Wie man eine Erinnerung bewahrt… Zwei Künstler ergründen die Poesie der Nostalgie
3. Juni 2017 • Text von Marian Wild
Ludwig Hanisch und Antonio Rastelli blicken in ihrer gemeinsamen Ausstellung „Power-Up“ in die nahe und ferne Vergangenheit der Medienwelt. Dabei wird es nicht zuletzt um die Frage gehen, was Wilhelm II. eigentlich mit der Powerblume aus den Super Mario Bros. zu tun hat.
Sollte man die ganz konkrete Gelegenheit bekommen, an einem lauen Spätsommertag über die Kastanienallee am Berliner Prenzlauer Berg zu schlendern, wird einem unweigerlich ein mittelgroßes, französisches Café ins Auge springen, nicht nur wegen seines einzigen Gerichts (vegetarische Quiche), sondern vermutlich auch wegen seines sprechenden Namens „An einem Sonntag im August…“. Liest man ihn, mit diesem Hauch von schwitzender Großstadt und rumpelnder S-Bahn in Nase und Ohr, fühlt man sich doch unmittelbar entführt zu einer verborgenen Ahnung von Croissants, Edith Piaf und lachenden französischen Kindern.
Erinnerungen sind flüchtig und rätselhaft. Alle verblassen im Lauf der Zeit, viele verlieren wir unwiederbringlich, nur an ein paar wenige Momente können wir uns wahrhaft lebendig erinnern. Was wäre, wenn man solche Erinnerungen mit den Mitteln der Malerei und Bildhauerei erneut beleben könnte?
Im Raum Soda in Gostenhof, direkt rechts des Eingangs, steht die Gipsbüste „Imperatore II“ von Antonio Rastelli. Sie ist in klassischer Manier ausgearbeitet, ein offenes Revers mit einer großen Zahl von Orden an der freigelegten Brust lässt auf den österreichischen Kaiser Franz Joseph I. schließen, der vor 100 Jahren starb. Die Büste erfüllt alle klassischen Qualitätskriterien, wäre da nicht der irritierende, stilisierte Kiefernzapfen, den die Schultern an Stelle des adeligen Kopfes tragen, ein vieldeutiges Symbol für Erleuchtung, Natur oder Wissen. Mehrdeutige Symbole finden sich auch in der älteren Installation „Un colpo, un morto“ von 2011. Es ist buchstäblich eine Gruppe an der Wand hängender menschlicher Hände, wie Trophäen auf schwarze Bretter montiert und alle dieselbe Geste einer geschlossenen Hand mit abgespreiztem Zeigefinger und kleinem Finger vollführend, in der Art von zwei stilisierten Hörnern. Man denkt an kindliche Schattenspiele, den Satansgruß oder ein Gebärdenzeichen, oder an die Tierköpfe, die hier von der Präparation verschont wurden. Rastellis Werke erzählen archaische, kryptische Geschichten von aus der Zeit gefallenen Personen und Gegenständen, die uns viel über die heutigen Geschehnisse offenbaren. Sein Multiple „Wilhelm II. versucht die Abramovic-Methode“ spielt damit ebenso subtil auf den ersten Weltkrieg an, wie es hundert Jahre später die neuen Adeligen der Popkultur wie Lady Gaga als Götzendiener ihres Standes entlarvt.
Lässt man den Blick nun zu den schlichten weißen Wänden wandern, findet man die hochpräzisen Gemälde von Ludwig Hanisch. Ganz hinten rechts im Raum hängt „Fallin‘“, eine auf zwei Farben reduzierte Wandinstallation mit schlichten Versatzstücken aus Ziegelwänden, von denen ein affenartiges Geschöpf herunterkrabbelt. Fünf Kometen mit langem Schweif gehen im Vordergrund nieder. Der Künstler konserviert ebenfalls Vergangenheit, jedoch ist es hier jene melancholische, hochauflösende Erinnerung an die pixeligen Computerspiele der 1980er, The Legend of Zelda, Super Mario Bros. oder Monkey Island. Mit wenigen Farbquadraten erschufen diese Spiele unverwechselbare Charaktere, unvergleichliche Räume und nicht weniger als ganze Welten auf den flimmernden Röhrenfernsehern, angereichert mit brillanten, nur auf wenigen Tönen beruhenden digitalen Soundtracks. Hanisch holt diese wehmütigen, verschütteten Momente aus dem Unterbewusstsein zurück, es sind vage Reminiszenzen an viele Stunden vor der Spielkonsole mit ihrer eigenen, einzigartigen Bildsprache. Das Wandbild „Firepot“ von 2015 huldigt im Vordergrund mit skizzenhafter Zeichnung einer ikonischen Super-Mario-Feuerblume vor typischen Versatzstücken von Hintergrundausschnitten. In noch reduzierterem Duktus zeigt die aktuellste Werkphase das Bild „29,979“, eine völlig auf das Wesentliche reduzierte Hommage an die erstaunliche Tatsache, dass die Spitze der Cheops-Pyramide die GPS-Position 29,979 hat, was exakt den ersten fünf Stellen der Lichtgeschwindigkeit entspricht, und nicht von ungefähr scheint Hanischs Pyramide förmlich mit weißem Schweif Richtung Himmel abzuheben.
So unterschiedlich die beiden Werkansätze, die beiden Künstler teilen hier eine gemeinsame Idee von makellosen Oberflächen, Perfektion in der Ausarbeitung und dem künstlerischen Narrativ. Dadurch stören die Arbeiten sich in der von Karina Kueffner ausgezeichnet gehängten Ausstellung nicht im Geringsten. Sie ergänzen sich im Gegenteil zu einem runden, lebendigen Konzept, in dem die Skulpturen mal Protagonisten, mal Staffagen sind, die Bilder mal Räume, mal fremde Welten, stets angereichert mit einem Hauch Nostalgie. Mit der Nostalgie eines Sonntags im Juni.
WANN: Die Ausstellung kann durch die Schaufenster betrachtet werden. Regulär geöffnet am Freitag, den 9. Juni von 16 bis 19 Uhr, Finnisage am Samstag, den 17. Juni von 16 bis 19 Uhr.
WO: Im Raum Soda – space gallery. Bleichstraße 2, 90429 Nürnberg.