Wen kümmert's? Die Gruppenausstellung "I care for you" in der Platform
16. Juli 2025 • Text von Quirin Brunnmeier
Was heißt es, Verantwortung zu übernehmen, im Privaten, im Kollektiv oder im Ausnahmezustand? Die Gruppenausstellung “I Care for You” in der Platform rückt die oft übersehene Realität von Sorgearbeit in den Fokus. Internationale FLINTA*-Künstler*innen verhandeln in persönlichen und politischen Arbeiten eine Praxis, die oft erst in ihrer Abwesenheit schmerzlich zu erkennen ist.

Wie ein fliegender Drache schlängelt sich die Textilskulptur von Naho Matsuda durch den Ausstellungsraum der Platform. Die Arbeit besteht aus Fan-Schals, die in Workshops zusammen mit Kindern entworfen wurden. In Textfragmenten werden Emotionen und Fragen zu Zugehörigkeit und sozialer Klasse reflektiert. Die Arbeit bewegt sich zwischen privaten Fragen und gesellschaftlicher Verantwortung, Popkultur und pädagogischer Intervention. Dass das Private auch immer politisch ist, wissen wir spätestens seit den 1970er-Jahren.
Die Ausstellung “I Care for you” erinnert daran, dass sich an dieser Grundprämisse wenig geändert hat. Die von Martine Klein kuratierte Gruppenausstellung kreist um ein gesellschaftliches Konzept, das omnipräsent und zugleich übersehen ist: Carearbeit. In der Platform soll etwas sichtbar gemacht werden, das im sozialen Gefüge meist selbstverständlich im Hintergrund passiert, ohne das aber alles zusammenbricht.

In drei thematischen Strängen entfaltet sich ein vielschichtiges Bild der Fürsorge: im privaten Bereich, im politischen Raum und in Ausnahmesituationen wie Krankheit, Verlust oder Krieg. Die Ausstellung ist offen konzipiert, der Begriff der Carearbeit wird hier nicht eng geführt, sondern als ein dynamisches Gefüge verhandelt, situativ, relational, auch widersprüchlich. Dabei steht weniger eine theoretische Dekonstruktion im Fokus, sondern die Übersetzung individueller Erfahrungen in künstlerische Formate. Einige Werke entfalten ihre Stärke gerade durch die Wahl alltäglichen Materials, das hier aufgeladen wird. Sara Hashmis “Gol Roti”-Serie transformiert pakistanisches Fladenbrot zu einer Platform weiblicher Widerständigkeit. Das häusliche wird zum Bildträger und zur rebellischen Geste.

Um den tatsächlichen Zusammenbruch geht es dem Kunstkollektiv Hybris. Sie nutzen einen performativen Ansatz, um mit “Ich lag noch nie so gut” die intime Praxis des Hochhelfens nach einem Sturz zu thematisieren. Ein Video zeigt, wie diese Geste zwischen Zärtlichkeit und Erschöpfung oszilliert, sie ist öffentliche Inszenierung und familiäre Realität gleichermaßen.
Ähnlich doppelt codiert arbeitet Tetiana Kornieieva. In “The Hum Op 02” reflektiert sie über die prekäre Symbiose von Fürsorge und Schutz in Kriegsgebieten, inspiriert von der Biografie einer ukrainischen Kindergärtnerin, die zur Soldatin wurde. Hier wird Fürsorge zur politischen Handlung, zur Überlebensstrategie im Ausnahmezustand. Ebenso politisch wie persönlich ist die Arbeit “the ones who cared” von Stella Deborah Traub. Auf 50 Polaroids zeigt sie Freund*innen, die sie während ihrer Long-Covid-Erkrankung unterstützten. Es ist ein persönliches Archiv gelebter Solidarität und zwischenmenschlicher Fürsorge.

Eine Wäschespinne mit scheinbar schmelzenden Tüchern platziert Anna Schölß mitten in den Ausstellungsraum. Mit “Heat it up” setzt sie sich mit unbezahlter, immer wiederkehrender Carearbeit und den Auswirkungen des Klimawandels auseinander. Jung-Ah Hwang wiederum führt mit der Arbeit “Ghost with Flesh” die Kluft zwischen rechtlicher Unsichtbarkeit und spiritueller Zugehörigkeit drastisch vor Augen. Der nicht vollzogene Abschied vom getsorbenen Großvater, bedingt durch den Aufenthaltsstatus, wird zum Ausgangspunkt einer künstlerischen Trauerarbeit. Das Private ist hier nicht nur politisch, sondern auch transgenerational und transnational aufgeladen.
Die in der Ausstellung gezeigten Arbeiten verbinden poetische Verdichtung mit dokumentarischer Unmittelbarkeit. Unterschiede in Erfahrung, Sprache und Ästhetik illustrieren die Vielschichtigkeit und Verflochtenheit des Themenkomplexes Care und Sorgearbeit. Care wird nicht als bloße moralische Kategorie verhandelt, sondern als strukturelle Bedingung unseres sozialen Miteiannders. Ein nüchternes, notwendig empathisches Plädoyer für eine Praxis, die oft erst in ihrer Abwesenheit schmerzlich zu erkennen ist.
WANN: Die Ausstellung “I Care for You” ist noch bis 30. Juli zu sehen.
WO: PLATFORM, Kistlerhofstraße 70 Haus 60, 3. Stock, 81379 München.