Weiß wie die Hoffnung
"White Flag" in der Nir Altman Galerie

13. Januar 2017 • Text von

Zwischen Mut machen und aufgeben. Die Galerie Nir Altman zeigt unter dem Titel „White Flag” Videos, Skulpturen und Malerei von Karen Michiko Ernst und Boris Maximowitz.

St Paul Boris Standbild 1

Karen Michiko Ernst und Boris Maximowitz: White Flag (St. Paul), Videostill, 2016, Galerie Nir Altman.

Ein warmes Rot erhellt den winterlichen Hinterhof im Glockenbachviertel, in dem die Nir Altman Galerie ihre Räume hat. Vor dem schmalen Eingang zur Ausstellung liegen rote Neonkontruktionen, die ineinander gesteckt sind und so fast die Tür blockieren. Auf den zweiten Blick erschließt sich, dass es sich um drei Buchstaben handelt, die Boris Maximowitz hier neu arrangiert hat. In ihrer eigentlichen Konfiguration bilden sie mannshoch das Wort „MUT“ und versprühten, auf unterschiedlichen Dächern in München und Augsburg montiert, Zuversicht und Optimismus in den Stadtraum. Vor der Galerie platziert, dekonstruiert und ihrer eigentlichen Aussage beraubt nehmen sie eine andere, skulpturale Form an und setzen den Ton für die Ausstellung „White Flag“.

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Boris Maximowitz, Galerie Nir Altman.

Im hinteren Raum der Galerie werden an den Wänden eine Serie von fünf Videos gezeigt, die den Titel der Ausstellung trägt. In dieser kooperativen Arbeit sehen wir Karen Michiko Ernst und Boris Maximowitz abwechselnd und an unterschiedlichen Orten im städtischen Raum eine überdimensionale weiße Flagge an einem mobilen Mast schwenken. Die einzelnen Sequenzen hören auf, wenn den Protagonisten buchstäblich die Kraft ausgeht. Und starten im konzeptuell unendlichen Loop erneut, in einer endlosen Schleife der Aufgabe.

13012017_White Flag Karen Michiko Ernst- Kogin

Karen Michiko Ernst: Kogin – Rigips, Tusche, 250x170x20cm 2017, Nir Altman Galerie.

Die weiße Fahne ist das internationale Symbol für die Kapitulation, ein Zeichen, das jeder versteht. Wer die weiße Fahne schwenkt hat aufgegeben und wehrt sich nicht mehr. Aber eine Kapitulation ist keine passive Angelegenheit. Der Prozess des Aufgebens basiert auf einer aktiven Entscheidung, einem gefassten Beschluss. So muss man eine Kapitulation vielleicht gar nicht als Stillstand oder Rückschritt sehen. Vielmehr ist eine Kapitulation vielleicht der beherzte Einsatz für den Ausstieg. Die Chance für eine neue Ausrichtung. Die selbstbewusst-provokative Aussage „I would prefer not to“ des Bartleby aus der gleichnamigen Erzählung von Herman Melville. Veränderung, und sei es in Form einer Kapitulation, benötigt immer Energie und ist anstrengend. Aber auch im positiven Sinne. So kann die sichtlich auslaugende Kapitulation von Karen Michiko Ernst und Boris Maximowitz auch als kathartische Aktion gelesen werden. Als bewusst gesetzter Schnitt, als Befreiung und Start in eine neue Phase.

White Flag - Karen Michiko Ernst

Karen Michiko Ernst: knock, snap, clap, tap, pound (v. l. n. r.), 2016, Nir Altman Galerie.

Neben dem Video zeigt Karen Michiko Ernst auch installative malerische Arbeiten. In ihren zarten Farbtupfern auf kleinformatigen Rigipsplatten spielt sie gekonnt mit der Textur der Oberfläche. Feines Blau, verwischt und ausgeblichen, steht in Kontrast zum fahlen Weiß der Bildträger. Spuren und Abdrücke von Haaren verweisen auf den prozessualen Charakter der Arbeiten ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Eine angelehnte Rigipsplatte, stellenweise ausgefräst und mit dynamsichen Linien versehen, die auch auf die Wand dahinter lappen referiert in ihrem Rhythmus auf eine bestimmte Bewegung: Das Schwenken einer Fahne.

WANN: Die Ausstellung ist noch bis zum 17. Februar zu sehen.
WO: Nir Altman Galerie, Ringseisstrasse 4, 80337 München.

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