scheint, als versuche der Künstler und Produzent durch das Medium der TV-Gameshow das Konzept einer solchen Unterhaltungssendung per se zu hinterfragen. Wie weit kann eine Produktion gehen und ab welchem Punkt wird die klischeebehaftete Darstellung so degradierend, dass es sogar für die trashigsten Formate keine Option ist? Wie viel ist eben zu viel? Unterstreichend dazu kommt das „Blackface“ des Weißen Moderators, das unheilvoll und kaum erträglich über allem schwebt. Weshalb die Show unbedingt ihren Fokus auf Frankfurt am Main legt, wird nicht ganz klar – bleibt die Perspektive doch sehr amerikanisch. „Missverständnisse“ funktioniert vielleicht eher als Reflektion des Formats TV-Gameshow, als als Denkanstoß zum eigenen stereotypisierenden Verhalten. 

Pope.L, Missverständnisse, 2021, Courtesy der Künstler, Mitchell-Innes & Nash, New York und Vielmetter Los Angeles. Foto: Ian Waelder.

Pope.L arbeitet auch als Pädagoge und ist schon etliche Jahre Kunstdozent, was sich im Erdgeschoss des Portikus durchaus nachvollziehen lässt – denn das extra Material besteht neben Backstage-Aufnahmen auch aus Vorgesprächen mit den Schauspieler*innen und dem kuratorischen Team zur Planung des Projekts. Er selbst erscheint oftmals vor der Kamera und die Entstehung der Show sowie Gedankenprozesse des Künstlers werden nachvollziehbar – das macht „Missverständnisse“ nahbar und irgendwie persönlich. Außerdem stellte er die Filmcrew hauptsächlich aus Studierenden der Städelschule zusammen, an die der Portikus angeknüpft ist. Es ist spannend zu sehen, wie Pope.L seine Vision der TV-Gameshow realisiert und in relativ kurzer Zeit produziert – die Ausschnitte gewähren breite Einblicke. Fast fühlt man sich als Besucher*in so, als wäre man Teil des Prozesses. 

WANN: Die Ausstellung “Misconceptions” läuft noch bis zum Sonntag, den 21. November.
WO: PORTIKUS, Alte Brücke 2/Maininsel, 60594 Frankfurt am Main.

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